
Hintergrund
Unter chronischen Schmerzen definiert man Schmerzen, die länger als drei Monate andauern. Sie sind nicht nur Folge einer Verletzung oder Störung im menschlichen Körper, sondern werden heute als eigenständige Krankheit anerkannt. Der Zusammenhang zwischen Schmerzen und dem Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen (cardiovascular diseases [CVD]) ist bisher nicht vollständig aufgeklärt.
Zielsetzung
Die vorliegende Datenanalyse untersucht den Zusammenhang zwischen verschiedenen Schmerzmodalitäten und der Entstehung von CVD bzw. spezifischen kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz und der kardiovaskulären Mortalität.
Methodik
Die Studienpopulation setzt sich aus Teilnehmern der UK Biobank zusammen, einer großen bevölkerungsbasierten Kohorte mit mehr als einer halben Million Teilnehmern im Alter zwischen 40 und 69 Jahren. Ausgeschlossen wurden Probanden, die zu Studienbeginn den Schmerzfragebogen nicht ausgefüllt hatten, und ebenfalls solche mit einer CVD in der Anamnese oder einer CVD während des ersten Jahres der Nachbeobachtung. Die Forscher ordneten die Probanden, die zu Studienbeginn über Schmerzen berichteten, je nach Schmerzdauer und -ausdehnung drei Modalitäten zu: kurzfristige Schmerzen, chronisch lokalisierte Schmerzen und chronisch ausgedehnte Schmerzen. Probanden ohne Schmerzen dienten als Kontrollgruppe. Mittels multivariabler Cox-Regression wurde der Zusammenhang zwischen chronischen Schmerzen und dem Auftreten von Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, Schlaganfall und kardiovaskulärer Mortalität sowie ein Kompositum der CVD (jegliches Ereignis) nach dem ersten Jahr der Nachbeobachtung untersucht.
Ergebnisse
Die endgültige Stichprobe, die in der Analyse berücksichtigt wurde, umfasste 475.171 Probanden ohne CVD. Von diesen gaben 189.289 Probanden (40%) an keine Schmerzen zu haben, während 87.830 Probanden (18%) über kurzfristige Schmerzen berichteten, 191.716 (40%) über chronisch lokalisierte Schmerzen und 6.336 (1%) über chronisch generalisierte Schmerzen. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit lag bei 7,0 Jahren.
Risiko für das Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen
Die Teilnehmer mit chronisch lokalisierten Schmerzen hatten nach Adjustierung auf Alter, Geschlecht, etablierte Risikofaktoren, körperliche Aktivität, Angstzustände, Depression, Krebs, chronisch-entzündliche Schmerzkrankheit, schmerz-/entzündungshemmende Medikamente und sozioökonomischen Status ein signifikant erhöhtes Risiko für das Kompositum von CVD im Vergleich zur Kontrollgruppe (Hazard Ratio (HR): 1,14; 95%-Konfidenzintervall (KI): 1,08-1,21, p<0,001). Die Probanden mit chronisch generalisierten Schmerzen hatten ein signifikant noch höheres Risiko (HR: 1,48; 95%-KI: 1,28-1,73, p<0,001).
Vergleichbare Ergebnisse zeigten sich, wenn man die einzelnen kardiovaskulären Ereignisse als Outcome verwendete.
Der Anteil der Bevölkerung mit attributivem Risiko für chronische Schmerzen (sowohl lokalisiert als auch generalisiert) als Risikofaktor für das Auftreten der Kombination von CVD (8,6%) war mit dem für Diabetes vergleichbar (7,3%).
Fazit
Die Analyse zeigt deutlich, dass das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse mit zunehmender Schmerzdauer und -ausbreitung steigt. Diese Risikoerhöhung zeigte sich bereits in der Gruppe mit kurzzeitigen Schmerzen in alters- und geschlechtsbereinigten Analysen. Auch nach Bereinigung um etablierte kardiovaskuläre Risikofaktoren, sozioökonomische Faktoren, Komorbiditäten und Medikamente blieb der Zusammenhang zwischen chronisch lokalisierten Schmerzen bzw. generalisierten Schmerzen und CVD statistisch signifikant.
Man muss jedoch berücksichtigen, dass ein Bias vorliegen kann, da auch gesunde Probanden berücksichtigt wurden und es wurde nicht die Schmerzintensität bei den einzelnen Probanden erfasst. Dennoch unterstreicht die Analyse, dass chronischer Schmerz als kardiovaskulärer Risikofaktor mit erheblichem Einfluss auf die öffentliche Gesundheit unterschätzt wird, so das Fazit der Autoren.