
Hintergrund
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland mit 40% aller Sterbefälle die häufigste Todesursache. So versterben in Deutschland jährlich etwa 65.000 Menschen an plötzlichem Herztod. Herz-Kreislauf-Krankheiten sind nicht nur verantwortlich für die meisten Krankenhauseinweisungen, sondern sie sind auch ein entscheidender Risikofaktor andere Krankheiten nicht zu überleben. So sind Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems die häufigste Todesursache von Patienten mit Niereninsuffizienz und die zweithäufigste Todesursache von Krebspatienten.
Ohne Gegenmaßnahmen wird laut Prof. Dr. Stephan Baldus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankten in den kommenden 10 Jahren voraussichtlich um 25% steigen. In der Öffentlichkeit wird die Problematik kaum wahrgenommen, und die Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind meist nur unzureichend verstanden. Oftmals werden Erkrankte bezichtigt, aufgrund einer schlechten Lebensweise die Krankheit selbst verschuldet zu haben. Dabei sind Risikofaktoren wie falsche Ernährung, Übergewicht, Rauchen, fehlende körperliche Aktivität etc. nicht einmal für die Hälfte aller Erkrankungen an den Herzkranzgefäßen verantwortlich, für Krankheiten wie Herzmuskelschwäche, Herzrhythmusstörungen und angeborene Herzfehler noch weniger oder gar nicht. Eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlauf durch Änderung der Lebensweise ist daher oftmals nicht möglich. Die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankten benötigen lebenslange Therapie und nur wenige sind heilbar. Häufig sind sie von erheblichen körperlichen und psychischen Einschränkungen begleitet bis hin zur Pflegebedürftigkeit.
Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) ist laut Prof. Baldus extrem unterfinanziert und wird von der Bundesregierung mit nur 13% des Betrages gefördert, den das Deutsche Krebsforschungszentrum erhält. Gemeinsam mit der Patientenvertretung Deutsche Herzstiftung (DHS) und dem Präsidenten des ESC wenden sich deshalb die herzmedizinischen Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK), Deutsche Gesellschaft für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie (DGTHG) sowie die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK) mit einem Positionspapier an die Bundespolitik und fordern vergleichbar große Anstrengungen wie in der Krebsforschung und -behandlung [1,2].
Zielsetzung
Verbesserung der Versorgung der Patienten mit Herz-Kreislauf-Krankheiten und Senkung der Krankheitslast. Die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen mit Herz-Kreislauf-Krankheiten soll nachhaltig verbessert, die Sterblichkeitsrate gesenkt und Leid vermieden werden.
Ansätze für bessere Forschung und Versorgung
Die Experten machen in ihrem Positionspapier Vorschläge und beschreiben konkrete Ansätze wie eine Verbesserung von Forschung und Versorgung erreicht werden kann. Dazu gehören
- Stärkung und Koordinierung von Grundlagen- und translationaler Forschung
- Aufbau von interdisziplinären und intersektoralen Versorgungsnetzwerken für Patienten mit Herz-Kreislauf-Krankheiten
- Förderung von Digitalisierung und intersektorale Zusammenarbeit
- Etablierung von Programmen zur Früherkennung von Risikopatienten
Kardiovaskuläre Forschung stärken
Eine bessere finanzielle Ausstattung des DZHK ist dabei die Basis. Studien haben gezeigt, dass für eine optimale Behandlung leitlinienbasierte allgemeine Therapieempfehlungen mit individuellen, auf das Krankheitsprofil der einzelnen Patienten abgestimmten Behandlungsansätzen ergänzt werden müssen. Neben der Stärkung der Grundlagenforschung zum molekularen Verständnis der verschiedenen Krankheitsbilder müssen aufgrund der Komplexität kardiovaskulärer Veränderungen insbesondere software- und auf künstlicher Intelligenz (KI)-basierte Forschungsstrategien in den Fokus gestellt werden und von der Politik entsprechende Unterstützung erfahren. Daneben sollten industrieunabhängige klinische Studien und das Erstellen nationaler Register von der Politik gefördert werden, um neueste Forschungsergebnisse für Patienten verfügbar zu machen. Insbesondere sollen die Bereiche Herzinsuffizienz, Arteriosklerose, Herzklappenerkrankungen und Herzrhythmusstörungen abgedeckt werden.
Aufbau interdisziplinärer Versorgungsnetzwerke
Essenziell für die Patienten ist die Implementierung der Innovationen in der Praxis. Dazu bedarf es des Aufbaus von interdisziplinären und intersektoralen Versorgungsnetzwerken sowie der Stärkung der ambulanten Versorgung. Durch frühzeitiges Eingreifen lassen sich vielfach Krankenhauseinweisungen verhindern. Wichtig ist auch, die im Gesundheitssystem vorhandenen starren Strukturen aufzubrechen und so die momentan erschwerte Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Fachbereiche zu erleichtern. In dem Zusammenhang wird auch eine Unterstützung der Initiative zur Zertifizierung von spezialisierten Einrichtungen durch die Fachgesellschaften gefordert. Damit lassen sich unter anderem sektorübergreifende einheitliche Qualitätsstandards sicherstellen.
Förderung von Digitalisierung
Eine Initiative zur flächendeckenden Digitalisierung der medizinischen Versorgung ist Voraussetzung für den Aufbau effektiver Versorgungsnetzwerke. So können telemedizinische Versorgungsprogramme und Telemonitoringzentren insbesondere in ländlichen Regionen mit einer geringen Dichte an Fachärzten die Lebensqualität und die Überlebensprognose zahlreicher Patienten erhöhen. Trotz überzeugender wissenschaftlicher Evidenz werden sie bisher nur begrenzt eingesetzt. Für höchstmögliche Effektivität sollten Ärzte die für eine Therapie erforderlichen Patienteninformationen aus einer elektronischen Patientenakte abrufen können. Dazu müssen von der Bundesregierung dringend (datenschutz-)rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen für Cloud-basierte Technologien geschaffen werden. Auch die Einrichtung einheitlicher Gesundheits-Identifikationsnummern wäre ein entscheidender Fortschritt, um künftig die wissenschaftliche Aufarbeitung der kardiovaskulär bedingten Sterblichkeit und Morbidität zu ermöglichen. Positive Erfahrungen sind diesbezüglich insbesondere in den skandinavischen Ländern gemacht worden.
Risikopatienten frühzeitig erkennen
Durch frühzeitige und konsequente medikamentöse Behandlung kritischer Vorerkrankungen bzw. Risikofaktoren einschließlich Bluthochdruck, Diabetes und Niereninsuffizienz lassen sich Therapieerfolge und Prognose bei Herz-Kreislauf-Patienten wesentlich verbessern. Deshalb sollen im Rahmen einer nationalen Initiative Programme etabliert werden, die ähnlich den Vorsorgeprogrammen zur frühzeitigen Krebserkennung, die frühzeitige Erkennung eben dieser Risikofaktoren wie auch von Arteriosklerose, Herzklappenerkrankungen, Herzrhythmusstörungen und Herzschwäche ermöglichen.
Im Zusammenhang mit der im Positionspapier zum Ausdruck gebrachten dringenden Bitte um Unterstützung ist die Politik nun zum Handeln aufgefordert.