
Das Klima wandelt sich. Der Grundwasserspiegel sinkt. Dürren werden auch in Deutschland häufiger, ebenso Starkregen und Extremwetter. In weniger als 50 Jahren, so wissenschaftliche Berechnungen, könnte fast jeder Sommer ein Jahrhundertsommer werden. Das bedeutet auch für Deutschland sommerliche Rekordhitze und Hitzebelastung für den menschlichen Körper. Für Vorerkrankte bergen Hitzewellen jedoch noch einmal mehr Risiken als für körperlich gesunde Menschen. Besonders Diabetikerinnen und Diabetiker sind davon betroffen.
Schlechte Hitzeregulation durch Diabetes
Menschen mit Diabetes reagieren empfindlicher auf Hitzestress. Der Grund dafür liegt unter anderem in einer gestörten Gefäßregulation, einer gestörten Schweißsekretion und einer gestörten regulatorischen Kontrolle. Während gesunde Menschen bei Hitze schwitzen und so über die Verdunstung von Flüssigkeit über die Haut den Körper herunterkühlen können, ist dieser Mechanismus bei Menschen mit Diabetes deutlich verzögert. Grund dafür sind unter anderem eine verspätete Reaktion auf Hitze, eine reduzierte Sensibilität und eine schlechterer Hitzeverlust generell, zusammengefasst unter dem Dreiergespann „delayed onset, reduced sensitivity und reduced peak heat loss“ im Rahmen der »Heat Loss Response«. Sind Betroffene zusätzlich übergewichtig, haben eine periphere Polyneuropathie, eine diabetische Nephropathie oder Atherosklerose, sind sie extrem gefährdet, früher zu versterben oder bei Hitzewellen zu exazerbazieren.
Besondere Gefährdung in Entwicklungs- und Schwellenländern
Daten dazu gibt es nur wenige. Die meisten Studien stammen aus China oder den USA. Das jedoch ist ein Problem, denn die meisten Menschen mit Diabetes leben in Entwicklungs- und Schwellenländern. Dort jedoch ist auch der gefährlichste Temperaturanstieg in den nächsten Jahren zu erwarten. „[Wir haben] da zwei Lawinen aufeinander zurollen und […] keine Strategie, wie wir diese überhaupt aufhalten können“, sagte Professor Erhard Siegel, der ärztliche Direktor des St. Josefskrankenhauses in Heidelberg. Die Menschen in den dortigen Regionen arbeiteten häufig in nicht klimatisierten Umgebungen. Das bedeute zum einen für die, die von Diabetes betroffen sind, dass sie aufgrund der Hitze bereits einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Zum anderen berge die Hitze noch ein weiteres Problem: Sie kann sich auf Medikamente auswirken. Unter anderem auf Insulin.
Temperaturanfälligkeit des Insulins
Die optimale Aufbewahrungstemperatur für Insulin liegt bei 2°C bis 8°C. Verwendet wird es bei Raumtemperaturen, im Idealfall bis maximal 25°C. Ab Temperaturen von 30°C bis 35°C verliert Insulin seine Wirksamkeit. Die Betroffenen merken davon jedoch zunächst unter Umständen nicht viel.
So auch eine 27-jährige Typ-1-Diabetikerin in einem Fallbeispiel, von dem Siegel erzählt. Sie wurde mittels intensivierter Insulintherapie behandelt und kam unter anderem mit Übelkeit, Erbrechen, Exsikkose, Schläfrigkeit und epigastrischen Schmerzen zur Untersuchung. Im Labor imponierten eine deutlich erhöhte Lipase, Hypernatriämie, Hyperkaliämie, angestiegenen Transaminasen, Kreatinin, ein HbA1c von 8,4% und ein Glukosewert von 388 mg/dl. Auf den ersten Blick eine akute Pankreatitis bei unauffälliger Abdomensonographie. Sie wurde auf die Intensivstation verbracht. Erst die arterielle Blutgasanalyse brachte den entscheidenden Hinweis: Der pH-Wert lag bei 7,15. Die Patientin hatte eine lebensbedrohliche hyperglykämische Ketoazidose. In der Anamnese stellte sich heraus, dass bereits in den letzten Tagen der Blutzucker mehrfach über 250 mg/dl lag und die Patientin vor zwei Wochen in Afrika im Urlaub war. Das erklärte auch die plötzliche hyperglykämische Ketoazidose: Aufgrund der Hitze war das Insulin unwirksam geworden. Die Patientin war jedoch nie darüber aufgeklärt worden.
Aufklärung und Schulung optimieren
Das ließe sich vermeiden, wenn Diabetikerinnen und Diabetiker besser über mögliche Wirkungsverluste bei Insulin aufgeklärt und in der korrekten Lagerung ihres Insulins geschult werden. Helfen können beispielsweise Temperaturschutzkappen und bei Pumpentherapie eine kürzere Schlauchlänge und häufigere Reservoirwechsel. Auch Medikationsanpassungen von Co-Medikationen können helfen, denn Insulin ist nicht der einzige Wirkstoff, der sich bei Hitze in seiner Wirksamkeit verändert. Unterstützen können dabei Listen, wie die 2019 von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) veröffentlichte Übersicht. Werden Diabetikerinnen und Diabetiker bereits im Alltag dafür sensibilisiert, können sie sich auf Hitzeperioden vorbereiten