Frustessen erhöht kardiovaskuläre Risiken

Über ein Follow-up von durchschnittlich 13 Jahren erhöhte Emotional Eating bei Erwachsenen das Risiko einer diastolischen Dysfunktion um fast 40%. Dabei wurde Stress als wichtiger Mediator zwischen dem Emotional Eating und der diastolischen Dysfunktion identifiziert.

ungesundes Essen

Essverhalten unter Verdacht

Ernährung spielt bekanntermaßen eine wichtige Rolle bei der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen. Aber abgesehen von einer dauerhaft zu hohen Kalorienaufnahme oder einer ungesunden Zusammensetzung der Nahrung, können auch bestimmte Arten des Essverhaltens an sich das kardiovaskuläre Risiko erhöhen? Konkret stehen folgende Essverhaltensweisen unter Verdacht [1,2]:

Emotional Eating (EmE)

Im Volksmund wird das emotionale Essen auch „Frustessen“ genannt, das „Kummerspeck“ zur Folge haben kann. Die Betroffenen essen oder überessen sich um Stress, Angst oder Niedergeschlagenheit zu überwinden und nicht unbedingt, um ihren Hunger zu stillen. Tatsächlich nehmen viele der Betroffenen Gefühle von physischem Hunger oder physiologischer Sättigung nur eingeschränkt oder gar nicht wahr.

Restrained Eating (RE)

Wird manchmal als „gezügeltes Essen“ übersetzt. Die Betroffenen versuchen ihre Nahrungsaufnahme stark zu kontrollieren, in der Regel, weil sie ihr Gewicht halten oder reduzieren wollen. Auch beim RE werden die physiologischen Empfindungen von Hunger und Sättigung, die die Nahrungsaufnahme normalerweise regulieren, kaum oder nicht wahrgenommen. Beim RE kann es als Gegenreaktion zu Heißhungerattacken und Essanfällen kommen.

External Eating (ExE)

Das Konzept des External Eatings beruht auf der Hypothese von Schachter und Rodin zur Erklärung von Adipositas. Schachter und Rodin postulierten, dass manche Personen völlig unabhängig von Hunger oder Sättigung essen, weil sie äußeren Essreizen nicht widerstehen können. Zu diesen Reizen gehören beispielsweise Essensdüfte, Verfügbarkeit von Nahrung oder andere essende Personen [3].

Einige Studien konnten Zusammenhänge zwischen Emotional Eating und Restrained Eating mit Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Adipositas, Diabetes und Hypertonie feststellen.

Langzeitstudie zu Essverhalten und kardiovaskulärer Gesundheit

Im Rahmen der STANISLAS (Suivi Temporaire Annuel Non-Invasif de la Santé des Lorrains Assurés Sociaux) Kohortenstudie untersuchten französische Wissenschaftler die Langzeiteffekte der drei Essverhaltensweisen auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit. Als primäre Endpunkte der Teilstudie wurden folgende kardiovaskuläre Schäden definiert:

  • diastolische Dysfunktion
  • arterielle Steifigkeit (β), ermittelt über Carotis-Femoralis- Pulswellengeschwindigkeit (carotid-femoral pulse-wave velocity [cfPWV])
  • linksventrikuläre Masse (left ventricular mass [LVM])
  • Carotis-Intima-Media-Dicke (carotid intima-media thickness [cIMT].

Die Wissenschaftler untersuchten ebenfalls die Verbindungen von Essverhalten und kardiovaskulären Risikofaktoren, wie beispielsweise dem metabolischen Syndrom. Des Weiteren versuchten sie Mediatoren der Beziehung zwischen Essverhalten und kardiovaskulären Krankheiten zu identifizieren.

Familien als Studienteilnehmer

STANISLAS war eine regionale, longitudinale Kohortenstudie, die an einem Zentrum für Präventive Medizin mit ursprünglich 4.598 Teilnehmern (1.006 Familien) in Lothringen durchgeführt wurde. Für die Studie wurden zwischen 1993-1995 Familien aus Lothringen rekrutiert, die aus mindestens zwei Elternteilen und zwei biologischen Kindern im Alter >6 Jahren bestanden. Alle Familienmitglieder sollten zum Zeitpunkt der Rekrutierung frei von schweren oder chronischen Krankheiten sein. Für die Teilnehmer wurden vier Untersuchungstermine im Abstand von 5 -10 Jahren anberaumt.

