
Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) tritt in zwei Drittel der Fälle nach einer Infektion auf. Gerade nach bakteriellen oder viralen Infektionen des Magen-Darm- und Respirationstraktes kommt es zu dieser demyeliniserenden Neuropathie, die vermutlich durch Autoantikörper verursacht wird.
Guillain-Barré-Syndrom bei COVID-19
COVID-19 wird durch eine virale Infektion mit SARS-CoV-2 ausgelöst. Nun wurden erste Kasuistiken veröffentlicht, in denen über ein GBS bei Corona-Patienten berichtet wurde.
Erster Fallbericht: Zufall oder Kausalität?
Ob Zufall oder Kausalität, diese Frage formulieren die Autoren bereits in der Überschrift des ersten Fallberichtes aus China [1]. Eine 61 Jahre alte Frau wurde mit Paresen der unteren Extremitäten in der Klinik vorstellig. Atemwegssymptome, Fieber oder Diarrhoe lagen bei der Patientin nicht vor. Die Paresen entwickelten sich in den nächsten drei Tagen progredient. Zur Therapie wurden Immunglobuline intravenös verabreicht. Am 8. Tag traten Husten und Fieber auf, im CT wurden Milchglastrübungen als Zeichen einer viralen Pneumonie festgestellt. Der Rachenabstrich auf SARS-CoV-2 fiel positiv aus.
Normalerweise tritt ein GBS 10 Tage bis 4 Wochen nach einer Infektion auf, wenn diese meist schon wieder ausgeheilt ist. In der vorliegenden Kasuistik trat das GBS schon vor den Symptomen von COVID-19 auf, so dass die Autoren die Möglichkeit eines zufälligen Auftretens der beiden Erkrankungen in Betracht ziehen.
Fünf Fälle aus Norditalien
Fünf COVID-19-Patienten aus Italien entwickelten 5 bis 10 Tage nachdem Symptome von COVID-19 auftraten ein GBS [2]. Von diesen fünf Patienten mussten drei Patienten maschinell beatmet werden. Ob die Beatmung aufgrund des GBS – im Rahmen einer auftretenden Landry-Paralyse – oder aufgrund der respiratorischen Infektion mit SARS-CoV-2 nötig wurde, konnte nicht differenziert werden.
Miller-Fisher-Syndrom
Eine Arbeit aus Spanien berichtet von zwei COVID-19-Patienten mit einem Miller-Fisher-Syndrom [3]. Bei dieser Variante des GBS sind vor allem die Hirnnerven betroffen. Im Serum der Patienten wurden Gangliosid-Antikörper nachgewiesen, die das Miller-Fisher-Syndrom auslösen können. Beide Patienten hatten einen SARS-CoV-2 positiven Rachenabstrich.
Frühes Auftreten nach Infektion
Bei den vorgestellten Kasuistiken trat das GBS sehr früh nach der Infektion bzw. noch während der Infektion mit SARS-CoV-2 auf. In dem ersten berichteten Fall aus China traten die neurologischen Symptome sogar vor den respiratorischen Symptomen auf, weshalb die Verfasser eine Kausalität bezweifeln.
Die Autoren der italienischen Studie betonten auch die Wichtigkeit der Differenzierung eines GBS von einer Critical Illness-Neuropathie und -Myopathie, welche später im Verlauf einer Erkrankung auftreten als das GBS [2]. Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), betont die Relevanz dieser Unterscheidung in Hinblick auf die Therapie, damit die Behandlung mit Immunglobulinen beim GBS nicht versäumt wird [4].
Differentialdiagnose bei maschineller Beatmung
Die Experten der DGN betonen in der Pressemeldung, dass bei Patienten mit GBS und dessen Variante Miller-Fisher-Syndrom, abgeklärt werden müsse, ob eine Infektion mit SARS-CoV-2 vorliegt. Umgekehrt müsse bei COVID-19-Patienten das Auftreten eines GBS oder Miller-Fisher-Syndroms bedacht werden, wenn eine maschinelle Beatmung notwendig wird, gleichzeitig die Befunde aus der bildgebenden Diagnostik der Lunge aber nicht auf eine entsprechend schwere Organschädigung hindeuten.