Der Begriff Dystonie bezeichnet eine Gruppe von Bewegungsstörungen , die durch pathologische Spannungszustände der Muskulatur gekennzeichnet sind. Dystonien können bei einzelnen Muskeln, in Körperregionen oder generalisiert auftreten. Die meisten werden symptomatisch behandelt.
Dystonien sind Bewegungsstörungen, die durch unwillkürliche, anhaltende oder intermittierende Muskelkontraktionen verschiedener Körperteile charakterisiert sind. Die Muskelkontraktionen führen zu abnormen, oftmals repetitiven Bewegungen und/oder Fehlhaltungen, die jeweils ein typisches Muster aufweisen. Die dystonen Bewegungsmuster werden häufig durch willkürliche Muskelaktivität betroffener oder entfernter Muskelgruppen ausgelöst oder verstärkt (sog. Overflow-Effekt). Sie können mit verdrehenden Bewegungen einhergehen oder tremorartig sein.
Der Begriff „Dystonie“ wird synonym für eine eigenständige Krankheitsentität (isolierte oder kombinierte Torsionsdystonie und Varianten) oder ein klinisches Syndrom im Rahmen anderer Erkrankungen (komplexe Dystonie oder ein Krankheitssymptom („Off“-Dystonie bei Morbus Parkinson) verwendet.
Klassifikation der Dystonien
Die Klassifikation der Dystonien wurde in der S1 Leitlinie (2021) anhand des internationalen Konsensuspapier der Movement Disorder Society aus dem Jahr 2013 geändert. Man unterscheidet eine klinische Klassifikation nach klinisch-phänomenologischen Kriterien im ersten Schritt und eine nachfolgende Klassifikation nach Ätiologie zur weiteren Spezifikation.
Die klinische Klassifikation einer Dystonie beruht auf fünf klinisch-phänomenologischen Kriterien:
Alter bei Beginn: Säuglingsalter, Kindesalter, juvenil, frühes und spätes Erwachsenenalter
Topik: fokal, segmental, multifokal, generalisiert (mit oder ohne Beinbeteiligung) oder Hemidystonie
Krankheitsdynamik: statischer oder progredienter Langzeitverlauf
Symptomvariabilität im zeitlichen Auftreten: im Tagesverlauf persistierend, tageszeitlich fluktuierend, aufgabenspezifisch auftretend, oder paroxysmal
Assoziation mit weiteren Symptomen: isolierte Dystonie, kombiniert mit weiteren Bewegungsstörungen (kombinierte Dystonie) oder mit weiteren neurologischen Symptomen (komplexe Dystonie)
Klassifikation nach Ätiologie
Die Zuordnung des klinisch-phänomenologisch charakterisierten Dystonie-Syndroms zu einer ätiologischen Gruppe oder Entität wird anhand des Nachweises oder des Fehlens degenerativer oder sonstiger struktureller Gehirnveränderungen durch bildgebende Techniken sowie der Einordnung als hereditäre oder erworbene Erkrankung durchgeführt. Hierbei kann es zu Überlappungen kommen.
Nomenklatur erblicher Dystonien laut Movement Disorder Society:
Erbliche Dystonie-Formen, bei den der ursächliche Gendefekt bekannt ist, werden mit dem Präfix „DYT“, gefolgt vom Gen, bezeichnet (z. B. DYT-Tor1A für die DYT1-Dystonie). Bei kombinierten Dystonien werden die Präfixe der Erkrankungen kombiniert (z. B. DYT/PARK).
Tabelle: Erbliche isolierte oder kombinierte Dystonien. Modifiziert nach S1 Leitlinie Dystonien (2021)
Dystonie-Form / frühere Abk.
Beschreibung
Isolierte Dystonien
DYT-TOR1A / DYT1
Generalisierte Dystonie mit frühem Beginn.
Autosomal-dominanter Erbgang
DYT-THAP1 / DYT6
Segmentale oder generalisierte Dystonie, häufig mit prominenter Dysphonie, die im Jugendalter oder frühen Erwachsenenalter beginnt.
