Frühes Oseltamivir verkürzt Influenza bei Kindern

Einer großen Kohortenstudie aus den USA zufolge profitieren Kinder, die aufgrund einer Influenza stationär behandelt werden, von einer frühzeitigen Therapie mit dem Neuraminidase-Hemmer Oseltamivir. Die Publikation unterstützt damit die aktuellen Empfehlungen.

Oseltamivir Tamiflu

Hauptstütze der Grippe-Therapie ist nach wie vor der Wirkstoff Oseltamivir, welcher die Virusausbreitung durch Blockade der Neuraminidasen des Grippevirus Typ A sowie Typ verhindert. Frühzeitig gegeben reduziert der Neuraminidase-Hemmer die Zeit bis zum Abklingen der Symptome bei Erwachsenen um etwa 17 Stunden und bei Kindern um etwa 29 Stunden, weswegen er auch von der American Academy of Pediatrics und der Infectious Diseases Society of America für die Behandlung von Kindern, die aufgrund einer Grippeerkrankung im Krankenhaus behandelt werden müssen, empfohlen wird.

Umstrittene Oseltamivir-Therapie bei hospitalisierten Kindern

Trotz dieser Leitlinien ist die Wirksamkeit einer Oseltamivir-Therapie bei stationär behandelten Grippekranken umstritten. Beispielsweise konnte eine frühere Studie, die während der Influenzapandemie A (H1N1) im Jahr 2009 (Schweinegrippe) durchgeführt worden war, zwar bei Erwachsenen, jedoch nicht bei Kindern, einen Nutzen einer frühzeitigen Therapie mit Oseltamivir feststellen. Andere Beobachtungsstudien belegten zwar positive Effekte bei hospitalisierten Kindern, weisen jedoch aufgrund der geringen Teilnehmerzahl und des hohen Verzerrungsrisikos eine nur eingeschränkte Aussagekraft auf.

Große multizentrische retrospektive Oseltamivir-Studie

Dies und das Fehlen von randomisierten klinischen Studien war für die US-amerikanischen Wissenschaftler um Professor Patrick S. Walsh vom Medical College of Wisconsin in Milwaukee Anlass genug, um die Daten von 55799 Kindern (56% Jungen, 44% Mädchen, medianes Alter: 3,6 Jahre) auszuwerten, die zwischen Oktober 2007 und März 2020 aufgrund einer Grippeerkrankung in einem der insgesamt 36 untersuchten Krankenhäuser behandelt worden waren.

Primärer Endpunkt der Studie bildete die Dauer des Krankenhausaufenthalts, sekundärer Endpunkt die Anzahl der erneuten Klinikeinweisungen innerhalb einer Woche, die später notwendige Verlegung auf die Intensivstation sowie die Notwendigkeit einer extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) oder der Tod des Patienten.

Frühzeitig gegebenes Oseltamivir bei Kindern wirksam

33207 Kinder (59,5%) erhielten Oseltamivir am Tag 0 und 1 des Krankenhausaufenthalts und wurden damit in die „frühe Oseltamivir-Gruppe“ eingeschlossen. In der Vergleichsgruppe befanden sich 4098 Kindern (7%), die am zweiten Krankenhaustag oder später Oseltamivir erhalten hatten, und 18494 Kinder (33%), denen während des gesamten stationären Aufenthalts kein Neuraminidase-Hemmer verabreicht worden war.

Mithilfe von Propensity-Score gewichteten Modellen konnte so das Team um Walsh für die Kinder aus der frühen Oseltamivir-Gruppe eine um einen Tag verkürzte Aufenthaltsdauer im Krankenhaus (Median 3 versus 4 Tage) errechnen. Dies entspricht einer relativen Reduktion um 48% {Quotenverhältnis [Odds Ratio, OR] (95%- Konfidenzintervall [KI]): 0,52 (0,52 – 0,53)}.

