
Eine der häufigsten Komplikationen von Diabetes mellitus ist die chronische Neuropathie, die meist als distale symmetrische Polyneuropathie (DSPN) beginnt. Zunächst sind in der Regel die Zehen und Füße betroffen, nach und nach auch die unteren Beine, Finger und Hände. Auf physiologischer Ebene nehmen als erstes die sogenannten small-fiber Nerven Schaden. Anschließend verlieren die großen myelinisierten Nervenfasern Funktionen. Dadurch geht meist als erstes das Temperaturempfinden zugrunde, gefolgt vom Tastsinn und dem Vibrationsempfinden. Bis zu 26% der DSPN-Betroffenen berichten zusätzlich von neuropathischen Schmerzen.
Hände selten untersucht
Untersuchen lässt sich die DSPN durch standardisierte quantitative sensorische Tests. Sie zeigen auf, ob Nervenfaserqualitäten verloren gehen oder zunehmen. Dafür können unter anderem Kälte- und Wärmestimuli aber auch mechanische oder elektrische Reize verwendet werden. Für die Füße werden solche Tests routinemäßig im Rahmen des Disease Management Programms (DMP) für Diabetes mellitus in regelmäßigen Abständen in den hausärztlichen Praxen durchgeführt. Die Hände hingegen werden selten untersucht. Das betrifft neben der Praxis auch die Forschung. Diabetesbetroffene haben jedoch – unabhängig vom Alter – oft auch Probleme mit den Händen und verlieren dort ebenfalls Nervenfunktionen.
In einer internationalen Studie wurden nun die Hände bei DSPN in den Fokus gerückt. Die Daten der Studie wurden im Journal »Diabetes« veröffentlicht.
Zielsetzung
Die Hände sind seltener von Polyneuropathien betroffen als die Füße. Auch finden sich seltener offene Stellen. Sie könnten jedoch bei Diabetikerinnen und Diabetikern ebenso von distal symmetrischer Polyneuropathie (DSPN) betroffen sein. Deshalb hat das internationale Team untersucht, ob es bereits früh erste Anzeichen gibt, dass bei Betroffenen mit Diabetes Nerven in den Händen geschädigt werden könnten. Dafür wollten sie somatosensorische Dysfunktionen in den Händen bei Personen mit Diabetes und DSPN sowie bei Menschen mit Diabetes ohne DSPN und solchen mit Diabetes und DSPN nur in den Füßen untersuchen.
Methodik
Für die Querschnittsstudie wurden Menschen aus vier verschiedenen Gruppen rekrutiert: gesunde Menschen ohne Diabetes, Menschen mit Diabetes aber keiner DSPN, Menschen mit Diabetes und DSPN in den Füßen und Menschen mit Diabetes und DPSN in Händen und Füßen.
Eingeschlossen wurden volljährige Menschen mit oder ohne Typ-1- oder Typ-2-Diabetes. Bei Diabetikerinnen und Diabetikern galt zusätzlich ein HbA1c >6,0% (42 mmol/mol) als Einschlusskriterium, bei Gesunden ein HbA1c <6,0%.
Ausgeschlossen wurden Menschen mit anderen Grunderkrankungen, die in den Symptomen der DSPN ähneln. Ebenso wurden Menschen ausgeschlossen, die unilaterale Symptome hatten, traumaassoziierte Nervenschäden, selbst berichtete psychiatrische Erkrankungen, eine Fibromyalgie, Reizdarm, chronisches Fatigue-Syndrom, komplexes regionales Schmerzsyndrom, Malignitäten oder einer Chemotherapie in der Vorgeschichte oder andere Erkrankungen, die die Korne beeinflussen können.
Die DSPN musste sowohl klinisch als auch durch Elektrodiagnostik oder in vivo korneal-konfokaler Mikroskopie bestätigt werden.
Erfassung der DSPN
Wie stark ausgeprägt die jeweilige DSPN ist oder ob bereits Schäden vorliegen, wurde mittels standardisierter quantitativer Sensoriktests an den Händen untersucht. Dabei wurden folgende Werte erhoben:
- Kälteempfinden
- Wärmeempfinden
- Thermische Unterschiedsschwelle
- Paradoxes Wärmegefühl
- Kälteschmerzschwelle
- Hitzeschmerzschwelle
- Mechanische Erkennungsschwelle
- Mechanische Schmerzempfindlichkeit
- Dynamische mechanische Allodynie
- Vibrationserkennungsschwelle
- Druckschmerzschwelle
Die Ergebnisse der vier Gruppen wurden mittels ANOVA miteinander verglichen. Zusätzlich wurden demographische Daten sowie Informationen zum Diabetes und der Neuropathie bei den Betroffenen erfasst.
