Ursachen
Ursache der Hodentorsion ist eine abnorme Beweglichkeit des Hodens innerhalb seiner Hüllen und seiner Aufhängung (Gubernaculum, physiologische Fixpunkte gegen die Tunica vaginalis testis). Retinierte oder verspätet deszendierte Hoden im Rahmen eines Hodenhochstands sind stärker torsionsgefährdet als normal deszendierte Hoden [1,7–9].
Überdies erhöhen anatomische Varianten das Erkrankungsrisiko – etwa die Bell-clapper-Anomalie, bei der die Fixierung des Gubernaculums, Hodens und Nebenhodens fehlt [1,10][11].
Die übermäßige Mobilität der Hoden bei extrem weitem Bewegungsradius wirkt sich prädisponierend auf eine Hodenverdrehung aus. Schon geringfügige äußere Rotationsstimuli können eine Eigenrotation des betroffenen Hodens bedingen. Dazu gehören zum Beispiel sportliche Aktivität, Traumata, ein plötzlicher Kremasterreflex oder M. Dartos-Kontraktionen [1,[12–17].
Pathogenese
Bei der plötzlichen Samenstrangtorquierung werden die Testikulargefäße komprimiert. Daraus resultiert initial eine venöse Abflussbehinderung bei noch erhaltener arterieller Durchblutung (inkomplette Torsion). Infolge der arteriellen Weiterversorgung kommt es zur Stase von Blut mit Kongestion und Schwellung, die schrittweise in ein interstitielles Ödem mit sekundärer arterieller Obstruktion übergeht. Bei arterieller Obstruktion und fehlendem venösem Abstrom drohen venöse und arterielle Thrombosen sowie eine hämorrhagische Infarzierung des Hodenparenchyms. Ein vollständiger Perfusionsverlust (komplette Torsion) führt innerhalb von zwei bis zwölf Stunden (im Mittel sechs bis acht) zu einer irreversiblen Hodennekrose und Organverlust [1,17–20].
Von einer kompletten Hodentorsion spricht man bei einer Drehung > 360 Grad. Irreversible Schädigungen des Hodenparenchyms wurden bereits ab einer Ischämiezeit von vier Stunden nachgewiesen [17,21–23].
Rund ein Drittel aller Patienten mit einer Hodentorsion erlebt im Vorfeld rezidivierende inkomplette Torsionen mit flüchtigen Beschwerden infolge einer spontanen Detorsion. Diese verursachen augenscheinlich keine bleibenden Schäden am Hoden, steigern allerdings das Risiko, ein klinisch relevantes Torsionsereignis zu erleiden [1,5,6,9,10,24].
Symptome
Eine Hodentorsion äußert sich mit plötzlich einsetzenden heftigen Schmerzen in einer Skrotalhälfte. Der betroffene Hoden ist stark druckschmerzhaft, eine Palpation ist kaum möglich. Die Schmerzen können inguinal und in den Unterbauch ausstrahlen und mit vegetativen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch und Tachykardie bis hin zum Schock einhergehen. Der Hoden schwillt zunehmend an und das betreffende Hodenfach ist mäßig gerötet. Der torquierte Hoden steht höher und erscheint weniger mobil als auf der kontralateralen, nicht betroffenen Seite. Mitunter liegt der Hoden quer oder ist körpernah fixiert. Jegliche Manipulation ist schmerzhaft, insbesondere das Anheben des Hodens [1,9,13,14,25–28].
Eine akute Torsion tritt in der Regel unabhängig von Tageszeit, körperlicher Aktivität oder äußeren Einflüssen auf. In etwa einem Drittel der Fälle finden sich anamnestisch ähnliche Episoden [1,29].
Hodentorsion bei nicht deszendierten Hoden
Nicht deszendierte Hoden (Hodenhochstand) sind mit einem bis zu 10-fach höheren Torsionsrisiko assoziiert. Mit einem Anteil von 10 Prozent aller Torsionen handelt es sich jedoch um seltene Ereignisse. Ein verdrehter deszendierter Hoden findet sich vorzugsweise bei Säuglingen und tritt meist linksseitig auf [1,9,23,30].
