Parkinson-Inzidenz in Deutschland rückläufig?

Da keine grundlegende Änderung der Risikofaktoren für Parkinson stattgefunden hat, überraschen die Daten zum Rückgang der neu diagnostizierten Parkinson-Fälle in Deutschland. Experten der Deutschen Parkinson-Gesellschaft haben sich die Studie genauer angeschaut.

Abnahme

Parkinson ist nach Demenz vom Alzheimer-Typ die häufigste neurodegenerative Erkrankung. In Deutschland sind 400.000 Menschen von Parkinson betroffen. Aufgrund des demografischen Wandels mit einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung, steigt auch die Inzidenz von Parkinson. Ergebnisse einer aktuelle Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) zeigen nun einen Rückgang der Parkinson-Inzidenz um 30% in den Jahren 2013-2019 [1].

DPG prüft Daten des Zi zur Parkinson-Inzidenz

Auch Deutschland ist vom demografischen Wandel betroffen, so dass die rückläufige Tendenz der Zi-Studie überrascht. So ging es auch Experten der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen, kurz Deutsche Parkinson-Gesellschaft (DPG). Sie schauten sich die Daten der Zi-Studie näher an und verglichen diese mit der internationalen Datenlage. Die Ergebnisse wurden in einer Pressemeldung und einer Stellungnahme der DPG thematisiert [2, 3].

Zi-Studie zur Parkinson-Inzidenz in Deutschland

Die Studie von Lotte Dammertz und Kollegen beschreibt die aktuellen geschlechts- und altersspezifischen Trends sowie regionale Unterschiede in Deutschland bei Personen ab einem Alter von 50 Jahren. Datengrundlage waren pseudonymisierte Abrechnungsdaten aus den Jahren 2013-2019. In den krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 295 SGB V und Arzneiverordnungsdaten gemäß § 300 Abs. 2 SGB V wurde die Inzidenz – die Häufigkeit des Neuauftretens von Parkinson – bei Patienten erfasst, die über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren beobachtet worden waren. Das Neuauftreten wurde anhand verschiedener Parameter bestimmt, unter anderem Diagnosestellung (ICD-Code G20) und Verordnung eines Medikamentes aus der Arzneimittelgruppe Antiparkinsonmittel (ATC-Code N04).

Ergebnis: Rückgang der neu diagnostizierten Parkinson-Fälle um 30%

Die Ergebnisse zeigen einen Rückgang der Neuerkrankungen von 149 auf 112 Neuerkrankungen pro 100.000 Patienten. Dieser Rückgang war unabhängig von Alter und Geschlecht und wurde in fast allen KV-Bereichen beobachtet. Die Schlussfolgerung der Autoren: „Trotz einer fortschreitenden demografischen Alterung weist die Auswertung vertragsärztlicher Abrechnungsdaten im Alterssegment ab 50 Jahren auf einen deutlichen und deutschlandweiten Rückgang der IPS-Inzidenz [IPS = idiopathisches Parkinson-Syndrom; Anm. d. Red.] in den Jahren 2013 bis 2019 hin.“

Zunehmende Alterung der Bevölkerung passt nicht zu den Ergebnissen

Einer der Experten der DPG, Prof. Günter Höglinger, Direktor der Klinik für Neurologie der Medizinischen Hochschule Hannover und Vorstandsmitglied der DPG, äußerte sich zu den Ergebnissen der Zi-Studie in der Pressmeldung der DPG: „Dieses Ergebnis widerspricht den bisher beobachteten steigenden Trends und der Annahme, dass sich die Zunahme der Parkinson-Risikofaktoren, allen voran das steigende Durchschnittsalter der Bevölkerung, weltweit weiter fortsetzt.“

Risikofaktoren ändern sich nicht in kurzen Zeiträumen

Wie könnte sich die in der Zi-Studie gemessene rückläufige Parkinson-Tendenz theoretisch erklären lassen? Dazu müssten Risikofaktoren wie Alter und die schädlichen Wirkung industrieller Gifte wie Pestizide (z. B. Paraquat), Lösungsmittel (z. B. Trichlorethylen aus der Halbleiterindustrie) und Schwermetalle rückläufig sein und gleichzeitig müssten Schutzfaktoren zunehmen. Vor Parkinson schützen sollen körperliche Aktivität, Koffein (hier entsprechende Studiendaten) und Rauchen. Die DPG-Experten zweifeln an, dass sich diese Faktoren innerhalb von sechs Jahren so stark verändert haben könnten, dass es zu einem so deutlichen Rückgang der Parkinson-Inzidenz kam.

Veränderte Messbedingungen als Ursache des vermeintlichen Inzidenz-Rückganges

Die Autoren der Stellungnahme äußern den Verdacht, dass verzerrte Messungen, bedingt durch veränderte Messbedingungen, als Ursache für den scheinbaren Inzidenz-Rückgang verantwortlich sein könnten. Beispielsweise könnte sich das Diagnose- und Kodierverhalten der Vertragsärzte verändert haben. Auch könnten Patienten weniger Gesundheitsleistungen in dem Sektor des Gesundheitssystems in Anspruch genommen haben, welche in der Zi-Studie untersucht wurden.

Internationale Daten zeigen weiterhin hohe Parkinson-Inzidenz in Deutschland

Daten anderer Erhebungen, etwa aus der Global Burden of Disease Study, zeigen weiterhin eine hohe Parkinson-Inzidenz in Deutschland. „Wie die tatsächliche Dynamik der Inzidenz in den letzten Jahren auch sein mag, im internationalen Vergleich ist Deutschland laut den Daten der Global Burden of Disease Study weiterhin ein Land mit sehr hoher Inzidenz, die 2019 mehr als dreimal so hoch war wie der globale Durchschnitt“, so das Fazit.

Die Ursachen für die vermeintliche Trendwende in den Zi-Daten gelte es weiter zu untersuchen, heißt es in der Stellungnahme der DPG. Bis dahin sei Deutschland weiterhin ein Hochinzidenzland für Morbus Parkinson, so die Experten.

Quelle:
  1. Dammertz et al (2022): Inzidenztrends des diagnostizierten idiopathischen Parkinson-Syndroms in den Jahren 2013 bis 2019. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 22/06. Berlin 2022. https://doi.org/10.20364/VA-22.06
  2. Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen, Pressemeldung, 10. November 2022; abgerufen am 23. November 2022
  3. Deutsche Gesellschaft für Parkinson  und Bewegungsstörungen, Stellungnahme; abgerufen am 23. November 2022
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