Neue Bionic Pancreas-Systeme im Test erfolgreich

Semiautomatisierte Systeme werden bei Typ-1-Diabetes bereits länger eingesetzt. Nun werden neue Systeme entwickelt, die auf Next-Generation-Technologien basieren. Sie sollen einfacher zu handhaben sein und mittels Algorithmen auch den Blutzucker besser einstellen können.

Verbesserung


Die moderne Diabetestherapie geht hin zu automatisierten oder semiautomatisierten Systemen. Sie sollen helfen, den natürlichen Insulinrhythmus des Körpers möglichst genau nachzuempfinden, Zeiten mit Hypo- und Hyperglykämien verringern und die von insulinpflichtigem Diabetes Betroffenen zu entlasten. Dadurch, so die Hoffnung, lassen sich Folgeerkrankungen und gefährliche Blutzuckerentgleisungen möglichst oft verhindern sowie die Lebensqualität der Betroffenen spürbar verbessern. In der Vergangenheit konnten mit automatisierten oder semiautomatischen Systemen mehr Menschen mit Diabetes ihre Zielwerte wie einen HbA1c von 7,0% erreichen.

Aufwendige Programmierung klassischer AID-Systeme

Normale automatisierte oder halbautomatisierte Insulinsysteme wie klassische, kommerzielle Closed-Loop-Hybridsysteme, sind vor allem zu Beginn aufwendig zu bedienen. Betroffene müssen bereits ein eingespieltes und individualisiertes Therapieregime haben. Für die Mahlzeiten müssen sie weiterhin Kohlenhydratanteile berechnen. Zusätzlich müssen die Systeme mit Basalraten, Insulinsensitivitätsfaktoren und ähnlichem programmiert werden. Das bedeutet nicht nur, dass die Betroffenen mehr Zeit für ihren Diabetes aufwenden müssen. Es erhöht auch das Risiko für Anwenderfehler. Zusätzlich braucht es eine Anlaufphase, bevor überhaupt eine gewisse Automatisierung erfolgen kann.

Bionic Pancreas

Bereits seit Längerem wird deshalb an Systemen geforscht, die noch stärker eigenständig die endokrinen Funktionen der Bauchspeicheldrüse übernehmen können. Eine Möglichkeit könnte ein sogenanntes Bionic Pancreas-System bieten. Das Bionic Pancreas-System nutzt Next-Generation-Technologien und einen Algorithmus, um die notwendige Insulindosis zu ermitteln. Im Gegensatz zu klassischen AID-Systemen (Automated Insuline Delivery-Systeme) muss von den Nutzenden hier nur einmal das aktuelle Körpergewicht eingegeben werden. Mahlzeiten werden mittels qualitativer Angaben wie „usual for me“ (zu Deutsch: „üblich für mich“), „more“ (zu Deutsch: „mehr als sonst“) oder „less“ (zu Deutsch: „weniger als sonst“) angekündigt und die notwendige Insulinmenge dann mithilfe einer typischen Mahlzeit des jeweiligen Tageszeitraums (Frühstück, Mittagessen oder Abendessen) ermittelt und automatisiert abgegeben.

In einer aktuellen Studie wurde das experimentelle System iLet Bionic Pancreas von Beta Bionics getestet, das keine weiteren Angaben zu bisher verwendeten Insulintherapieregimen wie Basal- oder Bolusangaben benötigt. Es braucht auch im Gegensatz zu klassischen AID-Systemen keine Aufwärm- oder Einstellungsphase. Allerdings können Nutzerinnen und Nutzer die Insulinberechnungen nicht eigenständig modifizieren.

Ein großes amerikanisches Forschungsteam hat sich im Rahmen dieser Studie genauer angeschaut, ob ein Bionic Pancreas-System bessere Werte erzielen kann als die klassischen Therapieregimes bei Diabetes mellitus Typ 1. Die Daten wurden in der Zeitschrift »The New England Journal of Medicine« veröffentlicht.

Zielsetzung

Ziel der Studie war es, zu vergleichen, wie sich ein Bionic Pankreas-System wie das iLet von Beta Bionics im Gegensatz zu klassischen Therapieregimes auf den Blutzucker und vor allem den HbA1c auswirkt.

