
Diabetes mellitus (DM) ist die Bezeichnung für eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, welche mit einer Hyperglykämie einhergehen.
Beim Diabetes Typ 1 (DM1), auch juveniler Diabetes genannt, kommt es durch autoimmune Reaktionen zu einer Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen im Pankreas und damit zu einem absoluten Insulinmangel.
Beim Diabetes Typ 2 ist die Insulinwirkung aufgrund einer Insulinresistenz abgeschwächt.
Diabetische Ketoazidose
Die diabetische Ketoazidose (DKA) ist eine lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung und der häufigste hyperglykämische Notfall bei Patienten mit DM1. Gekennzeichnet ist die DKA durch die Trias aus Hyperglykämie, metabolischer Azidose und Ketonämie. Sie ist mit längeren Krankenhausaufenthalten, vermehrten Intensivaufnahmen und höherer Mortalität, meist aufgrund eines Hirnödems, assoziiert [1].
Diabetes bei Kindern
Der Diabetes mellitus ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindesalter. Im Jahr 2015 waren 32.000 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 19 Jahren an DM1 erkrankt [2]. Neben einer genetischen Disposition (positive Familienanamnese), werden auch weitere Risikofaktoren, wie Virusinfektionen oder Umwelteinflüsse, diskutiert, die an der Entstehung eines Diabetes beteiligt sind.
Zielsetzung
Mit einem systematischen Review wollte das Team um Charlotte Rugg-Gunn herausfinden, welche Risikofaktoren zu einer diabetische Ketoazidose bei Krankheitsbeginn von DM1 beitragen.
Ein 2011 veröffentlichtes Review zu dem gleichen Thema sollte auf Aktualität überprüft werden. Gleichzeitig wurden neuere Studien mit einbezogen, welche neue medizinische Entwicklungen, wie bspw. elektronische Patientendaten berücksichtigten.
Methodik
Zur Recherche wurden die Datenbanken PubMed, Embase, Scopuss, CINAHL, Web of Science, sowie Listen zu Referenzartikeln nach dem PICO-Modell (population, intervention, comparison, outcome) durchsucht.
Es wurden Primärstudien ermittelt, die die diabetische Ketoazidose zum Beginn einer DM1-Erkrankung bei Kindern <18 Jahre untersuchten und zwischen Januar 2011 und November 2021 veröffentlicht wurden.
Mögliche Risikofaktoren für DKA wurden in die Kategorien “individuell, physisch, familiär, Intervention und andere” eingeteilt.
Die Daten wurden anschließend mithilfe des Random-Effects-Modells gepoolt.
Zwei Experten führten die Recherche unabhängig voneinander und unter Berücksichtigung der PRISMA (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyzes)-Richtlinien durch. Uneinigkeiten wurden durch einen Dritten mittels Diskussion geklärt.
Es wurden Odds Ratios (OR) mit 95%-Konfidenzintervallen (95%-KI) erstellt und nach dem Zufallseffektmodell ausgewertet. Die Review Manager Software wurde zur Analyse genutzt, zweiseitige p<0,05 wurden als signifikant gewertet. Bei nicht möglicher Ermittlung des OR wurden stattdessen der Mittelwert und die Standardabweichung errechnet. Heterogenität wurde mittels der I2 Statistik geprüft.
Ergebnisse
Es wurden insgesamt 2.565 Artikel identifiziert, wovon 149 in das Review eingeschlossen wurden. Zusätzlich wurden 46 Veröffentlichungen des Reviews von 2011 einbezogen, insgesamt wurden somit 195 Artikel ausgewertet.
Daraus ergab sich eine Gesamtpatientenzahl von 188.637 aus 47 verschiedenen Ländern. Insgesamt wurden 38 Faktoren identifiziert, die mit einer DKA zu Krankheitsbeginn von DM1 in Verbindung stehen könnten.
Faktoren, die mit einem höheren Risiko assoziiert sind
Ein Alter von unter 2 Jahren wurde mit einem erhöhten Risiko assoziiert (OR 3,51; 95%-KI 2,85 bis 4,32, p<0,001), hier wurde das Ergebnis aus dem Review von 2011 bestätigt.
Weitere individuelle Risikofaktoren waren ein geringeres Körpergewicht und die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit (OR 0,40; 95%-KI 0,21 bis 0,74, p>0,004).
Die verzögerte Diagnose eines DM1 ging ebenfalls mit einem höheren Risiko für eine Ketoazidose einher (OR 2,27; 95%-KI 1,72 bis 3,01, p<0,001, I2 = 75%). Zusätzlich zeigten fünf Studien eine kurze Zeitspanne der Symptome als ungünstig an. Dies konnte aber weder klinisch noch statistisch als relevant gewertet werden.