Jenseits der Neonatalperiode sind mehr als die Hälfte der Torsionen nicht deszendierte Hoden oder solche mit einer übermäßigen Mobilität (Pendelhoden). Dies erschwert die Diagnose. Typisch ist eine schmerzhafte, mit Rötung und Überwärmung einhergehende inguinale Schwellung bei leerem Skrotalfach. Beim Bauchhoden (Retentio testis abdominalis) ist die Diagnose wegen der diffusen Symptomatik noch schwieriger [1,9,31].
Bei einer rechtsseitigen Torsion ist die Verwechslungsgefahr mit einer akuten Appendizitis möglich [1,32].
Diagnostik
Differenzialdiagnose
Die Hodentorsion gehört zum Krankheitsbild des akuten Skrotums. Unter dem Begriff werden plötzlich einsetzende Schmerzen im Skrotalbereich verstanden, die charakteristischerweise mit einer Rötung, Schwellung und/oder Überwärmung des Hodens einhergehen. Typisch ist die rasche Einbindung initial nicht beteiligter skrotaler Strukturen, wodurch die differenzialdiagnostische Abgrenzung erschwert wird.
Typische Differenzialdiagnosen sind [1,17,33,34]:
- akute Epididymitis
- Orchitis
- Hodentrauma, traumatische Hämatozele
- Hydatidentorsion
- inkarzerierte Leistenhernie
- Varikozele
- Hodentumor
- Hodenruptur
- Skrotalemphysem
- Skrotalödem
- Harnleiterkolik
- akute Appendizitis
- Immunvaskulitis
Diagnostik
Der Verdacht auf eine Hodentorsion ergibt sich aus der Anamnese, Klinik und körperlichen Untersuchung; bildgebende Verfahren untermauern die Diagnose. Aufgrund der kurzen Ischämietoleranz des Hodenparenchyms müssen die Anamneseerhebung und klinische Untersuchung bei akuten skrotalen Beschwerden unmittelbar hintereinander erfolgen.
Anamnese
Anamnestisch ist der genaue zeitliche Ablauf der Schmerzsymptomatik (Beginn/Intensität?) zu klären; im Säuglings- und Kleinkindalter geschieht dies fremdanamnestisch. Bei größeren Patienten sind die Angaben mitunter vage oder bleiben ganz aus – hier spielen Scham, hohe Schmerztoleranz oder eine tatsächliche Indolenz (Paraplegie) eine Rolle. Dadurch kann sich der Behandlungsbeginn verzögern [1].
Länger bestehende Beschwerden können – unabhängig vom Alter des Patienten – das weitere Therapiemanagement verkomplizieren. Patienten mit einem akuten Skrotum sollten daher frühzeitig dem operativ tätigen Facharzt vorgestellt werden [1,14,25,27].
Anamnestisch muss das Vorhandensein einer Leistenhernie oder eines Hodenhochstands eruiert werden. Ebenso ist die akute Symptomatik daraufhin zu prüfen. Episoden früherer lokaler Schmerzereignisse und Angaben zu tageszeitlichen oder belastungsabhängigen Veränderungen der Größe des Skrotalfaches sind hinweisend [13,35].
Lokale Traumen sind zu erfragen, da diese vergleichbare Beschwerdekonstellationen verursachen können [1].
Überdies müssen durchgemachte oder begleitende Infektionen, insbesondere Viruserkrankungen, erfragt werden. Differenzialdiagnostisch wichtig sind Fieber, Abgeschlagenheit, Dysurie, Flanken-/ Unterbauchschmerzen, kolikartige Beschwerden oder eine begleitende Hämaturie (DD: Harnwegsinfektion/Urolithiasis), ebenso Gelenkbeschwerden, allgemeine Hautphänomene oder Kopfschmerzen (DD: Immunvaskulitis) [1].
Übelkeit und Erbrechen können bei einer Hodentorsion als vegetative Begleitsymptomatik schmerzassoziiert auftreten, aber auch Anzeichen einer allgemeinen Infektion oder abdominellen Erkrankung sein. Gleiches gilt für Leisten- oder Unterbauchbeschwerden sowie vegetative Veränderungen wie Tachykardie oder Schweißausbruch bis hin zum Schock [1].
Fragen bezüglich einer B-Symptomatik im Rahmen einer hämatologischen Erkrankung, nach neu aufgetretenen Hämatomen oder Petechien gehören ebenfalls zur anamnestischen Befunderhebung [17].
Sexuelle Aktivität kommt als weitere potentielle Quelle für skrotale und dann häufig entzündlich bedingte Beschwerden in Betracht – diese Thematik erfordert in der Adoleszenz eine große Sensibilität [1].
Bei peri- und postnatalen Auffälligkeiten am Skrotum sollte an eine Torsion gedacht werden [1].
Körperliche Untersuchung
Die körperliche Untersuchung muss bei akutem Skrotum unverzüglich erfolgen – altersabhängig mit den Eltern oder alleine (Adoleszenz). Eine ruhige und angstfreie Umgebung bei der Befunderhebung erweist sich als hilfreich. Bei drohendem Zeitverzug sind jedoch eine gezielte Ansprache und Befunderhebung über persönliche Befindlichkeiten des Patienten hinweg gerechtfertigt. Wenn immer möglich sollte der Patient im Stehen und liegend untersucht und ein detaillierter Genitalstatus erhoben werden [1,13,36].
Cave: Bei einem torquierten Hoden sind jegliche Manipulationen schmerzhaft.
Inspektorisch muss auf Rötungen, Schwellungen, Asymmetrien, Ödeme, Hämatome oder Petechien sowie umschriebene Verletzungen, Insektenstiche oder anderweitige Läsionen geachtet werden. Eine aufgehobene Fältelung der Skrotalhaut, Undulation durch eine Hydrozele oder schmerzende Haut an sich können auf eine den Skrotalinhalt wahrscheinlich nicht betreffende Genese hinweisen [1].
Palpatorisch geprüft werden die Hoden auf ihre Lage, Größe, Konsistenz, Schmerzhaftigkeit und Abgrenzbarkeit zum Nebenhoden sowie deren Mobilität in den jeweiligen Skrotalfächern – immer im Vergleich zur Gegenseite und in Relation zu den vom Patienten geschilderten Beschwerden. Wenn möglich, sollten Hoden und Nebenhoden getrennt beurteilt werden [1].
Suspekte Tastbefunde am Parenchym, innerhalb der Hodenhüllen und im Bereich des Samenstrangs werden dokumentiert und differenzialdiagnostisch bewertet. So weist eine durch die Skrotalhaut sicht- und tastbare schmerzhafte Resistenz am oberen Hodenpol (Blue-dot-sign) auf eine stielgedrehte Hydatide hin; schmerzlose strangförmige Resistenzen periskrotal sind hinweisgebend auf eine idiopathische Varikozele (häufiger links). Eine quere, auffallend mobile Position beider Hoden im Skrotum ist mit einer Bell-clapper-Anomalie mit erhöhtem Torsionspotential vereinbar [1].
In weiterer Abfolge schließen sich die Palpation von Leistenkanal und Abdomen an [1].
Kremasterreflex und das Prehn-Zeichen
Hinweisgebende Zeichen bei einer Hodentorsion sind der Kremasterreflex und das Prehn-Zeichen.
- Als Kremasterreflex bezeichnet man die Kontraktion des Musculus cremaster durch Bestreichung der Innenseite des Oberschenkels mit konsekutiver Hebung des gleichseitigen Hodens. Bei einer Hodentorsion ist der Kremasterreflex auf der betroffenen Seite nicht auslösbar (Seitenvergleich).
- Das Prehn-Zeichen beschreibt das Schmerzverhalten bei Anhebung des Hodens. Nehmen die Schmerzen zu oder bleiben unverändert bestehen, ist das Prehn-Zeichen negativ; das spricht für eine Hodentorsion. Bei einer Orchitis oder Epididymitis verringern sich die Schmerzen (positives Prehn-Zeichen) hingegen. Die Prüfung im Kindesalter ist allerdings schwierig und gilt als unzuverlässig.
