
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Adipositas als Erkrankung ein. Die Prävalenz der Adipositas steigt, im Jahr 2025 werden vermutlich 6% der Männer und 9% der Frauen weltweit adipös sein.
Diese Zahlen präsentierte Professor Dr. Matthias Blüher, Klinik und Poliklinik für Endokrinologie und Nephrologie, Leiter der AdipositasAmbulanz für Erwachsene, Universitätsmedizin Leipzig, zu Beginn seines Vortrages auf dem europäischen Internistenkongress (ECIM) in Wiesbaden.
Erhöhter BMI und die Folgen
Zunächst gab Blüher einen Überblick über die Folgen von Adipositas. Mit Zunahme des Body-Mass-Index (BMI) sinkt die Lebenserwartung. Beispielsweise ist bei einem BMI zwischen 35 – 40 kg/m² die Lebenserwartung um sieben Jahre reduziert.
Adipositas geht mit zahlreichen Komorbiditäten einher, die entweder mechanisch oder metabolisch bedingt sind. Zu den mechanischen Komorbiditäten zählen:
- Inkontinenz
- Schlafapnoe
- Rückenschmerzen
- Arthrose.
Die metabolischen Komorbiditäten sind noch zahlreicher, etwa:
- Asthma
- Fettleber
- Gallensteine
- Unfruchtbarkeit
- Diabetes
- Kardiovaskuläre Erkrankungen
- Krebserkrankungen
- Thrombose
- Gicht.
Ursachen für Adipositas
Bisher verstehen wir die Regulation des Körpergewichts noch nicht vollständig, so Blüher. Ein effektives Gewichtsmanagement setze aber ein genaues Verständnis der Pathophysiologie voraus.
Zu viel Essen, ein langsamer Metabolismus, wenig Bewegung und deren kausale Faktoren sollten bei der Therapie von Adipositas berücksichtigt werden. Die kausalen Faktoren zu den drei Punkten führte Bühler auf. Denn es ist bekannt, dass zu viel Essen und zu wenig Bewegung zur Gewichtszunahme führen, doch was verbirgt sich im Detail dahinter?
Zu hohe Energiezufuhr durch Essen im Übermaß
Faktoren, die übermäßiges Essen und damit eine zu hohe Energiezufuhr bedingen, können soziokulturell oder durch Unwissenheit über die Zusammensetzung der Nahrungsmittel bedingt sein. Daneben können emotionales Essen, unkontrolliertes Essen, Heißhungerattacken und psychische Probleme eine Rolle spielen. Auch Schlafmangel und bestimmte Medikamente können zur vermehrten Nahrungsaufnahme beitragen.
Langsamer Metabolismus
Altern, das Geschlecht und genetische Veranlagungen können zu einem langsamen oder verlangsamten Stoffwechsel beitragen. Auch neuroendokrine Faktoren, Sarkopenie, der Zustand nach einem Gewichtsverlust und Medikamente können den Stoffwechsel verlangsamen.
Zu wenig Bewegung
Sozikulturelle Faktoren, die persönliche Fitness und emotionale Barrieren können dazu führen, dass ein Mensch sich wenig bewegt. Daneben können Muskel- oder Gelenkschmerzen, chronische Fatigue und psychische Probleme zu einem Bewegungsmangel führen.
Weniger essen, mehr Bewegung – warum das nicht ganz einfach ist
Weniger essen und aktiver sein. Das klingt einfach. Warum dies doch nicht so einfach ist, erklärte Blüher. Evolutionsbiologisch ist unser Körper darauf programmiert uns vor Verlusten zu schützen, damit wir Hungerperioden überstehen. Das Körpergewicht wird dabei von multiplen biologischen Systemen reguliert.
Vorteile von Gewichtsverlust
Viele adipöse Patienten möchten ihr Gewicht drastisch reduzieren, so Blüher. Allerdings sei dies häufig nur durch bariatrische Chirurgie zu erreichen. Dabei habe bereits ein moderater Gewichtsverlust von 5 – 10% des Körpergewichts positive Auswirkungen.
In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass unter diesem moderaten Gewichtsverlust eine Risikoreduktion zahlreicher Komorbiditäten stattfindet. Dies betrifft Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Risikofaktoren. Verbesserungen der Blutfette, des Blutdrucks und der Lebensqualität treten ein.
Reduktion des kardiovaskulären Risikos
In einer Studie der Look AHEAD Research Group [2], die Blüher vorstellte, reduzierte sich das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse um 21%, wenn die Teilnehmer im ersten Jahr der Studie mindestens 10% ihres Körpergewichts verloren hatten.
