ERS 2020: Das Lungenmikrobiom: ein unbekannter Kosmos

Während das Darmmikrobiom bereits intensiv erforscht wird, führte das Lungenmikrobiom bislang ein wissenschaftliches Schattendasein. Auf dem virtuellen ERS Kongress 2020 wurden erste Erkenntnisse zu den Wechselwirkungen zwischen Lungen Mikrobiom präsentiert.

Mikrobiom

Hintergrund

Die Erforschung des Darmmikrobioms hat gezeigt, dass die Mikrobiota im Verdauungstrakt nicht nur eine Fülle an lokalen Funktionen innehat, sondern intensivem Austausch mit dem Gesamtorganismus steht. Vielfältige Wechselwirkungen der Mikrobiota im Darm mit den Stoffwechselvorgängen und immunologischen Prozessen beeinflussen in einem noch nicht bekannten Ausmaß die Gesundheit des Wirtes.

Unbekannte Welten: Mikrokosmos Lunge

Aufgrund dieser Erkenntnisse ist nun auch das Lungenmikrobiom in den Fokus der Forschung gerückt. Es mehren sich dabei die Hinweise, dass das Lungenmikrobiom bei vielen Erkrankungen von Infektionskrankheiten der Atemwege über Stoffwechselkrankheiten bis hin zu Tumorkrankheiten eine entscheidende Rolle spielen könnte. Allerdings steht die Forschung hier noch ganz am Anfang. Auf dem virtuellen ERS Kongress 2020 gewährten einige Lungen-Mikrobiom-Pioniere in der Session „Bugs secret's: the way the microbiome changes our future“ einen kleinen Einblick die bislang unbekannten Weiten des Mikrokosmos Lunge.

Die Grundlagen

Dr. Michael J. Cox, Dozent am Institut für Mikrobiologie und Infektiologie an der Universität Birmingham präsentierte die Grundlagen zum Lungenmikrobiom und räumte dabei mit ein paar beliebten Missverständnissen auf. So erklärte er, dass die Gesamtheit der Lungenmikroben korrekt als  Lungenmikrobiota und eben nicht als Lungenmikrobiom bezeichnet würde. Der Begriff „Lungenmikrobiom“ stammte aus der Ökologie und stände für die Lebensgemeinschaft aller Mikrorganismen in einem Lebensraum inklusive deren Wechselwirkung mit ihrem Lebensraum, in diesem Falle den Lungen, und dem gesamten Wirtsorganismus.

Methodik der Forschung

Aus dem Artenspektrum eines Lungenmikrobioms alleine lassen sich meistens keine sinnvollen Schlüsse ziehen, denn es unterscheidet sich nicht nur individuell von Wirt zu Wirt, sondern auch lokal je nach Lungenregion. Darüber hinaus stellt das Ergebnis einer Artenanalyse (16S rRNA Gen Sequenzierung) immer nur eine Momentaufnahme dar, weil sich das Artenspektrum im Austausch mit seiner Umwelt stets verändern kann. Die drei wichtigsten Fragen an das Mikrobiom in der Forschung sind:

  • Wie viele Organismen sind es?
  • Welche Arten von Organismen gibt?
  • Und was machen die?

Keine der verfügbaren Techniken kann diese drei Fragen auf einmal beantworten. Zu einem Profiling des Mikrobioms gehören daher immer mehrere Techniken in Kombination, wie beispielsweise 16S rRNA Gen Sequenzierung, Metagenomik, Metatranskriptomik und Metabolomik.

Physische Strukturen berücksichtigen

Bei den oben genannten Techniken wird jedoch die physische Struktur gemischter Lebensgemeinschaften, wie z. B. in Biofilmen, zerstört. „Die unterschiedlichen Arten in Biofilmen kommunizieren miteinander und können z. B. ihre Populationsdichte messen. Das führt wiederum dazu, dass die Genexpression artübergreifend kontrolliert wird. Oder auch Resistenzgene gegen Antibiotika ausgetauscht werden,“ erläuterte Cox und zeigte auch damit die Komplexität der Mikrobiomforschung auf.

