Diabetes ist nicht gleich Diabetes. Jede Diabetesform bringt andere Risiken mit sich und wird anders behandelt. Auch treten sie tendenziell zu unterschiedlichen Zeiten im Leben auf. Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) beispielsweise wird traditionell als eine Erkrankung des mittleren oder höheren Alters angesehen. Das lässt sich heutzutage jedoch nicht mehr halten, denn immer häufiger werden bereits Kinder und junge Erwachsene mit einem Typ 2 Diabetes diagnostiziert. Gründe dafür sind unter anderem Lebensstilveränderungen, physische Inaktivität und vermehrte Screenings auf die Erkrankung.
Mortalität sinkt mit Diagnosealter
Je früher Menschen erkranken, umso problematischer kann der Diabetes für ihr Leben langfristig werden. Menschen, die vor ihrem 40. Lebensjahr mit einem Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert wurden, verlieren beispielsweise mehr Lebensjahre als andere. Das kann einem systematischen Review nach beispielsweise bedeuten, dass mit jedem Jahr, das der Diabetes später auftritt und diagnostiziert wird, die Mortalität um 4% sinkt.
Einfluss der Diabetesform
Aber nicht nur das Alter bei Erstdiagnose spielt eine Rolle dabei, wie viel Lebenszeit die Betroffenen verlieren könnten und wie hoch ihr Mortalitätsrisiko ist. Es ist auch entscheidend, ob sie einen Typ--2 oder einen Typ-1-Diabetes haben. Letzterer geht meist mit mehr Risiken und Folgeschäden einher. Das ist jedoch nicht immer der Fall, denn Patientinnen und Patienten, die jünger als 40 Jahre bei der Erstdiagnose ihres Typ 2 Diabetes sind, haben, so weiß man heute, ein gleich hohes kardiales und mikrovaskuläres Risiko wie gleichaltrige Patientinnen und Patienten mit einem Typ- 1-Diabetes. Wie genau sich die Risiken und Folgen zwischen den beiden großen Diabetesarten unterscheiden, ist jedoch immer wieder Thema von Forschungsarbeiten. So auch von einer groß angelegten Studie um das Wissenschaftsteam um Naomi Holman aus Großbritannien. Die Daten wurden kürzlich Journal »Lancet Diabetes Endocrinology« publiziert.
Zielsetzung
Das Forschendenteam aus Großbritannien wollte mit der Datenanalyse eine Lücke zu Mortalitätsunterschieden zwischen T1DM und T2DM schließen.
Methodik
Für die Inzidenzkorhortenstudie verwendet das Team Daten aus dem National Diabetes Audit for England and Wales. Es wurden 35.355 Menschen mit einem Typ-1-Diabetes ausgewählt und 1.408.815 Menschen mit einem T2DM. Um in die Studie eingeschlossen zu werden, mussten die Teilnehmenden ihre Erstdiagnose zwischen dem 1. Januar 2008 und dem 31. Dezember 2014 erhalten haben. Anschließend wurden sie innerhalb der beiden Gruppen, T1DM und T2DM, in nach Alter gruppiert.
Ergebnisse
Die Kohortenstudie verfolgte die Teilnehmenden bis zum 31.12.2019. Dadurch entstanden Follow-up-Perioden von durchschnittlich 8,5 Jahren [IQR=6,7-10,4] für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 und 8,0 Jahren [IQR 6,3-9,9] für Betroffene mit Diabetes mellitus Typ 2. Hinsichtlich der Ethnizität waren von den Teilnehmendem zwischen dem 20. und 39. Lebensjahr und mit T1DM 14.985 weiß (74,6%), 1.125 (5,6%) südasiatisch und 1.090 (5,4%) schwarz. Bei T2DM waren in der gleichen Altersgruppe 51.900 (47,5%) weiß, 27.030 (24,8%) südasiatisch und 8.225 (7,5%) schwarz. Mit zunehmendem Alter bei Erstdiagnose verringerten sich die Unterschiede.
Diabetesart beeinflusst BMI
Beide Gruppen unterschieden sich aber auch in anderen Werten statistisch signifikant voneinander und innerhalb der Gruppen. Wurden Betroffene beispielsweise als junge Erwachsene zwischen dem 20. und 39. Lebensalter diagnostiziert, lag der Body-Mass-Index (BMI) der Menschen mit T2DM um 7,6 kg/m2 höher (durchschnittlicher BMI 33,8±7,9 kg/m2) als bei T1DM (durchschnittlicher BMI 26,2±5,7 kg/m2; p<0,0001). Je älter die Betroffenen bei der Erstdiagnose jedoch waren, umso weniger unterschied sich der BMI zwischen den beiden Gruppen. Bei Teilnehmenden von mindestens 60 Jahren bei Erstdiagnose waren es so nur noch 2,0 kg/m2 Unterschied zwischen Personen mit einem T1DM und solchen mit einem T2DM.