Autosomal-dominanter Erbgang
DYT-ANO3 / DYT24
Fokale (zervikale) oder segmentale Dystonie, begleitet von Tremor, die bei Kindern und Erwachsenen auftreten kann
Autosomal-dominanter Erbgang
DYT-GNAL / DYT25
Kraniozervikale Dystonie bei Erwachsenen
Autosomal-dominanter Erbgang
DYT-KMT2B / DYT28
Im Kindesalter und an den unteren Extremitäten beginnende, zumeist generalisierte Dystonie. Milde Gesichtsdysmorphien und z. T. leichte kognitive Einschränkungen. Aufgrund der (überwiegend milden) zusätzlichen Symptome wird diskutiert, ob Dystonien mit KMT2B-Mutationen den komplexen Dystonien zugeordnet werden sollten.
Autosomal-dominanter Erbgang
DYT-VPS 16 / Nicht vorhanden
Dystonie mit Beginn im Jugendalter
Autosomal-dominanter oder -rezessiver Erbgang
Kombinierte Dystonien
DYT/PARK-GCH1 / DYT5a
Dopa-responsive Dystonie. Segawa-Syndrom.
Autosomal-dominanter Erbgang
DYT/PARK-TH / DYT5b
Dopa-responsive Dystonie, die sich im Kindesalter manifestiert. Weitere Symptome: Entwicklungsverzögerung, axiale Hypotonie, autonome Störungen, Spastizität möglich. Überlappung mit komplexen Dystonien.
Autosomal-rezessiver Erbgang
DYT/PARK-SPR / Nicht vorhanden
Dopa-responsive Dystonie, die im Kindesalter beginnt. Weitere Symptome: axiale Hypotonie, Entwicklungsverzögerung, autonome Störungen, Hyperreflexie möglich. Überlappung mit komplexen Dystonien.
Autosomal-rezessiver Erbgang
DYT/PARK-ATP1A3 / DYT12
Rasch beginnender Dystonie-Parkinsonismus.
Autosomal-dominanter Erbgang
DYT/PARK-TAF1* / DYT3
Dystonie-Parkinsonismus bei Patienten philippinischer Herkunft (Insel Panay). X-chromosomaler Erbgang (Gründer-Effekt/Gentests für Patienten philippinischer Herkunft verfügbar)
DYT/PARK-PRKRA / DYT16
Generalisiertes Dystonie-Parkinson-Syndrom, das in der Jugend und an den unteren Extremitäten beginnt.
Autosomal-rezessiver Erbgang
DYT/MYOC-SGCE / DYT11
Myoklonus-Dystonie
Autosomal-dominanter Erbgang
DYT/MYOC-KCTD17 / DYT26
Myoklonus-Dystonie
Autosomal-dominanter Erbgang
Tardive Dystonien
Als tardive Dystonien (TD) bzw. Spätdyskinesien bezeichnet man erworbene Dystonien, die durch eine längere Therapie mit Neuroleptika/Antipsychotika ausgelöst wurden und nach dem Absetzen der Medikamente persistieren.
Musikerdystonie
Die Musikerdystonie ist eine fokale Dystonie, die sich beim Musizieren an den Körperteilen manifestiert, die bei jeweiligem Instrument besonders beansprucht werden. Ein Zusammenhang zwischen intensivem Musizieren und dem Ausbruch der Symptomatik ist sehr wahrscheinlich. Ähnliches gilt für den Schreibkrampf, der ebenfalls zu den fokalen Dystonien gehört.
Epidemiologie
Die Datenlage zur Epidemiologie der Dystonien ist zu spärlich für gesicherte Informationen. In einer Metaanalyse wurde die Prävalenz der isolierten Dystonien auf 16,4/100.000 geschätzt.
Musikerdystonie
Von einer Musikerdystonie sind ca. 1% aller professionellen Musiker betroffen. Für etwa 25% dieser betroffenen Musiker bedeutet die Dystonie das Ende ihrer beruflichen Karriere.
