Verbesserte glykämische Kontrolle im Lockdown

Die glykämischen Parameter von Patienten mit Typ-1-Diabetes verbesserten sich während des COVID-19-Lockdowns signifikant. Im Gegensatz dazu stellten Forscher eine Verschlechterung der glykämischen Werte bei Patienten mit Typ-2-Diabetes fest.

Diabetes Blutzuckermessung

Im Jahr 2019 trat ein neues Coronavirus auf, das ein schweres akutes respiratorisches Syndrom auslösen kann (severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2, SARS-CoV-2). COVID-19) entwickelte sich in kurzer Zeit zur Pandemie. Eine der anfälligsten Personengruppen für dieses Virus sind Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus. Darüber hinaus ist bei Menschen mit Diabetes die COVID-19-bedingte Mortalität signifikant erhöht.

Um die Ausbreitung von COVID-19 einzudämmen, haben viele Länder einen Lockdown mit Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und sozialer Kontakte bis hin zu häuslicher Isolation verhängt. Dies hatte auch Auswirkungen auf die routinemäßigen gesundheitsrelevanten Aktivitäten, wie körperliche Aktivität und Ernährung, Klinikbesuche und Alltagsroutinen. Digitale Ansätze, wie zum Beispiel Telemedizin, wurden eingeführt, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verbessern.

Eine optimale glykämische Kontrolle ist wichtig, um ein Entgleisen des Glukosestoffwechsels und Begleiterkrankungen, wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Nieren- und Augenerkrankungen, zu verhindern oder zumindest zu reduzieren. Um dies zu erreichen, benötigen Menschen mit Diabetes eine intensive medizinische Betreuung und Zugang zu Medikamenten.

Der Effekt des Lockdowns auf das Management von Diabetespatienten ist unklar. In einer Studie fanden Forscher in China eine Verschlechterung der Blutzuckerkontrolle und einen hohen Nüchternblutzucker während des Lockdowns bei Patienten mit Typ-1-Diabetes, während sich in einer anderen Studie aus Spanien Verbesserungen der glykämischen Parameter zeigten.

Zielsetzung

Prof. Dr. Claudia Eberle und die Wissenschaftlerin Stefanie Stichling von der Hochschule Fulda, Schwerpunkt Innere Medizin, untersuchten mittels einer systematischen Literaturrecherche und Metaanalyse die Auswirkungen des COVID-19-Lockdowns auf die glykämische Kontrolle bei Patienten mit Typ-1-Diabetes (T1D) und Typ-2-Diabetes (T2D). Die Ergebnisse ihrer Studie publizierten sie im Fachblatt Diabetologie und Metabolisches Syndrom [1].

Methodik

Die Wissenschaftlerinnen durchsuchten die Datenbanken Cochrane Library, Web of Science Core Collection, EMBASE und CINAHL systematisch nach relevanten Studien, die bis April 2021 publiziert worden waren. Duplikate der Funde wurden entfernt, Titel und Abstracts auf Relevanz geprüft und die verfügbaren Volltexte gelesen. Darüber wurden die Referenzlisten und Google Scholar manuell durchsucht. Es wurden Studien, die festgelegte Einschlusskriterien erfüllten, unabhängig voneinander ausgewählt.

Die Wissenschaftlerinnen berücksichtigten in ihren Auswertungen Studien, die nach einem Begutachtungsverfahren durch Experten veröffentlicht worden waren (Peer Review) und in englischer oder deutscher Sprache vorlagen. Die Studien sollten Beobachtungsstudien, wie Kohortenstudien, Querschnittsstudien und Fall-Kontroll-Studien mit retrospektivem oder prospektivem Design sein, in denen die Wirkungen des COVID-19-Lockdowns, wie Maßnahmen zur Infektionskontrolle und deren Folgen, Einschränkungen sozialer Kontakte und Quarantäne, auf glykämische Parameter von Patienten mit T1D und T2D untersucht wurden.

Um die Auswirkungen des Lockdowns auf die glykämischen Ergebnisse im Vergleich zur Zeit vor dem Lockdown zu bestimmen, führten die Wissenschaftlerinnen eine Metaanalyse über die am häufigsten untersuchten Endpunkte glykiertes Hämoglobin A1c (HbA1c), Zeit im glykämischen Zielbereich von 70-180 mg/dl (time in range [TIR]) und Body-Mass-Index (BMI) oder Gewicht getrennt nach Studien zu T1D und T2D durch. Zur Bestimmung der Veränderungen von HbA1c [%] und TIR [%], wurden geeignete Studien gebündelt und die Differenz der Mittelwerte mit 95%-Konfidenzintervallen (KI) vor und während bzw. nach dem Lockdown berechnet.