Methodik

Die dreizehnwöchige Studie wurde an sechszehn Zentren in den USA durchgeführt. Dafür wurden Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 rekrutiert, die mindestens sechs Jahre alt waren und seit mindestens einem Jahr mit Insulin behandelt wurden. Erwachsene wurden nach einem 2:2:1 Schlüssel unverblindet in drei Gruppen randomisiert: eine Gruppe mit Bionic Pancreas-System und Insulin aspart oder lispro, eine Gruppe mit Bionic Pancreas-System und schnell wirksamem Insulin aspart und eine Standardgruppe mit bereits etabliertem Therapieregime (definiert als jede Methode der Insulinverabreichung) und Dexcom G6 Continuous Glucose Monitoring (CGM)-System. Teilnehmende zwischen 6 und 17 Jahren wurden mit einem 2:1 Schlüssel entweder in eine Bionic Pancreas-System-Gruppe oder in eine Standardgruppe randomisiert.

Funktionsweise der Bionic Panceas-Systeme

Die Bionic Pancreas-Systeme hatten ein vorab automatisch eingestelltes Glukoseziel von „usual“ („normal“) mit 120 mg/dl (6,7 mmol/l). Dieses konnte in 10 mg/dl-Schritten (0,6 mmol/l) korrigiert werden. Zusätzlich konnten für verschiedene Tageszeiten individuelle Zielwerte eingestellt werden. Wurde eine Mahlzeit mittels qualitativer Angabe angekündigt, wurden automatisch 75% des geschätzten Insulins sofort abgegeben. Dieser Wert konnte nicht durch die Teilnehmenden korrigiert werden. Anschließend erfolgten automatisierte Blutzuckerkorrekturen auf Basis der eingespeisten Blutzuckerwerte. Bolusgaben erfolgten ebenfalls automatisch.

Gruppen-Interventionen

Alle Teilnehmenden der Bionic Pancreas-Gruppen erhielten vorab ein Training für das Bionic Pancreas iLet Device, CGM sowie das Infusionsset. Die Systeme und Wirkstoffe wurden von verschiedenen Firmen für die Studie zur Verfügung gestellt oder konnten zu einem reduzierten Preis erworben werden.

In der Standardgruppe wurde das bereits vorher für die jeweiligen Teilnehmenden etablierte Therapieregime fortgeführt. Zusätzlich erhielten alle Teilnehmenden ein CGM-System, falls sie dies nicht bereits seit Längerem nutzten.

Mit allen Teilnehmenden wurden Kontrolltermine und -kontakte an Tag 1 oder 2 (Telefonat) sowie Follow-up-Besuche oder Videoanrufe in den Wochen 2, 6, 10 und 13 vereinbart. Zu Beginn der Studie, nach Woche 6 und Woche 13 wurde jeweils der HbA1c im Labor bestimmt.

Primäres und Sekundäres Outcome

Als primäres Outcome galt der HbA1c nach den 13 Interventionswochen. Zusätzlich wurden als sekundäres Outcome der prozentuale Anteil der Zeit ermittelt, die gemäß CGM-System der Blutzucker in verschiedenen Zielbereichen bzw. zu hoch oder zu niedrig war. Besonders interessierte hier der prozentuale Anteil der Zeit, die der Blutzucker unter 54 mg/dl lag. Als Nichtunterlegenheitslimit wurde hierfür vorab 1 Prozentpunkt vereinbart. Als weitere Werte galten der prozentuale Zeitanteil mit Blutzuckerwerten

  • zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9 bis 10,0 mmol/l)
  • über 180 mg/dl
  • über 250 mg/dl
  • unter 70 mg/dl
  • unter 54 mg/dl

Zusätzlich wurde die Sicherheit des Systems erhoben und bewertet, indem unerwünschte Ereignisse erfasst wurden.

Ergebnisse

Studienpopulation

Zwischen Januar und Juli 2021 wurden 326 Teilnehmende in die Studie eingeschlossen. Davon wurden 219 Teilnehmende zwischen 6 und 79 Jahren in die Bionic Pancreas-Gruppe eingeteilt und 107 in die Standardgruppe. Der HbA1c zu Beginn der Studie lag bei allen Teilnehmenden zwischen 5,5% und 13,1%. Etwa ein Drittel der Teilnehmenden nutzte bereits beim Screening hybride Closed-Loop-Systeme.

Wirksamkeit des Bionic Pancreas-Systems

Über den Zeitraum der Studie sank der HbA1c in der Bionic Pancreas-Gruppe von durchschnittlich 7,9% (±1,2) auf 7,3% (±0,7). In der Standardgruppe konnte keine signifikante Veränderung gemessen werden. Hier lag der HbA1c sowohl zu Beginn als auch nach 13 Wochen bei 7,7% (±1,1 bzw. 1,0). Die durchschnittliche adjustierte Differenz nach 13 Wochen lag bei -0,5 Prozentpunkten (95%-Konfidenzintervall [KI] -0,6 bis -0,3; p<0,001).

Auch der prozentuale Anteil der Zeit, die der Blutzucker der Teilnehmenden innerhalb der Zielwerte von 70 bis 180 mg/dl lag, unterschied sich um 11 Prozentpunkte (95%-KI 9 bis 13; p<0,001). Dadurch stieg der Anteil der Zeit im Zielbereich (Time in Range, TIR) in der Bionic Pancreas-Gruppe um 2,6 Stunden pro Tag. Gleichzeitig unterschieden sich die beiden Gruppen nicht signifikant in Bezug auf die Zeit, in der der Blutzucker prozentual unterhalb von 54 mg/dl lag (adjustierter Unterschied nach 13 Wochen: 0,0 Prozentpunkte; 95%-KI -0,1 bis 0,04; p<0,001 für Nichtunterlegenheit). Gleiches galt für Werte unter 70 mg/dl (p=0,51). Auch hatten weniger Teilnehmende in der Bionic Pancreas-Gruppe Blutzuckerspitzen oder prolongierte Hyperglykämien mit Werten über 180 mg/dl oder 250 mg/dl (p<0,001).

Sicherheitsanalyse

Die Sicherheit des Bionic Pancreas-Systems wurde anhand von unerwünschten Ereignissen gemessen mit Fokus auf schweren Hypoglykämien. Davon wurden in der Bionic Pancreas-Gruppe 17,7 Ereignisse pro 100 Personenjahren und 10,8 pro 100 Personenjahren in der Standardgruppe gemessen (p=0,39). Sie lagen damit niedriger als der im Exchange Register berichtete Durchschnitt von 24,1 Ereignissen pro 100 Personenjahren.

Insgesamt wurden 244 unerwünschte Ereignisse bei 126 Teilnehmenden in der Bionic Pancreas-Gruppe erfasst und 10 bei 8 Teilnehmenden in der Standardgruppe. Fast alle Ereignisse, so wird in der Studie berichtet, konnten auf vermutliche Fehler im Infusionsset bzw. der Anbringung desselbigen zurückgeführt werden. Es wurden keine Episoden von diabetischer Ketoazidose gemessen. Ebenso bestand kein Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen.

Fazit

In der Studie wurde ein Bionic Pancreas-System mit Standardtherapien verglichen. Teilnehmende der Bionic Pancreas-Gruppe hatten nach 13 Wochen einen insgesamt stärker abgesunkenen HbA1c als Teilnehmende der Standardgruppe. Auch konnten Teilnehmende mit Bionic Pancreas-System ihre Time in Range um 2,6 Stunden am Tag verbessern.

Wie sich das getestete Bionic Pancreas-System auf Hypoglykämieraten auswirkt, lässt sich aber noch nicht sagen. In der Studie wurden dafür generell zu wenige Hypoglykämien beobachtet. Zudem wäre ein expliziter Vergleich mit den bislang verfügbaren AID-Systemen interessant. Hierfür sind weitere Untersuchungen nötig.

Autor:
Stand:
11.01.2023
Quelle:

Russel S.J. et al. (2022): Multicenter, randomized trial of a bionic pancreas in type 1 diabetes. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2205225

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