
Die idiopathische Fazialisparese – auch als Bell’s palsy bezeichnet – stellt die häufigste Hirnnervenläsion dar. Die Inzidenz steigt mit zunehmendem Lebensalter und liegt bei 7-40 Patienten jährlich pro 100.000 Personen. Es gibt keine geschlechtliche Prädisposition. Die genaue Ursache der Erkrankung ist bislang unklar, diskutiert werden zellvermittelte autoimmune Entzündungen, die Reaktivierung einer Herpes-simplex-Infektion (HSV Typ 1) und ischämische Faktoren.
Leitlinie informiert über Diagnostik und Therapie der Hirnnervenläsion
Unter Federführung von Professor Dr. Josef G. Heckmann, Landshut, wurde die S2k-Leitlinie zur Therapie der idiopathischen Fazialisparese nun überarbeitet und liegt in aktualisierter Version vor [1]. Darin behandeln die Autoren die Diagnostik und Therapie der idiopathischen Fazialisparese. Ein Clinical Pathway gibt einen kompakten Überblick zum praktischen Vorgehen.
Neu in der aktualisierten Version der Leitlinie sind Informationen zu einem möglichen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und COVID-19 sowie von mRNA-Vakzinen gegen SARS-CoV-2, das Vorgehen bei Schwangeren und Methoden zur Beurteilung der Reinnervation.
Zusammenhang zwischen COVID-19 und idiopathischer Fazialisparese
Die Leitlinie zitiert zwei Studien, welche darauf hindeuten, dass COVID-19 sowie die Impfung mit dem BNT162b2-mRNA-COVID-19-Impfstoff zu einem gering erhöhten Erkrankungsrisiko beitragen könnten [2, 3].
Hinweise auf erhöhtes Risiko
Forschende um Dr. Akina Tamaki von der Case Western Reserve University School of Medicine, Cleveland, USA, publizierten 2021 im Fachjournal „JAMA Otolaryngology–Head & Neck Surgery“ in einem Research Letter die Ergebnisse ihrer Analysen einer Kohorte, um die Inzidenz einer idiopathischen Fazialisparese bei Patienten mit COVID-19 einzuschätzen [2]. Der Impfstatus wurde ebenfalls mitberücksichtigt.
Die Ergebnisse weisen auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer idiopathischen Fazialisparese bei Patienten mit COVID-19 hin. Dabei scheint das Risiko durch eine COVID-19-Erkrankung höher zu sein als durch eine COVID-19-Impfung.
mRNA-Impfung und idiopathische Fazialisparese
Eine Studie von Shibli und Kollegen untersuchte die Assoziation zwischen der Impfung mit dem BNT162b2-mRNA-COVID-19-Impfstoff und dem Auftreten einer Fazialisparese. Im Ergebnis wurden 132 Fälle einer idiopathischen Fazialisparese auf etwa 2,5 Millionen Erstimpfungen registriert. Bei den Zweitimpfungen wurden 152 Fälle auf knapp 2,4 Millionen Impfungen gezählt.
Die Autoren leiten daraus ab, dass die Impfung mit dem BNT162b2-mRNA-COVID-19-Impfstoff zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer idiopathischen Fazialisparese führen könnte. Insgesamt schätzen Shibli und Kollegen das Risiko für die öffentliche Gesundheit aber als gering ein und betonen, dass die Vorteile der Impfung überwiegen.
Idiopathische Fazialisparese in der Schwangerschaft
Während der Schwangerschaft ist das Risiko einer idiopathischen Fazialisparese möglicherweise erhöht. Laut den Autoren der Leitlinie gelten die üblichen diagnostischen und therapeutischen Prinzipien auch bei Schwangeren. Zur Therapie mit Glukokortikoiden sollten Schwangere allerdings stationär in einer spezialisierten geburtshilflichen Klinik betreut und behandelt werden, so die Autoren.
In einem gesonderten Kapitel zum Auftreten der Erkrankung in der Schwangerschaft werden alle Aspekte, von der Pathophysiologie bis hin zur Therapie behandelt.
Weitere Neuerungen
Die Leitlinie erwähnt eine Ultraschallmethode zur Beurteilung der Reinnervation nach einer Nervennaht. Auch die Anwendung standardisierter Foto- und Videodokumentation ist möglich. Daneben bleibt die Empfehlung zur Glukokortikoid-Therapie weiterhin unverändert bestehen. Bei initial schwer betroffenen Patienten gibt es Studien, die auf einen Zusatznutzen einer ergänzend eingesetzten virustatischen Therapie hindeuten.
Die Autoren betonen, dass 25-40% der Fazialisparesen nicht idiopathischer Natur sind. Demnach sei die Bedeutung von Differenzialdiagnosen hervorzuheben, so die Autoren.