HbA1c- und Blutdruck-Unterschiede
Ähnlich war es beim HbA1c als Langzeitblutzuckerwert: Wurden Teilnehmende bereits als junge Erwachsene erstdiagnostiziert, hatten sie tendenziell höhere HbA1c-Werte. Umgekehrt war der durchschnittliche HbA1c in beiden Gruppen niedriger, je höher das Alter bei Erstdiagnose war. Gleichzeitig lagen die Werte in der T1DM-Gruppe in allen Altersgruppen höher als in der T2DM-Gruppe. In der Gruppe der bei Diagnosestellung 20- bis 39-Jährigen beispielsweise lagen die Werte für den HbA1c in der T1DM-Gruppe bei 69,4±22,7 mmol/mol (8,5%) und in der T2DM-Gruppe nur bei 59,9±17,8 mmol/mol (7,6%). Mit einem p-Wert von <0,0001 waren diese Unterschiede statistisch relevant.
Beim durchschnittlichen systolischen Blutdruck verhielt es sich ähnlich wie beim HbA1c, jedoch in umgekehrtem Verhältnis: Betroffene, die in jüngerem Alter mit einem T2DM diagnostiziert wurden, hatten durchschnittlich einen höheren systolischen Blutdruck als Gleichaltrige mit einem T1DM. Das galt jedoch nur für die unter 60-Jährigen, denn bei den über 60-Jährigen war der statistische Unterschied nicht mehr signifikant (p=0,26).
Mortalitätsraten
Nicht verwunderlich bei den bisher bekannten Unterschieden zwischen T1DM und T2DM unterscheiden sich auch die Mortalitätsraten zwischen den beiden Diabetesarten. In der Altersgruppe der 20- bis 39-Jährigen bei Erstdiagnose lag die Mortalitätsrate bei Frauen mit einem T1DM bei 1,4 pro 1.000 Personenjahren. Bei T2DM hingegen waren auch hier die Werte mit 1,6 pro 1.000 Personenjahre höher. Zum Vergleich: In der gleichen Altersgruppe lag die Mortalitätsrate 2021 in der allgemeinen Bevölkerung nur bei 0,4 pro 1.000 Personenjahren.
Bei Männern war das Verhältnis umgekehrt: In der T1DM-Gruppe lag die Mortalitätsrate bei 2,6 pro 1.000 Personenjahren, in der T2DM-Gruppe nur bei 1,9 pro 1.000 Personenjahren (Vergleich allgemeine Bevölkerung zu Daten von 2012: 0,8 pro 1.000 Personenjahren).
Ähnlich den Mortalitätsraten insgesamt, ist das Risiko für Männer aller Altersgruppen in der T2DM-Gruppe an einer kardiovaskulären Erkrankung zu versterben ebenfalls höher als das der Frauen. In der T1DM-Gruppe wurde zwar ein ähnliches Verhältnis gefunden, im Vergleich zur T2DM-Gruppe war es jedoch nur statistisch signifikant, wenn die Betroffenen bei Erstdiagnose bereits älter als 60 Jahre waren.
Dazu passend war auch die Gesamtmortalität für Männer mit T1DM statistisch in allen Altersgruppen signifikant höher als mit T2DM. Bei Frauen hingegen konnte in Abhängigkeit der Diabetesform vor dem 60. Lebensjahr (Alter der Erstdiagnose) kein Unterschied für die Gesamtmortalität festgestellt werden. Lediglich ab dem 60. Lebensjahr lassen sich Unterschiede entdecken. Die Mortalität lag hier bei Frauen mit einem T1DM niedriger als bei Frauen mit einem T2DM. Davon ausgenommen waren allerdings die Frauen, die bei Erstdiagnose zwischen 20 und 39 Jahren alt waren. Ihr Risiko war bei einem T2DM signifikant höher als bei einem T1DM.
Fazit
Bereits jetzt werden immer mehr Kinder und junge Erwachsene mit einem Typ 1 oder Typ 2 Diabetes mellitus diagnostiziert. Das bringt hohe Risiken mit sich, denn je früher jemand an Diabetes mellitus erkrankt, umso höher ist das Mortalitätsrisiko.
Wie die Studie aus Großbritannien zeigt, sind beide Erkrankungen im jungen Alter Hochrisikokonditionen. Ob es deshalb nun aber besser wäre, Risikofaktoren frühzeitig aggressiv zu behandeln, kann die vorliegende Studie nicht beantworten. Die Autoren fordern gezielte Studien, die untersuchen, ob aggressive Behandlungen von Risikofaktoren, bessere Aufklärung, technologischer Fortschritt und andere Faktoren einen signifikanten Unterschied machen könnten in der Eindämmung von Diabetes mellitus und den Folgen für die Betroffenen.