Ergebnisse

Die Literaturrecherche ergab 767 Treffer. 33 Beobachtungsstudien erfüllten die Einschlusskriterien. 25 Studien bezogen sich auf T1D und 8 Studien auf T2D. Die Studien stammten aus folgenden Ländern: Italien (13), Spanien (6), Indien (4), Türkei (2), Griechenland (2), China (1), Israel (1), Großbritannien (2), Japan (1) und Saudi-Arabien (1). Insgesamt berücksichtigten die Wissenschaftlerinnen 2.881 Patienten mit T1D und 1.823 Patienten mit T2D.

Die glykämischen Werte von Patienten mit T1D verbesserten sich während des Lockdowns signifikant. Insgesamt zeigten sich in 18 (72%) Studien zu T1D signifikante Verbesserungen der glykämischen Ergebnisse. Die Metaanalyse ergab eine mittlere Differenz im HbA1c von -0,05% (95%- KI -0,31 bis 0,21) aufgrund des Lockdowns und im TIR von +3,75% (95%-KI 2,56 bis 4,92).
Für Patienten mit T2D stellten die Wissenschaftlerinnen eine Verschlechterung der glykämischen Werte während des Lockdowns fest. Insgesamt berichteten Autoren von vier (50%) Publikationen über Verschlechterungen der glykämischen Kontrolle. Die Metaanalyse zeigte eine mittlere Differenz im HbA1c von +0,14% (95%-KI -0,13 bis 0,40) durch den Lockdown.

Darüber hinaus ermittelten Forscher in drei (75%) Studien eine nicht signifikante Verschlechterung des Körpergewichts bei Patienten mit T2D. In einer Arbeit (25%) berichteten Forscher über eine signifikante Verbesserung des BMI (30,6 kg/m2 ± 5,8 vs. 30,3 kg/m2 ± 5,6; p=0,01), während sich in drei (75%) Studien eine ungünstige Gewichtsentwicklung (+0,3 kg; +0,54 ± 0,95 kg; +0,8 kg) zeigte, jedoch ohne Signifikanz (p>0,05).

Fazit

Die Studienautorinnen fassten zusammen: Die Ergebnisse zeigten, dass die Auswirkungen eines pandemiebedingten Lockdowns auf das Management des T1D und des T2D sehr unterschiedlich waren. Bei Menschen mit T1D verbesserten sich die glykämischen Werte während des COVID-19-Lockdowns signifikant. Im Gegensatz dazu kam es bei Menschen mit T2D während des Lockdowns eher zu einer Verschlechterung der glykämischen Parameter.

Es gibt verschiedene Hypothesen, warum sich die glykämischen Werte von T1D-Patienten durch den Lockdown verbessert haben. Zum Beispiel könnte mehr Zeit für Ernährung, Bewegung und Konzentration auf das T1D-Management positive Veränderungen bewirkt haben. Insbesondere fiel den Wissenschaftlerinnen auf, dass T1D-Patienten während des Lockdowns in fast allen Fällen digitale Hilfsmittel, wie kontinuierliches Glukosemonitoring (continous glucose monitoring [CGM]), Flash-Glukosemonitoring [FGM]) oder hybride geschlossene Regelungssysteme (hybrid closed-loop system [HCL]) zur Verfügung hatten, was wahrscheinlich einen positiven Einfluss auf die glykämische Kontrolle hatte.

Beobachtungen von Lebensstiländerungen während des Lockdowns bei T2D-Patienten zeigten eine Zunahme des Konsums von pflanzlichen, zuckerhaltigen Lebensmitteln und Snacks sowie der körperlichen Inaktivität.

Als Einschränkungen der Studie nennen die Autoren, dass nur englisch- und deutschsprachige Literatur berücksichtigt wurde. Weiterhin wurden innerhalb des letzten Jahres COVID-19-bezogene Studien oft schnell und in vereinfachter Form veröffentlicht, um rasch Evidenz zu generieren und klinische Empfehlungen abzuleiten, sodass formale Kriterien und Informationen teilweise nicht detailliert beschrieben waren. Die Stichprobengrößen waren eher klein.

Die Studienautorinnen halten weitere Untersuchungen zu diesem neuen Thema, insbesondere zu T2D und Gestationsdiabetes, Entwicklungen zu späteren Zeitpunkten und an verschiedenen Standorten, wenn noch mehr Daten zur Verfügung stehen werden, für notwendig. So könnten einerseits die tatsächlichen Auswirkungen des Lockdowns verifiziert und Faktoren, die die glykämischen Werte der Patienten beeinflussen können, verstanden werden. Dies sei wichtig, um die Gesundheitsversorgung während möglicher zukünftiger Pandemien gewährleisten zu können.

Quelle:

Eberle et al. (2021): Impact of COVID-19 lockdown on glycemic control in patients with type 1 and type 2 diabetes mellitus: a systematic review. Diabetology and Metabolic Syndrome, DOI: 10.1186/s13098-021-00705-9

  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige