
Hintergrund
Während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 empfahl das Bundesministerium für Gesundheit, dass alle elektiven Eingriffe verschoben werden sollten, um die Kapazitäten in den Krankenhäusern für die zunehmende Anzahl an COVID-19-Patienten zu erhöhen. Kurz darauf kam der Lockdown, welcher die Ausbreitung des Virus kontrollieren sollte.
Diese Maßnahmen haben in Deutschland und vielen anderen Ländern zu einem Abflachen der Infektionskurve geführt. Daneben scheint es jedoch auch negative Effekte zu geben, beispielsweise der Rückgang von Krankenhausaufenthalten bei anderen schweren Erkrankungen, aus Angst sich dort mit SARS-CoV-2 zu infizieren. In der Neurologie entstand der Eindruck leerer Stroke-Units. Ob sich dieser subjektive Eindruck auch mit Zahlen belegen lässt, wurde in einer im Fachjournal „Stroke“ veröffentlichten Studie untersucht [1]. Dabei handelt es sich um die erste bundesweite Erhebung zur Schlaganfallversorgung während der ersten Welle der Corona-Pandemie.
Zielsetzung
Unter Leitung von Privatdozent Dr. med. Christos Krogias, Oberarzt am Bochumer St. Josef-Hospital, analysierte ein Team die Anzahl von Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall (AIS), transitorischer ischämischer Attacke (TIA) und Hirnblutungen (ICH, intracerebral hemorrhage) während der ersten Welle der Pandemie und in Vergleichszeiträumen.
Methodik
In dieser bundesweiten Kohortenstudie wurden alle stationären Patienten mit den Diagnosen AIS, TIA oder ICH aus allen 1.463 Krankenhäusern in Deutschland einbezogen. Fallzahlen und Therapiecharakteristika wurden zwischen der ersten Pandemie-Welle (16. März bis 15. Mai 2020), dem Prä-Pandemie-Zeitraum (16. Januar bis 15. März 2020) und dem gleichen Zeitraum im Vorjahr verglichen.
Ergebnisse
Rückgang der Fallzahlen und Mortalitätsanstieg
Während der ersten COVID-Welle wurden insgesamt 31.165 Patienten mit AIS aufgenommen, im Vergleich zur Prä-Pandemiephase betrug der Rückgang 17,4%. Verglich man die Fallzahlen mit dem Vorjahreszeitraum betrug der Rückgang sogar 18,5%. Bei TIA-Patienten wurde ein Rückgang um 22,9% (Prä-Pandemiephase) bzw. 26,1% (Vorjahreszeitraum) festgestellt. Ein Rückgang von 15,8% zwischen erster Welle der Pandemie und den Vormonaten war bei Patienten mit Hirnblutungen zu verzeichnen.
Korrespondierend zum Rückgang der Fallzahlen während der ersten COVID-Welle, kam es zu einem signifikanten Anstieg der Krankenhaussterblichkeit bei Patienten mit ischämischen und hämorrhagischen Schlaganfällen gegenüber den Vormonaten (8,1% vs. 7,6%, p = 0,006).
Akutversorgung ohne Qualitätseinbußen
Die Analyse der Studiendaten zeigt, dass die Patienten, welche während der Pandemiephase im Krankenhaus vorstellig wurden, weiterhin gut versorgt wurden. Die Akutversorgung in Deutschland hatte während der Pandemiephase nichts von ihrer Qualität eingebüßt. Die Lyserate blieb mit 16,4% unverändert im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Thrombektomierate war während der Pandemie mit 8,1% erhöht – im Vergleich zu 7,7% in den Vormonaten.
Fazit
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Patienten in Deutschland während der ersten Welle der Corona-Pandemie aus Angst vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 nicht oder zu spät im Krankenhaus vorstellig wurden. Die Schlaganfallsterblichkeit nahm zu. Die Akuttherapie wurde weiterhin mit den gewohnten hohen Qualitätsstandards durchgeführt. Die erhöhte Rate an Thrombektomien dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Patienten später als üblich im Krankenhaus vorstellig wurden und das Zeitfenster von 4,5 Stunden nach Symptombeginn zur medikamentösen Thrombolyse dadurch häufiger überschritten wurde.
Es gilt weiterhin: nicht zögern bei Schlaganfallsymptomen!
Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), richtet in einer aktuellen Pressemeldung der DGN einen Appell an die Menschen [2]. „Für uns war es von Beginn an wichtig, trotz Pandemiebedingungen die hohe Behandlungsqualität sicherzustellen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat sich aktiv dafür eingesetzt, dass die Stroke Units leistungsfähig blieben [3]. Dieses werden wir auch in der jetzigen zweiten Welle der Pandemie sicherstellen. Allerdings können wir nur helfen, wenn Patienten mit Schlaganfallsymptomen nicht zögern, sondern umgehend die 112 anrufen. Aus Sorge vor einer möglichen Ansteckung mit Corona davon abzusehen, bezahlen Betroffene womöglich mit ihrem Leben. Wir hoffen, dass dieser Appell in der Öffentlichkeit Gehör findet, damit es in der jetzigen Pandemiephase nicht wieder zu einer erhöhten Schlaganfallsterblichkeit kommt“, betont Berlit.