Ursachen
Für zahlreiche Dystonien konnten bereits ursächliche Gendefekte identifiziert werden (s. Tabelle erbliche isolierte oder kombinierte Dystonien). Das Segawa-Syndrom (Dopa-responsive Dystonie (DYT/PARK-GCH1) wird beispielsweise durch Mutation im Guanosintriphosphat-Cyclohydrolase 1 (GCH1)-Gen (kodiert für das schrittmachende Enzym für die Tetrahydrobiopterin-Synthese) verursacht. Darüber hinaus wurden bei etwa 25% der Patienten mit isolierten Dystonien mit Beginn im Erwachsenenalter eine positive Familienanamnese entdeckt, so dass auch diese Erkrankungen genetisch bedingt sein könnten. Bei vielen Patienten ist es jedoch nicht möglich, die Ursache für die Dystonie zu identifizieren.
Pathogenese
Die Pathogenese der Dystonien ist noch nicht abschließend geklärt. Derzeit besteht die Hypothese, dass eine zentrale Störung im Netzwerk der Basalganglien, des Cerebellums und des Cortex für die Dystonien verantwortlich ist. Diese Hypothese wird gestützt durch die häufige Assoziation komplexer Dystonien zu Läsionen im Bereich der Basalganglien und die Beeinflussung des dopaminergen Systems durch Medikamente, die eine Dystonie auslösen können. Darüber hinaus konnte bei Dystonie-Patienten anhand funktioneller Studien mit Positronen-Emissions-Tomographie eine veränderte Metabolitenaufnahme in den Basalganglien, verglichen mit gesunden Kontrollpersonen, beobachtet werden.
Aufgabenspezifische Dystonien
Die Pathogenese aufgabenspezifischer Dystonien, wie der Musikerdystonie, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit multifaktoriell. Man geht von der Kombination genetischer Prädisposition und exogenen Faktoren aus. Ein Review von 16 Veröffentlichungen mit insgesamt 1.144 Musikern ergab, dass dem Auftreten der Musikerdystonie meistens ein mindestens 10-jähriges intensives Musizieren (entsprechend etwa 10 000 Übungsstunden) vorausgeht und, dass das Körperteil, das beim Instrument des erkrankten Musikers feinmotorisch am stärksten gefordert war, auch am häufigsten betroffen war. Das mittlere Manifestationsalter der Musikerdystonie lag bei 28 bis 44 Jahren.
Symptome
Patienten mit einem dystonischen Syndrom zeigen bestimmte, typische Bewegungsmuster, die durch langsam wiederholte Muskelkontraktionen ausgelöst werden und abnorme Körperhaltungen zur Folge haben. Myokloniforme Bewegungsmuster im raschen Wechsel können ebenfalls auftreten. Ein Tremor tritt als Begleitsymptom der dystonischen Bewegungsstörungen bei > 50% der Patienten auf. Einige Patienten leiden bereits Jahre unter dem dystonen Tremor, bevor es zu den eigentlichen dystonen Bewegungsstörungen kommt. In Einzelfällen können Patienten ihre Dystonie durch sogenannte antagonistische Gesten (Trick-Manöver) lindern.
Bei einer Myoklonus-Dystonie kommt es während des dystonen Bewegungsmuster zu blitzartig einschießenden Myoklonien, die auch in entfernte Körperabschnitten auftreten können. Diese Myoklonien sind alkoholresponsiv.
Diagnostik
Der Anamnese kommt bei der Diagnostik der Dystonien eine zentrale Bedeutung zu. Im Rahmen der Dystonie-Anamnese sollten insbesondere folgende Themen besprochen werden:
Lebensalter bei Symptombeginn
Geburtsverlauf
frühkindliche motorischen Entwicklung
vorangegangene Hirntraumata oder -entzündungen
familiären Häufung von Bewegungsstörungen
Einnahme von Medikamenten
Ausschlusssymptome für eine idiopathische Dystonie
Folgende neurologische Symptome schließen eine idiopathische Dystonie aus:
Paresen
Pyramidenbahnzeichen
Ataxie
kognitive Leistungseinbußen
Weiterführende Untersuchungen bei Dystonien
Welche weiterführenden Untersuchungen im Einzelfall sinnvoll sind, hängt von der Form der Dystonie und vom Lebensalter bei Krankheitsbeginn ab.