Effektive Adipositas-Therapie
Blüher stellte ein stufenweises Vorgehen bei der Therapie von Adipositas vor, welches in der Leipziger Klinik praktiziert wird.
Konservative Therapie und Pharmakotherapie
Die erste Stufe des Konzeptes umfasst konservative Maßnahmen, etwa Ernährungsumstellung, Steigerung der körperlichen Aktivität (150 Minuten mehr pro Woche) und niedrigkalorische Diäten. Der zweite Schritt ist die Pharmakotherapie, die zur Ergänzung der konservativen Therapie eingesetzt wird, wenn Letztere alleine nicht erfolgreich ist. Hierzu stehen in Deutschland folgende Wirkstoffe zur Verfügung:
- Orlistat
- Fixkombination Naltrexon/Bupropion
- Liraglutid.
Interventionelle Endoskopie und bariatrische Chirurgie
Eine mögliche dritte Stufe ist die interventionelle Endoskopie, z. B. mit Magenballon. Diese Therapie werde von den Patienten oft erfragt, so Blüher, wird in den Leitlinien aber nicht empfohlen. Der Grund dafür ist die Problematik, dass es nach der Entfernung des Magenballons (meist nach 6 – 12 Monaten) zu einer schnellen Gewichtszunahme kommt. Der letzte Schritt ist die bariatrische Chirurgie, welche die einzige evidenzbasierte Therapie für einen nachhaltigen Gewichtsverlust darstellt.
Pharmakologische Therapie von Adipositas
Orlistat
Der Wirkstoff Orlistat ist indiziert zur Gewichtsreduktion von Erwachsenen mit Übergewicht (Body-Mass-Index, BMI ≥ 28 kg/m2) und sollte in Verbindung mit einer leicht hypokalorischen, fettreduzierten Ernährung angewendet werden. Orlistat hemmt die gastrointestinalen Lipasen.
Der Referent stellte eine Studie [3] vor, in der 63% der Patienten unter Orlistat eine Gewichtsreduktion von 5% und mehr im ersten Jahr erreichten. Dieser Gewichtsverlust trat auch bei 44% der Placebogruppe ein, was die Wirkung der konservativen Therapie unterstreicht, welche alle Patienten erhalten hatten.
Naltrexon/Bupropion
Die Fixkombination aus Naltrexon und Bupropion wirkt zentral an den POMC-Neuronen. In den COR-Studien zeigte sich eine Gewichtsreduktion von ≥ 5% bei 48% der Studienteilnehmer nach einem Jahr.
Die Effekte von Naltrexon/Bupropion waren deutlich stärker ausgeprägt als unter Placebo. Allerdings sind bei dieser Fixkombination auch einige Punkte hinsichtlich der Patientensicherheit zu beachten. Patienten, die dauerhaft Opioide erhalten, sind nicht für dieses Präparat geeignet, da die analgetische Wirkung der Opioide dadurch aufgehoben wird. Mit Vorsicht sollte die Fixkombination eingesetzt werden bei:
- Patienten, die Antidepressiva einnehmen
- Patienten mit neuropsychiatrischen Symptomen in der Raucherentwöhnung
- Patienten mit bipolaren Störungen
- Patienten mit Engwinkelglaukom.
Liraglutid
Abschließend stellte Blüher den am besten untersuchten Wirkstoff, Liraglutid, vor. Liraglutid gehört zu den Glucagon-like-Peptid-1-(GLP-1)-Rezeptoragonisten. GLP-1 ist ein physiologischer Regulator des Appetits und der Nahrungsaufnahme, dessen genauer Wirkmechanismus noch nicht vollständig bekannt ist.
Im SCALE-Studienprogramm zeigte sich bei 63% der Studienteilnehmer ein Gewichtsverlust von ≥ 5% nach einem Jahr. Bei Patienten mit zusätzlich bestehendem Diabetes war der Gewichtsverlust weniger ausgeprägt. Unter Liraglutid treten vor allem gastrointestinale Nebenwirkungen auf, z. B. Übelkeit, Diarrhoe und Konstipation.
Fazit
Abschließend fasste Blüher die wichtigsten Punkte seines Vortrages zusammen. Er betonte, dass Adipositas behandelt, aber nicht geheilt werden kann. Deshalb sei es wichtig, dass Patienten, auch nach einer bariatrischen Chirurgie, weiterhin ärztlich betreut werden.
Konservative Behandlungsstrategien seien die Basis des Gewichtsmanagements. Die Pharmakotherapie sei ein wichtiger, zusätzlicher Baustein in der Therapie der Adipositas. Neue Pharmakotherapien und Präventionsstrategien seitens der Politik seien nötig, so Blüher abschließend.