Leicht erhöhtes Krebsrisiko nach Strahlentherapie

Das Risiko nach einem lokal begrenzten Prostatakrebs einen zweiten Primärtumor zu entwickeln ist gering, wird jedoch durch Strahlentherapie leicht erhöht. Diese Erkenntnis sollte bei der Auswahl einer geeigneten Behandlungsmethode in das „Shared Decision Making“ einfließen.

Strahlentherapie Krebs

Hintergrund

Die Therapie des lokal begrenzten Prostatakarzinoms ist stark präferenzabhängig, da die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten, wie radikale Prostatektomie, Strahlentherapie und in einigen Fällen auch eine aktive Überwachung, langfristig gesehen zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Aufgrund der unterschiedlichen Risikoprofile der einzelnen Behandlungsoptionen ist im Einzelfall eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich und die von Arzt und Patient gemeinsame Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) ist ein wichtiger Bestandteil des Behandlungsansatzes bei einem Prostatakarzinom.

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass alle Behandlungsoptionen mit einer sehr guten Prostatakrebs-spezifischen Mortalitätsrate assoziiert sind, sollten Patienten über potenzielle unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit operativen Verfahren und Strahlentherapie aufgeklärt werden. Das versetzt sie in die Lage, die für sie am besten geeignete Behandlungsoption auszuwählen. Risiken im Zusammenhang mit einem operativen Eingriff sind gut bekannt und beziehen sich meist auf einen kurzen Zeitraum nach der Operation. Toxische Effekte einer Strahlentherapie dagegen, zu denen auch die Entwicklung eines sekundären Primärtumors gehört, können sich erst Monate bis Jahre nach Abschluss der Behandlung und zu einem Zeitpunkt, an dem die Patienten nicht mehr regelmäßig vom Strahlen-Onkologen betreut werden, bemerkbar machen.

Bei einer Strahlentherapie des Prostatakarzinoms sind unter anderem die Blase, das Rektum sowie das Knochenmark hohen Strahlendosen ausgesetzt. Bisherige Daten zum Auftreten sekundärer Primärkarzinome, die mit den betroffenen Organen assoziiert sind, sind jedoch widersprüchlich [1].

Zielsetzung

Ärzte und Wissenschaftler der Stanford University in Kalifornien, USA, wollten abklären, ob Patienten mit Prostatakrebs, die unter heutigen modernen Bedingungen strahlentherapeutisch behandelt werden, ein höheres Risiko für das Auftreten eines sekundären Primärtumors haben als Prostatakrebspatienten, die nicht bestrahlt werden.

Methoden

Für die retrospektive Kohortenstudie wurden Daten aus der Datenbank des Veterans Affairs Corporate Data Warehouse (CDW) benutzt. Daraus wurden 154.514 Männer im Alter von mindestens 18 Jahren identifiziert, bei denen im Zeitraum von 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2015 ein lokal begrenztes Prostatakarzinom (klinisches Tumorstadium T1-T3) diagnostiziert worden war und die keine Krebsvorgeschichte hatten. Patienten die im ersten Jahr nach der Diagnose sowohl strahlentherapeutisch als auch operativ behandelt wurden sowie Patienten, die mit der Bestrahlung mehr als ein Jahr nach Diagnose begonnen hatten, wurden von der Studie ausgeschlossen. Nach Berücksichtigung weiterer Ausschlusskriterien verblieben 143.886 Patienten, die in die Studie aufgenommen werden konnten.

Patienten, die innerhalb eines Jahres nach Diagnose eine Strahlentherapie erhalten hatten (Strahlentherapie-Kohorte) wurden mit denjenigen Patienten verglichen, die keine Strahlentherapie erhalten hatten und deren Therapie aus operativen Verfahren, aktiver Überwachung, medizinischem Management oder Beobachtung bestand (Kontroll-Kohorte). Die mediane Follow up-Periode betrug 9 Jahre (IQR 6-13).

Primärer Endpunkt war die Diagnose eines zweiten Primärtumors mehr als ein Jahr nach der Prostatakrebsdiagnose. Relevante Krebstypen wurden mittels Expertenreviews bestimmt und betreffen Organe, die durch die Bestrahlung in Mitleidenschaft gezogen wurden, wie z.B. Blasenkrebs, Rektalkarzinom, Weichteiltumore im Beckenbereich, Tumore an den Genitalien (ausschließlich Hoden), Knochenkrebs oder Leukämie und Lymphome.

Ergebnisse

Von 143.886 männlichen Erwachsenen (mittleres Alter 65 Jahre [IQR 60-71]) mit lokal begrenztem Prostatakrebs hatten 52.886 Patienten (36,8%) eine primäre Strahlentherapie erhalten, während 91.000 Patienten (63,2%) ohne Strahlentherapie behandelt worden waren. Bei 4257 Patienten (3,0%) wurde mehr als ein Jahr nach der Prostatakrebsdiagnose ein zweiter primärer Tumor diagnostiziert. Darunter waren 1955 Patienten (3,7%) aus der Strahlentherapie-Kohorte und 2302 Patienten (2,5%) aus der Kontroll-Kohorte ohne Strahlentherapie.

Der mit Abstand am häufigsten auftretende Tumor war Blasenkrebs, gefolgt von Leukämie und Lymphomen. In multivariablen Analysen hatten Patienten aus der Strahlentherapie-Kohorte ein bis fünf Jahre nach der Prostatakrebsdiagnose ein signifikant höheres Risiko an einem neuen Primärtumor zu erkranken als Patienten, die nicht bestrahlt worden waren (Hazard Ratio [HR] 1,24; 95% Konfidenzintervall [KI] 1,13-1,37, p<0,001). In den Folgejahren nahm die Wahrscheinlichkeit einen zweiten Tumor zu entwickeln zu, insbesondere nach einem Zeitraum von ≥ 10 Jahren nach der Strahlenbehandlung.

Fazit

Bei Patienten mit Prostatakrebs ist die Strahlentherapie im Vergleich zu anderen Behandlungsarten mit einer leichten, aber statistisch signifikanten Erhöhung des Risikos für das Auftreten eines sekundären Primärtumors verbunden. Zwar sollten Ärzte und Patienten nicht vor einer Strahlentherapie zurückschrecken, vor allem wenn diese im Einzelfall angezeigt ist. Insbesondere bei jüngeren Patienten sollten aber auch operative Verfahren in Betracht gezogen werden. Zur Erleichterung der Entscheidung für oder gegen eine Strahlentherapie im Rahmen des Shared Decision Making, müssen jedoch Patienten über die aktuelle Datenlage bezüglich Langzeit-Inzidenz und Risiko für das Auftreten eines sekundären Primärtumors informiert werden.

Autor:
Stand:
05.09.2022
Quelle:

Bagshaw H.P. et al. (2022): Assessment of second primary cancer risk among men receiving primary radiotherapy vs surgery for the treatment of prostate cancer. JAMA Network Open, DOI:10.1001/jamanetworkopen.2022.23025

 

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