
Diabetes mellitus ist eine Volkskrankheit. Ihr geht häufig eine Phase mit einem Prädiabetes voraus. Dazu zählen eine gestörte Nüchternglukose (IFG), eine gestörte Glukosetoleranz (IGT) und ein für einen Prädiabetes typischen HbA1c-Wert (IA1c). Während bei diesen Parametern weitestgehend Einigkeit herrscht, ist die Studienlage jedoch nicht eindeutig, wie sich diese verschiedenen Kategorien des Prädiabetes auf den Glukosestoffwechsel selbst auswirken.
Einfluss von IFG und IGT auf die Insulinsekretion
Einige Studien fanden heraus, dass sowohl IFG als auch IGT dazu führen, dass in der frühen Phase der Insulinsekretion eine geringere Menge ausgeschüttet wird, während nur bei IGT auch die späte Phase betroffen ist. Betroffene mit IGT zeigten zusätzlich vor allem eine periphere Insulinresistenz mit nur leichter hepatischer Insulinresistenz, während es beim IFG-Typ andersherum war.
Wie dies für alle drei Typen gesammelt und im Vergleich aussieht, hat nun ein internationales Forscherteam um Andrea Tura vom CNR Institute of Neuroscience in Padua in Italien untersucht. Die Ergebnisse wurden im Journal «American Diabetes Association» publiziert.
Zielsetzung
Mit ihrer Studie setzte sich das internationale Forscherteam zum Ziel, die Wissenslücke zu schließen, wie sich Unterschiede in den wichtigsten Parametern des Glukosemetabolismus auf die verschiedenen Formen des Prädiabetes auswirken. Ein weiterer Fokus der Studie lag auf der Frage, ob sich die Inzidenz von Typ 2 Diabetes mellitus 48 Monate nach Studienbeginn verändert hat.
Methodik
Die longitudinale Studie wurde mit Daten des multizentrischen, europäischen Innovative Medicines Initiative (IMI) Diabetes Research on Patient Stratification (DIRECT) Projektes durchgeführt. Eingeschlossen wurden Personen, die die folgenden Kriterien erfüllten.
- Bisher keine Behandlung mit Insulin-sensitivierenden, Glukose-absenkenden oder anderen antidiabetischen Medikamenten
- Kapillärer Nüchternblutzucker von <10 mmol/L zu Beginn des Studienzeitraums
- Weiß-europäische Ethnizität
- Alter ≥35 und <75 Jahre
Ausgeschlossen wurden Menschen mit jeglicher Diabetesdiagnose, Frauen mit Schwangerschaft, Stillzeit oder geplanter Schwangerschaft während der Studienperiode und jeglichem von den Investigatoren festgestellten signifikanten medizinischen Grund. Eingeschlossen wurden 2.111 Teilnehmende, von denen 1.691 auch die Enduntersuchung nach 48 Monaten abschlossen.
Bei allen Teilnehmenden wurde zu Beginn des Studienzeitraums und nach 48 Monaten ein zweistündiger 75-g oraler Glukosetoleranztest (oGTT) durchgeführt. Glukose, Insulin und C-Peptid wurden jeweils nach 0, 15, 30, 45, 60, 90 und 120 Minuten gemessen. Die Beta-Zell-Funktion (BCF) und Insulinsensitivität wurden mittels oGTT und mathematischer Modelle ermittelt. Die Nüchterninsulinresistenz wurde anhand des Homeostasis Model Assessment Index of Insulin Resistance (HOMA-IR) abgeschätzt, die Insulinsensitivität vom oGTT mittels Predicted M (PREDIM).
Klassifikation
Alle Teilnehmenden wurden gemäß den Definitionen für Prädiabetes von der American Diabetes Association eingeteilt:
- IFG bei einem Nüchternblutzucker von ≥5,6 und ≤6,9 mmol/L
- IGT bei 2h-Glukose von ≥7,9 und ≤11,0 mmol/L
- IA1c von ≥39 und ≤47 mmol/mol
- Normale Glukosetoleranz (NGT) mit einem Nüchternblutzucker von <5,6, einer 2h-Glukose von <7,8mmol/L und einem HbA1c<39mmol/mol
- 1h-Hypoglykämie (I1hG) mit 1h-Glykämie ≥8,6 mmol/L und ohne fehlerhaftem Nüchternblutzucker, 2h-Glukose oder HbA1c
Die Teilnehmenden wurden anhand dieser Werte weiter eingeteilt in solche mit nur einem Defekt, mit zwei Defekten (IFG+IGT, IFG+IA1c oder IGT+IA1c) oder mit allen drei Defekten.
Ergebnisse
Das Forscherteam stellte statistisch signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen fest.
Ein Defekt
Hatten Teilnehmende nur einen Defekt, wiesen sie im Vergleich zur NGT-Gruppe eine schlechtere Insulinsensitivität auf (p<0,0001) und eine höhere Insulinsekretion (p<0,0001), aber eine niedrigere Insulinsekretion bei Referenzglukose (p<0,0001), während die Insulinsekretion zu Beginn der Studie und insgesamt höher war (p<0,0001).