Verbesserung der sekundären Endpunkte unter Oseltamivir

Des Weiteren mussten nur 3,5% der Kinder aus der frühen Oseltamivir-Gruppe innerhalb von sieben Tagen erneut ins Krankenhaus, in der Vergleichsgruppe waren es dagegen 4,8% {OR (95%-KI): 0,72 (0,66 – 0,77)}. Auch bei der Notwendigkeit einer Intensivbehandlung gab es eine Verbesserung: So mussten 5,5% der Kinder ohne frühes Oseltamivir auf die Intensivstation verlegt werden, bei den Kindern, die den Neuraminidase-Hemmer rechtzeitig erhalten hatten, waren es dagegen 2,4% – eine Reduktion also um 59% {OR (95%-KI): 0,41 (0,37 – 0,46)}.

Zudem verstarben bzw. benötigten 0,9% der Kinder aus der frühen Oseltamivir-Gruppe eine extrakorporale Membranoxygenierung, in der Vergleichsgruppe waren es dagegen 1,3% der Patienten {OR (95%-KI): 0,63 (0,54 – 0,73)}. Die Ergebnisse waren in allen Hochrisiko-Untergruppen, wie z. B. sehr junge Kinder, Kinder mit Asthma oder Kinder mit einer komplexen chronischen Erkrankung, konsistent.

Oseltamivir bei asthmakranken Kindern mit Grippe

Bemerkenswert ist, dass Patienten mit Asthma zwar eine statistisch unterschiedliche, aber klinisch nicht bedeutsame Veränderung der Verweildauer aufwiesen (im Median 3 Tage für beide Gruppen). „Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Patienten mit Asthma in der Anamnese eher mit einer durch Influenza ausgelösten Asthmaexazerbation ins Krankenhaus eingeliefert werden, was zu einem vorhersehbareren und kürzeren Verlauf führt, als bei anderen, nicht durch Influenza ausgelösten Ursachen für schwere Erkrankungen oder Atemwegsversagen“, erklärten die Autoren.

Oseltamivir für leichte und schwere Grippe-Erkrankungen

„Unsere Daten unterstützen die aktuellen Empfehlungen der American Academy of Pediatrics und der Infectious Diseases Society of America […]“, schreiben die Autoren, die beide ja eine frühe Oseltamivir-Gabe bei Kindern, die aufgrund einer Influenza im Krankenhaus behandelt werden, empfehlen. Die Ergebnisse, so die Autoren, würden zeigen, dass die Verkürzung der Krankheitsdauer nicht nur für leichte Erkrankungen – zu denen bereits randomisierte klinische Studien existieren –, sondern auch für schwere Erkrankungen zu gelten scheint und unabhängig davon ist, wo die Behandlung durchgeführt wird. „Die Gruppe mit der größten Verkürzung der Verweildauer in unserer Studie waren die Patienten, die zunächst auf der Intensivstation aufgenommen wurden.“

Einschränkungen der Oseltamivir-Studie

Eine der Limitationen der Studie ist die Verwendung der Verwaltungsdatenbank Pediatric Health Information Systems (PHIS), welche keine klinischen Informationen zur aktuellen Krankheitsgeschichte, körperliche Untersuchungsergebnisse oder Labortestergebnisse enthält. Es könnte also sein, dass nicht alle eingeschlossenen Kinder auch wirklich an einer von einem Labor bestätigten Influenza litten.

Zudem könnte es sein, dass einige Patienten fälschlicherweise der Vergleichsgruppe zugeordnet wurden, obwohl sie das Medikament bereits ambulant erhalten hatten. Auch könnte die Wirksamkeit des Neuraminidase-Hemmers bei Patienten, die vor der Einweisung in ein Krankenhaus bereits seit längerer Zeit erkrankt waren, abgeschwächt worden sein.

Des Weiteren wurden bei der erneuten Einweisung nur Kliniken, die in der Verwaltungsdatenbank registriert waren, berücksichtigt und die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus wurde auf ganzzahlige Kalendertage beschränkt.

Autor:
Stand:
10.10.2022
Quelle:

Walsh et al.: Association of Early Oseltamivir With Improved Outcomes in Hospitalized Children With Influenza, 2007 – 2020. JAMA Pediatrics, doi:10.1001/jamapediatrics.2022.3261.

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