Ergebnisse
Für die Studie wurden 660 Menschen gescreent. Eingeschlossen werden konnten 125. Davon gehörten 32 Menschen zur Kontrollgruppe ohne Diabetes oder DSPN. In die Gruppe nur mit Diabetes mellitus wurden 35 Menschen eingeschlossen, in die Gruppe mit Diabetes und DSPN in den Füßen 31 und in die Gruppe mit Diabetes und DSPN sowohl in Füßen als auch in den Händen 28.
Teilnehmende der Kontrollgruppe waren im Durchschnitt 50,0 Jahre alt (Standardabweichung: 24,7), mit 58% weiblich und hatten einen BMI von 24,3 kg/m² sowie einen HbA1c von 5,4% (±0,3). In der reinen Diabetesgruppe lag das Durchschnittsalter bei 47,3 (±17,0), 42% waren weiblich und der BMI lag bei 27,6kg/m² (±5,1). Der durchschnittliche HbA1c lag hier bei 6,6% (±0,8) und knapp die Hälfte (49%) hatte einen Typ-2-Diabetes. Die Diabetesdauer lag bei durchschnittlich 12,5 Jahren (±10). Die Gruppe mit DSPN in den Füßen war mit durchschnittlich 58,6 Jahren (±12,5) etwas älter, es waren mehr Personen männlich (65%), sie hatten einen höheren BMI (32,5kg/m²) und waren bereits seit 15,5 Jahren (±10,2) an Diabetes erkrankt. Der durchschnittliche HbA1c lag bei 7,7% (±1,2), die Erkrankungsdauer bei 15,5 Jahren (±10,2) für den Diabetes und bei 3,6 Jahren (±4,3) für die DSPN und der vorherrschende Diabetestyp war Typ 2 (68%).
Ähnlich in der Gruppe mit DSPN in Händen und Füßen: Das Durchschnittsalter lag bei 60,1 Jahren (±9,1), der BMI bei 32,4kg/m² (±8,3); 86% hatten einen Typ-2-Diabetes. Der durchschnittliche HbA1c lag bei 8,2% (±2,0) und die Erkrankungsdauer bei 11,8 Jahren (±8,3) für den Diabetes und 4,8 Jahren (±5,4) für die DSPN.
Unterschiede statistisch signifikant
Die Unterschiede zwischen den vier Gruppen waren statistisch signifikant. Besonders die Teilnehmenden in der Gruppe mit DSPN in Händen und Füßen hatten eine deutlich eingeschränkte thermale und mechanische Empfindlichkeit. Auch ihre somatosensorischen Funktionen waren in den Händen signifikant schlechter als bei gesunden Menschen (p≤0,013). Selbst im Vergleich zu Menschen mit Diabetes aber ohne DSPN schnitten sie schlechter ab (p≤0,016).
Ähnliches wurde beobachtet für die Gruppe, die nur in den Füßen eine DSPN hatte. Auch sie hatten schlechtere Werte in den standardisierten quantitativen sensorischen Tests, sowohl als Teilnehmende der gesunden Gruppe (p≤0,035) als auch Teilnehmende in der Gruppe mit Diabetes aber ohne DSPN (p≤0,001). Interessanterweise wurde zwischen der Gruppe der Teilnehmenden mit DSPN in den Füßen und der mit DSPN in Händen und Füßen außer beim Kälteempfinden (p<0,0046) kein signifikanter Unterschied in den somatosensorischen Profilen gefunden. Das lässt das Forschungsteam vermuten, dass Menschen mit DSPN in den Füßen vermutlich ebenfalls bereits erste Schäden in small- und large-fiber Nerven in den Händen haben.
Teilnehmende, die bisher nur an Diabetes erkrankt waren, aber noch keine DSPN hatten, wiesen im Vergleich zur Kontrollgruppe ebenfalls Nervenfehlfunktionen in den Händen auf (p<0,002). Sie waren jedoch deutlich schwächer ausgeprägt als bei denen, die bereits Schäden in den Füßen hatten.
Fazit
Diabetes mellitus kann zu Nervenschäden in den Füßen und Händen führen. Nicht alle diese Nervenschäden verursachen klinisch erfassbare Symptome. Wie sich in der Studie zeigt, können bei Diabeteserkrankten auch ohne klinische Symptome einer DSPN bereits Schäden an den Nerven in Händen und Füßen aufgetreten sein.
Besonders auffällig ist, dass vor allem bei Menschen mit diagnostizierter DSPN in den Füßen bereits mehrere Nervenfunktionen in den Händen eingeschränkt sind, obwohl dort noch keine DSPN diagnostiziert worden ist. Deshalb könnte es sinnvoll sein, bei routinemäßigen Diabetesuntersuchungen die Nervenfunktion nicht nur in den Füßen sondern auch in den Händen zu messen.