Früher eingesetzte diagnostische Marker wie das Gersche-Merkmal bzw. Ger-Zeichen (eingezogene Skrotalhaut am Boden des Skrotums) und das Tenkhoff-Zeichen (pergamentartiges Knistern bei skrotaler Berührung) sind heute nicht mehr von Bedeutung [1,32,35].
Sonografie
Nach der klinischen Befunderhebung folgen bildgebende Verfahren. Den höchsten diagnostischen Stellenwert hat hier die Sonografie. Voraussetzung für eine effiziente Diagnose sind eine hohe Qualität von Ultraschallgerät und Schallköpfen (zu empfehlen sind 9 bis 15 MHz-Linearschallköpfe, ggf. höher), standardisierte Untersuchungsabläufe mit reproduzierbaren Messparametern und eine hinreichende Erfahrung des Untersuchers. Ziel ist die morphologische Darstellung des Hodens mittels B-Mode und farbkodierter Dopplersonografie. Der Seitenvergleich und eine ausreichend gute Befunddokumentation sind obligat.
B-Mode
Morphologisch werden die Skrotalhüllen und das Hodenvolumen (Ellipsoidformel: axbxc/2), dessen Echogenität und pathologische Veränderungen einschließlich der Form im Seitenvergleich beurteilt. Neben intratestikulären Besonderheiten (Tumor, Parenchymläsion) ist nach paratestikulären Auffälligkeiten (möglichen Hydatiden, Hämatomen, Plexusveränderungen) zu suchen. Die Nebenhoden sind in gleicher Weise zu beurteilen [1,37–40].
Die Morphologie des Hodens im B-Bild bei einer Hodentorsion kann – abhängig von der Dauer und Ausprägung der Ischämie – variieren. Initial sind in der Regel keine oder nur minimale Veränderungen sichtbar. In Einzelfällen imponiert eine allgemeine Hypoechogenität des Parenchyms bei zunehmender Volumenvergrößerung. Inhomogenitäten im Hodenparenchym weisen auf Nekrosen oder Einblutungen hin. Bei/nach stattgehabter Hodentorsion ist der Nachweis eines homogenen Hodenparenchyms prognostisch günstiger als vorhandene/verbliebene strukturelle Inhomogenitäten [1,38,40–42].
Farbdoppler
Die farbkodierte Dopplersonographie ermöglicht eine rasche und zuverlässige Beurteilung der Hodendurchblutung. Deshalb spielt sie in der Diagnostik und Differenzialdiagnostik des akuten Skrotums eine entscheidende Rolle. Moderne hochempfindliche Farbdopplerprogramme ermöglichen die Darstellung der intratestikulären Gefäße und Testikulargefäße entlang des Samenstrangs sowohl beim Säugling als auch im präpubertären Hoden. Zur qualitativen Beurteilung der Hodendurchblutung kann ergänzend die Power-Doppler-Sonographie eingesetzt werden [1][38][43][44].
Der seitengleiche Nachweis einer arteriellen und venösen Gefäßdurchblutung im Hodenparenchym spricht gegen eine Hodentorsion bzw. schließt diese aus. Bei fehlendem oder im Seitenvergleich vermindertem intratestikulärem Flusssignal ist eine Hodentorsion hingegen wahrscheinlich. Cave: Bei intravaginaler Torsion ist selbst bei kompletter Torsion eine verstärkte Durchblutung der Skrotalwand- und Kapselgefäße möglich. Diese können im Ultraschall eine erhaltene Hodendurchblutung vortäuschen [1].
Der alleinige Nachweis des arteriellen Flusses reicht nicht aus, um eine Torsion sicher auszuschließen. Eine partielle Torsion (< 360°) könnte so übersehen werden [1].
Eine Spektralanalyse (Triplexmode) und die Messung des Resistance-Index (RI) der Hodengefäße bleiben dem erfahrenen Untersucher vorbehalten [40,42,45].
