Begünstigen virale Infektionen Alzheimer?

Entzündungsreaktionen können die Neurodegeneration bei Alzheimer und Parkinson beschleunigen. Neue Daten aus Zellkulturen deuten darauf hin, dass virale Infektionen über einen weiteren Mechanismus Treiber der Neurodegeneration sein können.

Virusinfektion Gehirn

Im Gehirn von Demenz-Patienten finden sich regelmäßig chronische Entzündungen. Diese Entzündungsvorgänge sind eine Reaktion auf das Absterben der Neurone und die pathologischen Eiweißablagerungen. Ob durch Infektionen ausgelöste Entzündungen im ZNS auch zu Alzheimer führen können, ist Gegenstand aktueller Forschungsarbeit. Von Prion-Erkrankungen wie der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist bekannt, dass Aggregate aus fehlgefalteten Proteinen infektiöse Eigenschaften haben. Sie werden von Zelle zu Zelle übertragen und können ihre anormale Struktur auf andere Proteine übertragen. Eine ähnliche Situation wird für Alzheimer und Parkinson diskutiert.

Viren könnten Ausbreitung von Proteinaggregaten fördern

Forscher vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) untersuchten, ob Virusinfektionen zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson führen bzw. deren Entstehung begünstigen können. Dabei widmeten sich die Forscher der Frage, ob virale Moleküle die interzelluläre Verbreitung von Proteinaggregaten fördern, welche bei Alzheimer typisch sind. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht [1].

Wie erfolgt der Proteintransfer?

In der Studie wurden mögliche Verbreitungsmechanismen von Proteinaggregaten in Zellkulturen untersucht. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie der Austausch der Proteinaggregate ablaufen kann, nämlich durch den direkten Zellkontakt, durch die Freisetzung der Aggregate in den Extrazellularraum oder verpackt in Vesikeln. Die Aufnahme in der Zielzelle ist von bestimmten Rezeptoren abhängig. „Die genauen Mechanismen der Verbreitung sind unbekannt“, sagt Professor Dr. Ina Vorberg, Forschungsgruppenleiterin am DZNE-Standort Bonn [2].

Das genaue Verständnis dieser Abläufe auf zellulärer Ebene bildet die Grundlage für künftige präventive oder therapeutische Ansätze.

Auch SARS-CoV-2-Protein in Studie eingesetzt

In verschiedenen Zellkulturen wurde die interzelluläre Übertragung von Prionen oder von Aggregaten aus Tau-Proteinen untersucht. Dazu wurde eine virale Infektion nachgeahmt und die Zellen wurden dazu veranlasst, virale Proteine herzustellen, welche die Bindung an Zielzellen und die Fusion mit der Membran der Zielzellen vermittelten. Für die Studie wurden zwei virale Proteine ausgewählt. Einmal das SARS-CoV-2-Spike-Protein S, das dem Erreger von COVID-19 entstammt und an den humanen ACE2-Rezeptor bindet und das Vesikuläre Stomatitis-Virus-Glykoprotein VSV-G. Letzteres ist mit dem Tollwut-Virus verwandt und führt bei Rindern zu vesikulären Läsionen. Die Andockstelle für VSV-G sind LDL-Rezeptoren.

Viren beeinflussen Übertragung pathologischer Proteine

Die Studienergebnisse zeigen, dass die viralen Proteine über verschiedene Mechanismen verbreitet werden. Sie wurden sowohl in die Zellmembran eingebaut als auch in extrazelluläre Vesikel. Alleine die Anwesenheit der viralen Proteine führte zu einer gesteigerten Ausbreitung der Proteinaggregate. Dabei ermöglichten die viralen Liganden einen effizienten Transfer bzw. eine exakte Zustellung der Aggregate an die Empfängerzellen, in denen dadurch die Bildung neuer Aggregate ausgelöst wurde.

„Sicherlich bilden unsere zellulären Modelle nicht die vielen Aspekte des Gehirns mit seinen sehr spezialisierten Zelltypen ab. Dennoch konnten wir zeigen, dass unabhängig vom Zelltyp, der die pathologischen Aggregate produzierte, die viralen Liganden zu einer verstärkten Ausbreitung missgestalteter Proteine zwischen den Zellen führten. Alles in allem deuten unsere Daten darauf hin, dass virale Ligand-Rezeptor-Wechselwirkungen die Übertragung pathologischer Proteine prinzipiell beeinflussen können. Dies ist eine neue Erkenntnis”, so Vorberg.

Virale Proteine als Treiber von Neurodegeneration

In Anbetracht dieser Beobachtungen scheint die interzelluläre Ausbreitung pathologischer Proteine durch virale Proteine begünstigt zu werden. Dies wäre neben den Entzündungsreaktionen, die neurodegenerative Veränderungen beschleunigen können, ein weiter Mechanismus, wie virale Infektionen die Neurodegeneration vorantreiben.

„Sicherlich bilden unsere zellulären Modelle nicht die vielen Aspekte des Gehirns mit seinen sehr spezialisierten Zelltypen ab. Dennoch konnten wir zeigen, dass unabhängig vom Zelltyp, der die pathologischen Aggregate produzierte, die viralen Liganden zu einer verstärkten Ausbreitung missgestalteter Proteine zwischen den Zellen führten. Alles in allem deuten unsere Daten darauf hin, dass virale Ligand-Rezeptor-Wechselwirkungen die Übertragung pathologischer Proteine prinzipiell beeinflussen können. Dies ist eine neue Erkenntnis”, so Vorberg abschließend.

Quelle:
  1. Liu et al. (2021): Highly efficient intercellular spreading of protein misfolding mediated by viral ligand-receptor interactions. Nature Communications, DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-021-25855-2
  2. DZNE, Pressemeldung, 19.10.2021; abgerufen am 27.10.2021
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