Einflüsse des Lungenmikrobioms auf Erkrankungen

Im Anschluss an Cox Vortrag präsentierten Professor Dr. Debby Bogaert, Leiterin der Pädiatrie der Universität Edinburgh, Professor Dr. Alexander H. Dalpke vom Institut für medizinische Mikrobiologie und Hygiene der technischen Universität Dresden, Privatdozent Dr. Markus Hilty vom Institut für Infektionskrankheiten der Universität Bern Einblicke in ihre Studien zum Einfluss des Lungenmikrobioms auf Erkrankungen im Rahmen der Session.

Atemwegsinfektionen im Kindesalter

Bogaert und ihr Team hatten die Entwicklung des Lungenmikrobioms im ersten Lebensjahr und die Atemwegsgesundheit der Kinder beobachtet. Sie konnten zeigen, dass die Entwicklung des Mikrobioms in den ersten 100 Tagen nach der Geburt mit der Anzahl symptomatischer Infektionen des Respirationstrakts assoziiert ist.

Dysbiosen bei Lungenerkrankungen im Kindesalter

Ein Team um Dalpke beschäftigte sich mit dem Lungenmikrobiom bzw. Dysbiosen Zusammenhang mit Lungenerkrankungen im Kindesalter. Sie stellten fest, dass die Besiedlung der Lungen durch Mikrobiota des Oropharynx stattfindet. Bei der zystischen Fibrose unterliegt das Lungenmikrobiom jedoch einer lokalen Selektion. Auch die Kolonisation von Pseudomonas aeruginosa bei zystischer Fibrose bewirkt eine Selektion und eine Dysbiose des Lungenmikrobioms. Dalpke betonte, dass die Dysbiose tatsächlich eine Folge der P. aeruginosa Kolonisation ist und nicht etwa umgekehrt eine Dysbiose die Besiedlung durch P. aeruginosa begünstigt. Das Team fand auch Hinweise, dass einige Anaerobier und Kommensalen (S. mitis, S.oralis und S. cristatus) aus den oberen Atemwegen mit einem milderen Krankheitsverlauf und  besseren funktionalen Ergebnissen assoziiert sein könnten.

Mikrobiom bei COPD

Die Zusammensetzung des Mikrobioms von Gesunden und COPD-Patienten unterscheidet sich deutlich erklärte Hilty in seinem Vortrag. „Aber was zuerst kam die COPD oder die Dysbiose des Lungenmikrobioms ist ein typisches „Henne oder Ei“- Problem,“ fuhr er fort. Denkbar wären so Hilty zwei Abläufe: Rauchen und/oder andere Umweltfaktoren verändern die Zusammensetzung des Mikrobioms, woraufhin der Wirt mit der Erkrankung reagiert oder Umweltfaktoren inclusive des Rauchens führen zur Erkrankung woraufhin sich die Zusammensetzung des Mikrobioms ändert. „Bislang gab es nur empirische Querschnittsstudien zu diesem Thema, um Fragen, wie beispielsweise nach der Eignung des Mikrobioms als Biomarker, zu beantworten wären longitudinale Studien erforderlich, schloss Hilty seine Präsentation.

Autor:
Stand:
10.09.2020
Quelle:

Cox (2020): Understanding new measurement techniques of the microbiome of the lung and mechanism of bacteria interaction, communication and biofilm formation. Session Bugs secret's: the way the microbiome changes our future. ERS Kongress 08.09.2020

Bogaert (2020): Early life microbiome: the way it changes the future. Session Bugs secret's: the way the microbiome changes our future. ERS Kongress 08.09.2020

Dalpke (2020): Bacterial dysbiosis in pediatric lung diseases such as asthma and CF. Session Bugs secret's: the way the microbiome changes our future. ERS Kongress 08.09.2020

Hilty (2020): Lung microbial factors as drivers for COPD. Session Bugs secret's: the way the microbiome changes our future. ERS Kongress 08.09.2020

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