Wurden nur die jeweiligen Einzeldefektgruppen untereinander verglichen, zeigte sich eine schlechtere Insulinresistenz in der IFG-Gruppe (p<0,0001), wenn mittels HOMA-IR getestet wurde. Die Insulinsensitivität, geschätzt mittels PREDIM, war in der IGT-Gruppe am niedrigsten (p<0,0001), in der IA1c-Gruppe jedoch am höchsten. Wurden alle drei Gruppen jeweils in der Gesamtschau betrachtet, so zeigte die IA1c-Gruppe die geringsten Störungen des Glukosemetabolismus mit einer höheren Insulinsensitivität und Insulinsekretion bei Referenzglukose (p<0,0001).
Ähnlich verhielt es sich bei den Teilnehmenden, die eine 1h-Hyperglykämie aufwiesen: Im Vergleich zu denen mit nur einem Defekt hatten sie ebenfalls eine veränderte Insulinsensitivität und Beta-Zellfunktion und einen schlechteren PREDIM (p<0,0001). Ebenso war die Glukosesensitivität gestört.
Diese Effekte spiegelten sich jedoch nicht in der Diabetesinzidenz nach vier Jahren wider, hier konnten keine signifikanten Unterschiede gemessen werden.
Zwei Defekte
Hatten Teilnehmende zu Beginn des Studienzeitraums bereits zwei Defekte, war ihre Insulinsensitivität im Vergleich zu denen mit nur einem Defekt schlechter (p<0,003), die basale Insulinsekretion und die totale Insulinsekretion höher, die Insulinsekretion bei Referenzglukose aber geringer (p<0,003), während die Glukosesensitivität selbst gestört war (p<0,0001).
Einzeln betrachtet zeigten die Gruppen mit zwei Defekten ähnliche Tendenzen wie die mit nur einem Defekt: Die Gruppen mit IGT zeigten eine niedrigere Insulinsensitivität (PREDIM, p<0,03) mit einem nur gering höheren HOMA-IR für IFG+IGT als IGT+IA1c (p<0,05). Der Phänotyp mit der Kombination aus IFG und IGT zeigte die größte Störung des Glukosemetabolismus sowohl nüchtern als auch im OGTT und teilweise in der beta-Zellfunktion des Pankreas.
Nach vier Jahren war jedoch auch hier kein statistisch signifikanter Effekt auf die Diabetesinzidenz zu erkennen, obwohl die Gesamtinzidenz für Diabetes über den Studienzeitraum bei den Teilnehmenden anstieg.
Drei Defekte vs. zwei Defekte
In der Vergleichsanalyse von drei Defekten versus zwei Defekten wiederholten sich die Beobachtungen weiter: Die Gruppe mit drei Defekten hatte eine schlechtere Insulinsensitivität, höhere basale Insulinsekretion und totale Insulinsekretion, aber eine niedrigere Insulinsekretion bei Referenzglukose (p<0,02). Auch die Glukosesensitivität war signifikant erniedrigt (p<0,03).
Wurde die Diabetesinzidenz aber in der Gruppe der Personen mit dreifachen Defekten analysiert, so waren vor allem Personen mit dem IGT-Defekt häufiger betroffen. Um statistisch valide Aussagen hierzu treffen zu können, bräuchte es jedoch länger andauernde Studien, so die Forschergruppe.
Rückkehr zu normaler Glukosetoleranz
Ob Betroffene wieder zu einer normalen Glukosetoleranz zurückkehren können, hängt davon ab, wie viele und welche Defekte bei ihnen vorliegen. Menschen mit mindestens zwei Defekten konvertierten im Studienzeitraum fast gar nicht (2 von 421 Teilnehmenden insgesamt) zurück zur normalen Glukosetoleranz.
In den Gruppen mit nur einem Defekt hingegen war es abhängig davon, welcher Defekt jeweils vorlag: Am seltensten normalisierte sich der Stoffwechsel in der IA1c-Gruppe (p<0,03, Odds Ratio OR=0,18, 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,04-0,80 vs. IFG und p<0,01, OR=0,08, 95%-KI 0,01-0,54 vs. IGT). Verglichen mit der I1hG-Gruppe entstand bei keiner der Gruppen ein statistisch relevanter Unterschied (p>0,08).
Fazit
Wie schwer eine glukometabolische Störung ist, kann davon abhängen, welcher Prädiabetes-Typ vorliegt. In gepoolten Gruppen mit zwei oder mehr Defekten verschlechterte sich der Prädiabetes von Teilnehmenden aus der Studie, sie wiesen nach 48 Monaten progressive Unterschiede in der Diabetesinzidenz auf. Wie sich ein Prädiabetes entwickelt, könnte somit davon abhängen, welchen Defekt die jeweiligen Patientinnen und Patienten vorweisen. Besteht ein Risiko für Diabetes, empfehlen die Studienautoren deshalb, sollten Betroffene auf die drei Prädiabetesdefekte getestet werden, um ihr wirkliches Risiko zu bestimmen.