Mit der DKA während der Covid-19-Pandemie beschäftigten sich 26 Studien. Auch hier bestand ein höheres Risiko für eine Ketoazidose (OR 2,32; 95%-KI 1,76 bis 3,06, p<0,001, I2 = 67%). Andere Infektionen waren ebenso als Risikofaktoren zu werten. Hier wurden Zusammenhänge zwischen einer Rötelninfektion (OR 12,41; 95%-KI 1,70 bis 90,51, p<0,01) und Harnwegsinfektionen (OR 44,23; 95%-KI 8,79 bis 300) gefunden.
Eine erhöhte HbA1c-Konzentration zum Diagnosezeitpunkt war ebenfalls mit einem höheren Risiko verbunden: der Mittelwert lag bei Patienten mit DKA bei 12,1%. Im Gegensatz dazu wiesen Patienten ohne DKA eine mittlere Konzentration von 11,1% (p<0,01) auf.
Risikominderung einer diabetischen Ketoazidose
Ein geringeres Risiko für die Entwicklung einer DKA hatten dagegen Kinder, bei denen ein Verwandter ersten Grades einen DM1 hatten (OR 0,41; 95%-KI 0,33 bis 0,52, p<0,001; I2 = 56%) bzw. eine positive Familienanamnese vorlag (OR 0,46; 95%-KI 0,37 bis 0,57, p<0,001, I2 = 74%). Ein höheres Bildungsniveau der Eltern ging mit einer Risikominderung einher.
Höhere Konzentrationen von C-Peptid im Serum und Vitamin D-Level, sowie körperliche Aktivität (OR 0,33; 95%-KI 0,12 bis 0,95) konnten als protektiv identifiziert werden.
Hyperglykämie-Screenings waren mit einem verminderten Risiko assoziiert (OR 0,35; 95%-KI 0,21 bis 0,59, p<0,001).
Faktoren ohne Einfluss auf das Risiko
Faktoren, die in den Studien berücksichtigt wurden, bei denen aber kein signifikanter Unterschied bezüglich des Risikos eine DKA zu entwickeln bestanden, waren zum einen das biologische Geschlecht (OR 1,03; 95%-KI 0,98 bis 1,08, p<0,29, I2 = 35%). Zum anderen Aufklärungskampagnen, die unterschiedlichen Erfolg zeigten, sodass kein eindeutiger Einfluss festgestellt werden konnte.
Bei verschiedenen HLA-Genotypen und Autoantikörpern kamen unterschiedliche Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen, sodass hier kein klares Ergebnis formuliert werden kann.
Weitere Faktoren, die nicht auf das Risiko einwirkten, waren eine Autismus-Spektrum-Störung (OR 0,89; 95%-KI 0,32 bis 2,43) oder der Pubertätsstatus (OR 1,21; 95%-KI 0,78 bis 1,89, p=0,40), wobei eine Pubertas praecox als Referenz verwendet wurde.
Fazit
Das höchste Risiko für eine diabetische Ketoazidose hatten jüngere Kinder, Patienten mit später oder keiner Diagnose von DM1 sowie Patienten, die einer ethnischen Minderheit angehören. Auch während der Covid-19-Pandemie war das Risiko erhöht.
Faktoren, die mit einem verminderten Risiko einhergingen, waren Diabetes in der Familienanamnese, Screening-Programme und ein höheres Bildungsniveau der Eltern. Alles Voraussetzungen, die mit einem höheren Bewusstsein für die häufigsten Symptome einer DKA einhergehen.
In Zukunft sollte daher der Fokus der Entwicklung von Maßnahmen liegen, welche das Risiko einer DKA bei der Manifestation von Typ-1-Diabetes verringern.
Stärken der Studie
Das Review liefert ein besseres Verständnis für mögliche Faktoren, die das Auftreten einer DKA beeinflussen. Es schafft Bewusstsein für die Notwendigkeit, diese zum Krankheitsbeginn zu identifizieren und möglichst gering zu halten, um die Entwicklung einer DKA zu verhindern.
Schwächen der Studie
Besonders hervorzuheben ist die große Heterogenität der untersuchten Parameter. Auch wenn die einzelnen Studien zum gleichen Thema forschten, lagen unterschiedliche Faktoren im Fokus. Somit konnte keine vollständige Metaanalyse durchgeführt werden.
Zusätzlich wurden weltweit Artikel ausgewertet, sodass von Grund auf von verschiedenen demografischen Daten, Krankenversicherungs- und Gesundheitssystemen auszugehen ist [1].