Ein weiteres sonografisches Zeichen auf das Vorliegen einer Hodentorsion ist die direkte Darstellung des verdrehten Samenstranges (whirlpool sign). Das whirlpool sign ist auch bei der Diagnostik einer inkompletten Torsion aussagekräftig [6,4344].
Falsch positive Dopplerbefunde sind besonders bei Neugeborenen und Kleinkindern möglich, da hier ein physiologisch reduzierter Blutfluss zu erwarten ist [46].
Der sonografische Aussagewert ist am bedeutsamsten, wenn der klinische Untersuchungsbefund eher gegen eine Torsion spricht. Hier muss der Ultraschallbefund unzweifelhaft belegen, dass auf eine Hodenfreilegung verzichtet werden kann. Kann eine Torsion auch sonografisch nicht sicher ausgeschlossen werden, ist die operative Hodenexploration zur Befundsicherung zwingend erforderlich. Verlaufskontrollen könnten dazu führen, dass das Zeitfenster für eine auf den Hodenerhalt ausgerichtete operative Versorgung verpasst wird [1,47–50].
Alle Befunde müssen – auch im Hinblick auf forensische Gründe – ausreichend dokumentiert werden [1].
Labor
Laborchemische Parameter sind in der Differentialdiagnose des akuten Skrotums im Notfall von untergeordneter Bedeutung [9].
Bei Verdacht auf Entzündungen können ein Differenzialblutbild und das C-reaktive Protein bestimmt werden. Wird ein Hodentumor vermutet, ist – neben der Akutversorgung – die Bestimmung tumorspezifischer Parameter obligat. Ein Urinsediment dient dem Ausschluss einer Harnwegsinfektion. Die Diagnose und Therapie der Epididymoorchitis erleichtert der Keimnachweis im Urin, in Abstrichen aus dem Harnröhrensekret oder in intraoperativ gewonnenen Proben [1].
Magnetresonanztomografie (MRT)
Grundsätzlich ist die Magnetresonanztomografie (MRT) sehr aussagekräftig und zuverlässig in der Diagnostik von testikulären Erkrankungen. Der Ausschluss einer Hodentorsion ist mit hoher Sensitivität möglich. Im klinischen Alltag sprechen jedoch der hohe zeitliche Aufwand, die erforderliche Sedierung jüngerer Patienten, die unzureichende Verfügbarkeit (24h/d) und die hohen Kosten gegen einen Einsatz in der Routinediagnostik. Für die weiterführende Diagnose und besonders in der Differentialdiagnose eines tumorösen Geschehens ist die MRT indes ein wichtiges Untersuchungsinstrument [51–54].
Szintigraphie
Die Szintigraphie spielt in der Akutdiagnostik skrotaler Beschwerden im Kindes- und Jugendalter in Deutschland keine Rolle. Strahlenbelastung, erforderliche Vorhaltung rund um die Uhr und die breite Verfügbarkeit der Sonografie als strahlensparende Alternative sprechen gegen ihren routinemäßigen Einsatz bei Verdacht auf Hodentorsion [1].
Therapie
Bei der Behandlung der Hodentorsion steht die Wiederherstellung normaler anatomischer Verhältnisse im Vordergrund. Therapeutisch wird zwischen der manuellen und offenen chirurgischen Detorsion unterschieden.
Manuelle Detorsion
Die manuelle Detorsion ist bei gesicherter Hodentorsion ausschließlich außerklinischen Notfällen vorbehalten, zudem kann sie bei absehbarem Zeitverzug für eine operative Versorgung eine Option darstellen. Voraussetzungen sind eine kurze Schmerzanamnese, das Wissen um die skrotale Hodenposition und bislang fehlende Begleitveränderungen. Ferner erfordert diese Behandlungsmethode eine detaillierte Kenntnis der Drehrichtung und Erfahrungen des Therapeuten. Die Einwärtsdrehung der Hoden stellt die typische Torsionsrichtung dar. Hier ist eine Auswärtsdrehung (aus Sicht des Untersuchers rechts gegen links in Uhrzeigersinn) erforderlich. Hilfreich ist die Eselsbrücke „Wird der Hoden dir zur Qual, dreh ihn stets nach lateral“. Es gibt jedoch Torsionen, bei der sich der Hoden in die entgegengesetzte Richtung (also nach außen bzw. lateral) gedreht hat und eine therapeutische Einwärtsdrehung (aus Sicht des Untersuchers links gegen rechts gegen den Uhrzeigersinn) erforderlich ist. Unter Operationsbedingungen bei operierten Patienten mit Hodentorsion ist dies in etwa 33 Prozent der Fälle zu beobachten. Vor der manuellen Detorsion muss deshalb auf entsprechende Anzeichen geachtet werden [1,55–57].