Die S1-Leitlinien von 2021 empfehlen bei isolierter Dystonie im Kindesalter folgende Untersuchungen:
Empfohlene Untersuchungen bei isolierter Dystonie im Erwachsenenalter
Kraniale Kernspintomographie sind bei nicht progredienten fokalen Dystonien des höheren Alters, z. B. Blepharospasmus, zervikale Dystonie, selten indiziert)
Augenärztliche Spaltlampenuntersuchung bei Erwachsenen unter 50 Jahren (Screening auf Morbus Wilson)
Blut: BB, BSG, Leber-, Nierenwerte, Gerinnung; bei Verdacht auf Morbus Wilson Coeruloplasmin, Kupfer; bei Verdacht auf Syphilis Lues-Serologie; bei Verdacht auf Autoimmunerkrankungen Antinukleäre Antikörper (AK)
Urin: Kupferausscheidung bei Erwachsenen unter 50 Jahren (Screening auf Morbus Wilson)
Genetische Untersuchungen im Einzelfall
L-Dopa-Test im Einzelfall
Empfohlene Untersuchungen bei kombinierten, komplexen Dystonien
Beginn im jugendlichen Alter, sollte jedoch eine Ausschlussdiagnostik erfolgen
Sehr wichtig ist die Abklärung eines Morbus Wilson, weil die rechtzeitige Therapie dieser Erkrankung Folgeschäden verhindern kann.
Therapie
Die meisten Dystonien werden symptomatisch behandelt. Im Falle einer Dopa-responsiven Dystonie (DYT/PARK-GCH1, Segawa-Syndrom) gilt die Behandlung mit L-Dopa als ursächlicher Therapieansatz.. Patienten mit dem Segawa- Syndrom sprechen häufig auf niedrige Dosierungen von L-Dopa an (< 3 x 100 mg täglich). Die lebenslange Substitution von L-Dopa mit einem DOPA-Decarboxylase-Inhibitor (DDCI) kann zur Symptomfreiheit führen. Viele Patienten zeigen jedoch auch unter Behandlung dystone und Parkinson-Zeichen.
Da sich auch manche sekundäre Dystonie (z. B. die Myoklonus-Dystonie oder symptomatische Dystonien) unter L-Dopa leicht bessert, rät die Leitlinie dazu, bei allen im Kindes- und Jugendalter beginnenden Dystonien zu einem Therapieversuch mit L-Dopa.
L-Dopa wird dabei einschleichend bis zu einer maximalen Tagesdosis von 3 x 200 mg (bei Kindern 10 mg/kg Körpergewicht täglich auf drei Einzeldosen verteilt) dosiert. Der Therapieversuch sollte 8 Wochen dauern.
Fokale Dystonie im Erwachsenenalter: Bei einem Verdacht auf ein Parkinson-Dystonie-Syndrom wird ein 8-wöchiger Therapieversuch wird ein L-Dopa-Therapieversuch im Anfangsstadium empfohlen.
Symptomatische Behandlung
Die symptomatische Behandlung orientiert sich vor allem am Verteilungsmuster der Dystonie. Zu den Optionen gehören Injektionen mit Botulinum-Neurotoxin (BoNT), tiefe Hirnstimulation, orale antidystonische Medikamente, adjuvante Therapeutika und rehabilitative Maßnahmen. Zu den rehabilitativen Maßnahmen zählen Physiotherapie, Ergotherapie, Beschäftigungstherapie, Wiederherstellungs-Trainings, Sprachtherapie, Psychotherapie und soziale Begleitung. In einigen Fällen können Hilfsmittel oder antagonistische Gesten dem Patienten helfen. Eventuell kommen auch operative Verfahren in Frage.
Allgemeine Empfehlungen zur Therapie der Dystonie:
Fokale Dystonien: Lokale Injektion von BoNT A zur selektiven peripheren Denervierung der betroffenen Muskelgruppen gilt als Therapie der Wahl. Wenn die Wirkung der Behandlung nach mehreren Wochen nachlässt, müssen sie wiederholt werden. Hauptnebenwirkung von BoNT-Injektionen sind vor allem die Schwäche der behandelten Muskeln und die daraus folgenden Funktionseinschränkungen.