Essverhalten und kardiovaskuläre Parameter

Beim 2. Besuch im Rahmen der Studie wurde das Essverhalten per Fragebogen (Dutch Eating Behaviour Questionnaire [DEBQ]) festgestellt. Der DEBQ besteht aus 33 Fragen, die gezielt Merkmale der drei Essverhalten abfragen. Auf das Emotional Eating (EmE) beziehen sich 13 Fragen, auf das Restrained Eating (RE) 10 Fragen und auf das External Eating (ExE) 10 Fragen. Jede Frage kann mit 1-5 Punkten beantwortet werden, wobei 1 Punkt für „nie“ steht und 5 Punkte für „sehr oft“. Im Rahmen des 4. Besuchs wurde die kardiovaskuläre Gesundheit der Teilnehmer untersucht und die Parameter der primären Endpunkte gemessen.

Erhebung von Kovariaten

Bei allen Besuchen wurden Körpermaße, Blutdruck, Blutglukose und Blutfette gemessen.  Soziodemographische Daten, medizinische Befunde und körperliche Aktivität wurden per Befragung erhoben. Darüber hinaus fragten die Untersucher speziell nach kardiovaskulären Erkrankungen, die zwischen den Besuchen festgestellt worden waren. Beim 4. Besuch wurde zusätzlich die Stressbelastung der Teilnehmer anhand einer visuellen Analogskala von 0 bis 10 Punkten evaluiert.

Ergebnisse nach median 13 Jahren Beobachtung

In die Auswertung flossen die Daten von 1.109 Teilnehmern (916 Erwachsene und 193 Jugendliche) aus 367 Familien ein. Das mediane Follow-up zwischen den Besuchen 2 und 4 betrug 13,4 Jahre. Die gemischte Modellanalyse mit familiärem Zufallseffekt wurde um soziodemographische Faktoren, körperliche Aktivität, metabolische Baseline-Faktoren und den Beginn einer kardiovaskulären Erkrankung bereinigt. Die Ergebnisse von Erwachsenen und Jugendlichen wurde getrennt analysiert.

Höheres Risiko für diastolische Dysfunktion

Bei den Erwachsenen war Emotional Eating (EmE) mit einem um 38% erhöhten Risiko für eine diastolische Dysfunktion verbunden (Odds ratio [OR] 1,38; 95% Konfidenzintervall [KI] 1,05 bis 1,83). Stress wurde als wichtiger Mediator zwischen EmE und diastolischer Dysfunktion identifiziert (31,9% / p=0,01). EmE war darüber hinaus mit einer erhöhten cfPVW und folglich einer erhöhten arteriellen Steifigkeit verknüpft (β=0,02 [95%-KI 0,01 bis 0,04]). External eating (ExE) war hingegen mit einer leicht erniedrigter Gefäßsteifigkeit assoziiert (β=−0,03 [95%-KI −0,05 bis −0,01]).

Zwischen den drei Essverhaltensweisen und dem metabolischen Syndrom wurde keine Assoziationen beobachtet. Die Energieaufnahme spielte keine Rolle als Mediator. Bei den Jugendlichen konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen Essverhalten und kardiovaskulären Krankheiten festgestellt werden.

Fazit

Anders als Restrained und External Eating war das Emotional Eating mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Folgeerscheinungen wie erhöhte arterielle Steifigkeit und diastolische Dysfunktion verknüpft. Stress entpuppte sich als wichtiger Mediator zwischen EmE und diastolischer Dysfunktion. „Stress kann ein Grund sein, dass man als Reaktion auf negative Gefühle statt aus Hunger isst,“ erklärte die federführende Autorin Dr. Sandra Wagner, Ernährungs-Epidemiologin am CIC-P in einer Pressemitteilung.

Essen genießen

Um Emotional Eating zu vermeiden, raten die Wissenschaftler den Betroffenen andere Stressbewältigungsmethoden, wie zum Beispiel Bewegung, Atemtechniken oder Entspannungsübungen, zu nutzen. Wichtig sei auch, nicht nebenbei, sondern ohne Ablenkungen, bewusst, achtsam und genussvoll essen.

Die Studie wurde gesponsort von Centre Hospitalier Régional Universitaire de Nancy (CHRU) und von mehreren staatlichen und regionalen Institutionen unterstützt. Sie ist auf ClinicalTrials unter der Nummer NCT01391442 einzusehen.

Autor:
Stand:
30.01.2023
Quelle:
  1. Puchkova-Sistac et al. (2023): Association between eating behaviour and 13-year cardiovascular damages in the initially healthy STANISLAS cohort. EJPC; zwac287, DOI: 10.1093/eurjpc/zwac287
  2. European Society of Cardiology, Pressemitteilung, 11. Januar 2023
  3. Schachter, Rodin (2021): Obese Humans and Rats. London: Routledge; 194.
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