Die Detorsion ist erfolgreich, wenn die Beschwerden unverzüglich nachlassen und ein normalisierter Tastbefund erhoben werden kann [1].
Unabhängig vom Erfolg der manuellen Detorsion muss zeitnah die prophylaktische beidseitige Orchidopexie durchgeführt werden. Die Experten der Leitlinie „Akutes Skrotum im Kindes- und Jugendalter“ plädieren mit hohem Konsens (86%) für eine Frist von zwölf bis 24 Stunden. Bestehen auch nur geringste Zweifel bezüglich der Vollständigkeit der Detorsion, muss der Hoden unverzüglich operativ freigelegt werden. [1,56–58].
Offen chirurgische Detorsion
Die offen chirurgische Detorsion sollte so rasch wie möglich – innerhalb der ersten vier bis sechs Stunden – erfolgen. Nach einem Zeitfenster von acht Stunden erhöht sich die Inzidenz einer späteren Hodenatrophie oder primär irreversiblen Nekrose bei kompletter Torsion signifikant. Die Dringlichkeit (jede Hodentorsion ist ein urologischer Notfall) ist auch deshalb geboten, weil etliche Patienten erst spät vorstellig bzw. diagnostiziert werden [1,4,22].
Der Eingriff erfolgt in der Regel von skrotal und nur in begründeten Fällen (Hodenhochstand, inkarzerierte Hernie, unklarer Befund/DD: Tumor) von inguinal. Nach Freilegung und Detorsion des Hodens sollte die Erholung des Hodens (im Zweifelsfall bis zu 30 Minuten) abgewartet werden. Mehrheitlich wird das Auflegen warmer Kochsalz-Kompressen empfohlen; andererseits gibt es vor dem Hintergrund des protektiven Effektes auf die Spermatogenese und zur Reduktion möglicher Schäden im Rahmen der akuten Reperfusion auch Meinungen, die eine lokale Kühlung präferieren [1,59–62].
Für eine begleitende medikamentöse Therapie zur Restitution der Hodenfunktion gibt die Leitlinie keine Empfehlungen [1].
Beidseitige Orchidopexie
Zur Vorbeugung einer kontralateralen Hodentorsion hat sich die beidseitige Orchidopexie etabliert. Diese kann während des Torsionseingriffs erfolgen. Eine separate Operation wird nur bei ausgedehnten, reaktiv entzündlichen Veränderungen des gesamten Skrotums empfohlen [1,58].
Bei offener Detorsion bei einem inguinal retinierten Hoden ist eine gleichzeitige Pexie mit entsprechender Funikulolyse möglich. Sprechen Lokalbefund und Durchblutungssituation des Hodenparenchyms dagegen, wird inguinal nur detorquiert; die Orchidofunikulolyse und -pexie kann dann innerhalb von sechs bis acht Wochen folgen [1,23,63].
Prothetische Versorgung
Bei ausgeprägtem Ischämieschaden des Hodenparenchyms und sicher nekrotischem Hoden sollte eine Orchiektomie (Ablatio testis) erfolgen. Der Verlust eines Hodens kann neben der körperlichen (kosmetischen) Beeinträchtigung eine psychologische Belastung darstellen, insbesondere wenn er bewusst wahrgenommen wird. Hier ist die Implantation einer Hodenprothese zu erwägen, beim adulten Patienten bereits im Zuge des ablativen Eingriffs. Abhängig vom Alter und Wunsch des Patienten kann damit aber auch zugewartet werden [1,64–66].