Wenn die Abstände zwischen den BoNT-Injektionen zu kurz sind, z. B. bei BoNT-Reinjektionen zur Wirkungsoptimierung, kann es zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern gegen Botulinumtoxin kommen. Die Patienten werden dann therapierefraktär. Das Risiko einer Antikörperentwicklung wächst auch mit der Behandlungsdauer und der Menge des injizierten BoNT.
Segmentale oder generalisierte Dystonien: Wenn die Dystonie in ausgedehnteren Muskelpartien auftritt, kommen systemische, medikamentöse Behandlungsstrategien zum Einsatz. Bei besonders störenden fokalen Symptomen wird zusätzlich eine lokale BoNT-Therapie eingesetzt.
Bei in den Extremitäten beginnenden, später generalisierten Dystonien mit Beginn im Kindes- oder Jugendalter sollte das Ansprechen auf L-Dopa in einem chronischen L-Dopa-Test über 8 Wochen untersucht werden.
Das Anticholinergikum Trihexyphenidyl ist bei idiopathisch generalisierten Dystonien wirksam. Bei fokalen Dystonien wirkt Trihexyphenidyl jedoch schwächer und ist lokalen Injektionen mit Botulinumtoxin unterlegen.
Bei schweren, medikamentös therapierefraktären Dystonien sollte die Indikation zur tiefen Hirnstimulation (THS) in einem Zentrum mit Erfahrung in der interventionellen Therapie von Bewegungsstörungen geprüft werden. Die Effektivität der tiefen Hirnstimulation gilt als gesichert bei primären segmentalen und generalisierten Dystonien sowie zervikalen Dystonien, die unzureichend auf BoNT ansprechen.
Empfehlungen für die Behandlung der einzelnen dystonen Syndrome
Fokale Dystonien
Blepharospasmus
BoNT-Injektionen sollen erwogen werden.
Therapien mit Anticholinergika oder Tetrabenazin können erwogen werden.
Beim Meige-Syndrom (Kombination aus Blepharospasmus und oromandibulärer Dystonie) kann eine tiefe Hirnstimulation erwogen werden.
Der Einsatz einer sogenannten Ptosis- oder Ptosis-Steg-Brille oder einer auch seitlich schützenden Sonnenbrille kann erwogen werden.
Oromandibuläre Dystonie
BoNT-Injektionen sollen erwogen werden; Therapie mit Tetrabenazin kann erwogen werden. Beim Meige-Syndrom kann eine tiefe Hirnstimulation erwogen werden.
Der Einsatz von Kiefer- bzw. Zahnsplints oder Zahnprothesen kann erwogen werden.
Zervikale Dystonie (Torticollis spasmodicus)
BoNT-Injektionen und tiefe Hirnstimulation sollen erwogen werden.
Bei erfolgloser BoNT-Therapie sollte eine selektive periphere Denervierung erwogen werden.
Anticholinergika sollten erwogen werden; Tetrabenazin kann erwogen werden.
Zur Behandlung von begleitenden Schmerzen sollte Kinesio-Taping erwogen werden.
Schreibkrampf (Graphospasmus)
Botulinumtoxin soll erwogen werden.
Schreiborthesen sollen bei Schreibkrampf und Schreibtremor angeboten werden.
Kinesio-Taping sollte bei Schmerzen und Missempfindungen erwogen werden.
Der Einsatz einer Unterarm- und Finger-Splint-Immobilisation sollte bei Klavier- und Gitarrenspielern mit Musikerkrämpfen erwogen werden. Dieser muss jedoch mit einem langfristigen spezifischen Training kombiniert werden.
Eine isolierte kurzzeitige Immobilisierung in einem Arm-Split kann bei beschäftigungsbezogenen Dystonien erwogen werden.
Laryngeale Dystonie (spasmodische Dysphonie)
BoNT-Injektion soll für den Adduktortyp erwogen werden.
