
Seit über 40 Jahren verhelfen assistierte Reproduktionstechniken (ART) Paaren zur Erfüllung ihres Kinderwunsches. Bis 2019 wurden weltweit mehr als neun Millionen Kinder per ART (meist per in-vitro-Fertilisation, IVF) gezeugt.
Den meisten dieser Eltern in spe ist dabei klar, dass sie damit auch gesundheitliche Risiken für das Kind eingehen: so werden mit ART gezeugte Einzelkinder im Vergleich zu spontan gezeugten Kindern mit größerer Wahrscheinlichkeit zu früh geboren, haben ein erniedrigtes Geburtsgewicht und häufiger Geburtsfehler.
Bedingen perinatale Komplikationen psychische Probleme?
Diese perinatalen Komplikationen könnten auch mit Beeinträchtigungen der neurokognitiven Entwicklung und psychischen Problemen im späteren Leben im Zusammenhang stehen. Eine Herausforderung ist es dabei, zu unterscheiden zwischen möglichen Risiken der Reproduktionstechniken selbst und Faktoren, die der elterlichen Unfruchtbarkeit zugrunde liegen könnten – einschließlich derer psychischen Probleme.
Nachverfolgung aller Kinder bis mindestens zum 12. Lebensjahr
Das wollte ein Team aus schwedischen und US-amerikanischen Forschern genau wissen. In ihre Analyse bezogen sie die Daten aller Kinder, die zwischen dem 1.1.1994 und dem 31.12.2006 in Schweden geboren wurden, ein. Diese wurden anhand des schwedischen Bevölkerungsregisters bis zum 31. Dezember 2018 nachverfolgt, das heißt, wenn die Teilnehmer 12 bis 25 Jahre alt waren.
Psychiatrische Diagnosen und Reproduktionstechnik
Erfasst und gegenübergestellt wurden psychiatrische Diagnosen von Heranwachsenden, die entweder mit einer der verschiedenen Reproduktionstechniken (IVF mit oder ohne intrazytoplasmatischem Spermientransfer (ICSI), sowie Transfer frischer bzw. gefrorener und wieder aufgetauter Embryonen) gezeugt wurden, oder deren Empfängnis auf natürlichem Weg erfolgt war.
Klinische Diagnosen von Stimmungsstörungen, einschließlich Major Depression, Angstzuständen, Zwangsstörungen oder suizidalem Verhalten, wurden aus Krankenhausakten und ambulanter fachärztlicher Versorgung ermittelt. Die Einnahme von Antidepressiva wurde anhand der verordneten Medikamente erfasst.
Über 1 Mio. Kinder, über 30.000 Retorten-Babys
Ergebnisse
- Insgesamt wurden 1.221.812 Kinder (48,6 % weiblich, 51,4 % männlich), die zwischen 1994 und 2006 geboren wurden, bis zu einem mittleren Alter von 18 (IQR, 15-21) Jahren nachverfolgt.
- Von diesen Teilnehmern waren 31.565 (2,6 %) mit ART gezeugt worden.
Leicht erhöhtes Risiko für Zwangsstörungen
- Im Vergleich zu allen anderen hatten Jugendliche, die mit einer ART gezeugt worden waren, ein erhöhtes Risiko für Zwangsstörungen (Hazard Ratio HR 1,35; 95% Konfidenzintervall KI 1,20-1,51). Diese Assoziation war abgeschwächt und nicht mehr statistisch signifikant, wenn man die elterlichen Merkmale berücksichtigte (bereinigte (adjusted) aHR 1,10; 95% KI 0,98-1,24), und sie war nicht mehr vorhanden, wenn man sie auf Personen beschränkte, die bei Paaren mit bekannter Unfruchtbarkeit geboren wurden (aHR, 1,02; 95% KI 0,89-1,17).
Kein Depressions- oder Suizid-Risiko
- Jugendliche, die per ART gezeugt wurden, hatten im Vergleich zu anderen Jugendlichen kein erhöhtes Risiko für Depressionen oder suizidales Verhalten (unabhängig von der elterlichen Unfruchtbarkeit).
- Die Befruchtungsarten Standard-In-vitro-Fertilisation und intrazytoplasmatische Spermieninjektion standen nicht im Zusammenhang mit der psychiatrischen Diagnose.
Diese bevölkerungsbasierte schwedische Studie widerspricht den Befürchtungen, dass „Retortenbabys“ gegenüber natürlich gezeugten Kindern als Heranwachsende ein höheres Risiko für psychiatrische Krankheiten hätten. Ausnahme sei lediglich ein erhöhtes Risiko für Zwangsstörungen, das möglicherweise durch Unterschiede in den elterlichen Merkmalen erklärt werden kann, so die Autoren.