Meilenstein: tiefe Hirnstimulation versus Placebo bei Parkinson

Parkinson-Patienten, bei denen eine echte tiefe Hirnstimulation durchgeführt wurde, konnten ihre motorischen Symptome im Durchschnitt über drei Stunden länger täglich kontrollieren als Patienten, die nur eine Scheinstimulation mit subtherapeutischen Stromdosen erhielten.

Tiefe Hirnstimulation

Hintergrund

In vorangegangenen Studien wurde die Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation (deep brain stimulation/[DBS]) bei der Behandlung motorischer Parkinson-Symptome ausschließlich im Vergleich zur bestmöglichen pharmakologischen Therapie evaluiert. In diesen Studien konnten zwar konstant Effekte der subthalamischen DBS nachgewiesen werden, aber der Verdacht, dass es sich hierbei möglicherweise um Placebo-Effekte handelt, konnte nicht ausgeräumt werden, weil „die Patienten natürlich wussten, ob sie das interventionelle Verfahren erhalten hatten oder nicht“, erklärt Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Essen, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN). [1]

Hirnstimulation versus Scheinstimulation

Eine Zwischenanalyse der doppelblind randomisierten INTREPID-Studie, in der erstmals die Effekte einer tiefen Hirnstimulation mit einer Scheinstimulation verglichen werden, liefert nun erste überzeugende Ergebnisse für eine echte, über Placebo-Effekte hinausgehende Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation bei der Behandlung motorischer Parkinson-Symptome. Die Zwischenanalyse der Studie wurde nun in der Fachzeitschrift Lancet Neurologie veröffentlicht [2].

Zielsetzung

In der Studie wurde geprüft, ob die tiefe Hirnstimulation bei der Behandlung von motorischen Parkinson-Symptomen eine über Placebo-Effekte hinausgehende Wirksamkeit zeigt.

Methoden

Die doppelt verblindete randomisierte INTREPID-Studie wurde in 23 Zentren in den USA durchgeführt. Zu den wichtigsten Einschlusskriterien für Studienteilnehmer gehörten ein Alter zwischen 22 und 75 Jahren, die Diagnose idiopathischer Morbus Parkinson, motorische Symptomatik seit ≥ 5 Jahren und eine stabile medikamentöse Parkinsontherapie seit mindestens vier Wochen. In der Studie kam die MICC-Technologie (multiple independent contact current-controlled) zum Einsatz. Allen teilnehmenden Patienten wurden DBS-Elektroden bilateral in den Nucleus subthalamicus implantiert.

Randomisierung der Gruppen

Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen im Verhältnis 3 (Verum): 1 (Scheinstimulation/Kontrolle) randomisiert. Die Verumgruppe erhielt eine elektrische Stimulation mit therapeutischer Stromdosis (aktive Therapie). Die Kontrollgruppe nur eine subtherapeutische Stromdosis. In den ersten drei Monaten lief die Studie doppelt verblindet ab. Einzig der Programmierer, der für die Programmierung und die Optimierung der Geräte verantwortlich war, wusste, welcher Patient zur Verum- oder zu Kontrollgruppe gehörte.

Vergleich der Symptomkontrolle

Als primärer Endpunkt wurde die Differenz der Veränderungen der Symptomkontrolle zwischen den beiden Gruppen definiert. Als Zeitraum für diesen Endpunkt wurde die Zeit von der Baseline-Untersuchung bis zur Untersuchung 3 Monate nach der Randomisierung festgelegt. Nach den ersten drei Monaten erhielten alle Patienten im open label Teil der Studie die aktive Therapie. Die fünfjährige open-label Studie läuft derzeit noch.

Ergebnisse

Insgesamt 313 Patienten konnten für die Studie gewonnen werden. Das DBS-Implantat erhielten 196 (63%) Teilnehmer; 191 wurden für den doppelt verblindeten Teil der Studie randomisiert. In der aktuell veröffentlichten Zwischenanalyse wurden die Daten von 161 Patienten eingeschlossen. Davon befanden sich 121 (76%) der Teilnehmer in der Verumgruppe und 39 (24%) in der Kontrollgruppe. Zwischen der Verumgruppe und der Kontrollgruppe bestand eine signifikante im Durchschnitt 3,03 Stunden (Standardabweichung [SD] 4,52, 95% Konfidenzintervall [CI] 1,3–4,7; p<0·0001) betragende Differenz hinsichtlich der Symptomkontrolle. Das heißt die Patienten der Verumgruppe konnten ihre motorischen Symptome im Schnitt ungefähr 3 Stunden täglich besser kontrollieren als die Teilnehmer in der Kontrollgruppe.

Fazit

Einer der führenden Experten der Tiefenhirnstimulation bei M. Parkinson Prof. Dr. Günther Deuschl, Seniorprofessor an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel stuft die Wirksamkeit der DBS aufgrund der Studienergebnisse sehr hoch ein: „Dieser Unterschied ist für die Lebensqualität der Betroffenen sehr bedeutsam. Es macht viel aus, ob ich pro Tag drei ‚gute‘ Stunden ohne ausgeprägte Parkinsonsymptome mehr oder weniger habe.“ Die Studie selbst bewertet Deuschl als Meilenstein, weil sie erstmals Daten der Evidenzklasse 1 zur Sicherheit und klinischen Wirksamkeit der subthalamischen DBS bei der Behandlung motorischer Parkinson-Symptome liefert.

Autor:
Stand:
10.06.2020
Quelle:
  1. Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V (2020): Neue Studie zur tiefen Hirnstimulation bei Parkinson-Erkrankung als Meilenstein der Therapie. Pressemitteilung 29.05.2020
     
  2. Vitek et al. (2020): Subthalamic nucleus deep brain stimulation with a multiple independent constant current-controlled device in Parkinson’s disease (INTREPID): a multicentre, double-blind, randomised, sham-controlled study. Lancet Neurol 2020; 19: 491–501 DOI: 10.1016/S1474-4422(20)30138-3
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