Segmentale, multifokale und generalisierte Dystonien
Idiopathische generalisierte Dystonien des Kinder- und Jugendalters
Bei Dopa-responsiver Dystonie soll ein L-Dopa-Test erwogen werden.
Anticholinergika und tiefe Hirnstimulation sollen erwogen werden.
Botulinumtoxin soll bei störenden Fokalsymptomen erwogen werden.
Hilfsmittel bei Extremitätendystonien, idiopathische generalisierte Dystonie des Kindesund Jugendalters, idiopathische generalisierte Dystonie des Erwachsenenalters
Zur Behandlung von begleitenden Schmerzen sollte Kinesio-Taping erwogen werden.
Das Tragen von gelenkstabilisierenden und tonusregulierenden Orthesen und orthopädischen Schuhen kann erwogen werden.
Bei schweren Mobilitätseinschränkungen sollten der frühe Einsatz und die Anpassung sowie das Training mit einem Elektrorollstuhl angeboten werden
Tardive Dystonien
Botulinumtoxin soll bei störenden Fokalsymptomen erwogen werden.
Folgende Behandlungen können bei tardiven Dystonien erwogen werden:
Anticholinergika (Cave: Exazerbation einer vorbestehenden Psychose und Verstärkung choreatiformer Hyperkinesen)
Baclofen (Cave: Exazerbation einer vorbestehenden Psychose)
Benzodiazepine
Der Einsatz eines sogenannten Geste Device (Trick-Manöver-Hilfsmittel) kann bei tardiven zervikalen Dystonien mit Retrocollis- bzw. Ophistotonushaltungen erwogen werden.
Andere sekundäre Dystonien
Botulinumtoxin soll bei störenden Fokalsymptomen erwogen werden.
Folgende Behandlungen können bei anderen sekundären Dystonien erwogen werden:
Anticholinergika (soll bei infantiler Zerebralparese (ZP) nicht erwogen werden; Cave: Verstärkung choreatiformer Hyperkinesen)
Baclofen oral
Tetrabenazin
Benzodiazepine
Tiefe Hirnstimulation
Baclofen intrathekal (bei einer ZP sollte Baclofen intrathekal erwogen werden)
Kinesio-Taping bei begleitenden Schmerzen
Orthesen (besonders des Sprunggelenks) und orthopädischen Schuhen
Folgende Hilfsmittel sollten bei anderen sekundären Dystonien erwogen werden:
Das Tragen von Splints (zur langfristigen Ruhigstellung in einem Lykra-Splint)
Der frühe Einsatz und die Anpassung sowie das Training mit einem Elektrorollstuhl bei schweren Mobilitätseinschränkungen
Behandlung der dystonen Krise
Ein abruptes Absetzen der Medikation, eine schwere Allgemeinerkrankung oder der Ausfall eines Neurostimulationssystems können zu einer krisenhaften Verschlechterung einer schweren generalisierten Dystonie führen. Die dystone Krise geht mit Verkrampfungen einher, die die Patienten immobilisieren, ihre Atmung einschränken, zur Rhabdomyolyse führen und lebensbedrohlich sind. Betroffene Patienten müssen intensivmedizinisch behandelt und u.U. beatmet und relaxiert werden. In der Akutbehandlung können Benzodiazepine und Baclofen (auch intrathekal) eingesetzt werden. Es gibt Berichte über das Durchbrechen einer schweren dystonen Krise mittels tiefer Hirnstimulation des Globus pallidus internus (GPi).
Prognose
Die Prognose der Dystonie ist abhängig von ihrer Art und Ursache.
Hinweise
Zachary Caffal und Kollegen haben möglicherweise einen neuen Ansatz zur Therapie der von einer Mutation des Gens TOR1A verursachten DYT1-Dystonie entdeckt. Die Wissenschaftler konnten 2021 zeigen, dass Ritonavir, ein zugelassener HIV-Protease Inhibitor, in vitro Protein Misslokalisationen korrigierte und im DYT-1-Knock-in-Mausmodell Verbesserungen auf phänotypischer und zellulärer Ebene bewirkte, wenn es in einer frühen postnatalen Phase verabreicht wurde.
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