Lipidwerte als potenzielle Biomarker für periphere Neuropathie

Die periphere Neuropathie ist eine häufige Komorbidität des Typ-2-Diabetes. Bisher gibt es keine Früherkennung von Risikopatientinnen und -patienten. Das könnte sich nun ändern, denn eine amerikanische Studie hat veränderte Blutfettwerte Jahre vor Ausbruch der Nervenkrankheit beobachtet, die als Biomarker dienen könnten.

Blutentnahme

Veränderte Blutfette assoziiert mit verschiedenen Komorbiditäten

Die periphere Neuropathie ist bei Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) häufig. Zwischen 10% und 50% der T2DM-Betroffenen entwickeln diese Komorbidität. An der Entstehung könnten Blutfette beteiligt sein. So war beispielsweise in der dänischen „ADDITION Type 2“-Diabeteskohorte die periphere Neuropathie mit niedrigen HDL-Cholesterinwerten assoziiert [1]. Ähnliches zeigten die Health, Aging and Body Composition-Studie und die SEARCH for Diabetes in Youth-Studie [2, 3].

Auch Studien, die untersuchten, ob veränderte Lipidprofile das Risiko für diabetische Nephropathien beeinflussen, brachten positive Ergebnisse: Veränderte Serumkonzentrationen verschiedener Lipide korrelierten bei T2DM-Betroffenen mit diabetischen Nephropathien eine Dekade später [4]. Selbst bei Adipositas konnten in präklinischen Modellen Unterschiede in den Lipidprofilen zwischen den Patienten mit peripherer Neuropathie und den Patienten ohne die Erkrankung festgestellt werden - unabhängig vom jeweiligen glykämischen Status [5].

Alte Serumproben als Glücksfall für die Forschung

Zu untersuchen, ob Jahre vor einer Diagnose bereits Hinweise auf veränderte Blutfett zu finden waren, ist normalerweise schwierig. Manchmal sind jedoch alte Serumproben vorhanden. So wurden in einer amerikanischen Studie der Wissenschaftler Eva L. Feldman und Russel N. DeJong von der Universität in Michigan, Serumproben von Personen analysiert, die zwischen 1996 und 2001 an einer klinischen Studie zur Wirksamkeit von Angiotensinrezeptorblockern auf die Entstehung und Progression einer diabetischen Nephropathie bei T2DM teilnahmen. Die Analyse der Proben erfolgte mittels Massenspektrometrie hinsichtlich des Lipipdprofils und die Betroffenen wurden auf eine periphere Neuropathie untersucht. Insgesamt konnten 69 Menschen in die Studie eingeschlossen werden. Eine mögliche periphere Neuropathie wurde mittels Michigan Neuropathy Screening Instrument (MNSI), körperlicher Untersuchung und Fragebögen untersucht. Sie galt als diagnostiziert, wenn der MNSI >2.5407 war [6].

Auffällig veränderte Lipidprofile Jahre vor Neuropathie

Von den Teilnehmenden hatten 27 im Follow-up eine Neuropathie. Bei ihnen zeigten sich statistisch signifikant häufiger Anzeichen einer Mikroalbuminurie, beginnender diabetischer Nephropathie (p=0,005) und höhere Blutdruckwerte (p=0,010 für systolisch und p=0,006 für diastolisch). Auffällig waren aber vor allem die Serumlipidprofile: Sie wiesen nach 10 Jahren signifikant weniger mittelkettige Acylcarnitine (p<0,001) im Serum und signifikant mehr freie Fettsäuren (p=0,042) auf.  Auch Phosphatidylcholine waren auffallend erniedrigt (p=0,016), während Lysophosphatidyl erhöht war (p=0,017).

Pathophysiologische Erklärung der veränderten Lipidprofile

Die auffälligen Blutfettwerte sind vermutlich kein Zufall, denn sie hängen eng mit der Funktion von Mitochondrien zusammen. Freie Fettsäuren sind wichtige Energielieferanten für die mitochondriale beta-Oxidation. Um in die Mitochondrien transportiert werden zu können, müssen sie zu Acylcarnitin-Intermediaten umgewandelt werden. Erniedrigte mittelkettige Acylcarnitine bei gleichzeitig erhöhten freien Fettsäuren deuten darauf hin, dass die mitochondriale beta-Oxidation bei den Betroffenen gestört sein könnte. Phosphatidylchoine hingegen sind beteiligt an der Membranstruktur der Mitochondrien und der Regulation mitochondrialer Biogenese und Bioenergetik. Erniedrigte Werte könnten ebenfalls auf eine gestörte mitochondriale Funktion hinweisen. Lysophophatidylcholin korreliert mit Insulinresistenz und war in präklinischen Studien bereits mit retinaler Neurodegeneration verlinkt. Der Precursor des Lysophosphatidylcholins, die Lysophosphatische Säure, hängt eng mit neuropathischen Schmerzen zusammen.

Potentieller neue Biomarker?

Obwohl vielversprechend können die Ergebnisse nur mit einer gewissen Vorsicht interpretiert werden. Zwar waren die Lipide im Serum auffällig verändert und eine Korrelation zu späterer diabetischer Neuropathie signifikant, allerdings sagen sie nichts über Lipide im Nervengewebe selbst aus. Auch gab es keinen MNSI-Index zu Beginn der ursprünglichen Studie und die Wahrscheinlichkeit einer peripheren Neuropathie musste statistisch ermittelt werden.

Nichtsdestotrotz: Lassen sich die veränderten Blutfette tatsächlich als Hinweis auf gestörte Zellfunktionen bestätigen, könnte das klinisch relevant sein. Denn: Blutfette sind einfach zu messen und könnten als mögliche Biomarker dienen, um Hochrisikopatientinnen und -patienten für eine diabetische Neuropathie herauszufiltern. Dafür braucht es aber auch therapeutische Optionen, die den Fettsäuremetabolismus und die mitochondriale beta-Oxidation verbessern würden, um das Risiko zu senken [6].

Autor:
Stand:
20.02.2023
Quelle:
  1. Andersen ST, et al. (2018): Risk factors for incident diabetic polyneuropathy in a cohort with screen-detected type 2 diabetes followed for 13 years: ADDITION-Denmark. Diabetes Care, DOI: 10.2337/dc17-2062
  2. Callaghan BC, et al. (2016): Metabolic syndrome components are associated with symptomatic polyneuropathy independent of glycemic status. Diabetes Care, DOI: 10.2337/dc16-0081
  3. Jaiswal M, et al. (2017): Prevalence of and risk factors for diabetic peripheral neuropathy in youth with type 1 and type 2 diabetes: SEARCH for Diabetes in Youth Study. Diabetes Care, DOI: 10.2337/dc17-0179
  4. Afshinnia F, et al. (2019): Increased lipogenesis and impaired beta-oxidation predict type 2 diabetic kidney disease progression in American Indians. JCI Insight, DOI: 10.1172/jci.insight.130317
  5. O'Brien PD, et al. (2020): Integrated lipidomic and transcriptomic analyses identify altered nerve triglycerides in mouse models of prediabetes and type 2 diabetes. Disease Models & Mechanisms, DOI: 10.1242/dmm.042101
  6. Afshinnia F.A. et al. (2022): Serum lipidomic determinants of human diabetes neuropathy in type 2 diabetes. Annals of Clinical Translational Neurology, DOI: 10.1002/acn3.51639
  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige