
Hintergrund
Krebserkrankungen sind weltweit führende Todesursachen mit steigender Tendenz. Neben der potenziellen Verringerung der Mortalität reduziert die Verbesserung der Früherkennung auf Bevölkerungsebene auch die krankheits- und behandlungsbedingte Morbidität, erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Behandlungserfolgs, verbessert die Lebensqualität, und reduziert die Behandlungskosten und -komplexität.
Derzeit sind in den USA nur fünf Screening-Tests verfügbar, für Brust-, Darm-, Gebärmutterhals-, Lungen- und Prostatakrebs. Diese Screening-Tests reduzieren die krebsspezifische Mortalität, sind jedoch mit hohen Falsch-positiv-Raten, Überdiagnosen und Überbehandlungen, Unterschieden in der Adhärenz, geringem positivem Vorhersagewert (positive predictive value [PPV] definiert als Anteil der wahr-positiven an den positiven Testergebnissen) sowie einer hohen kumulativen Falsch-positiv-Rate bei sequenzieller Verwendung verbunden.
Der sogenannte Multi-Krebs-Früherkennungstest (multi-cancer early detection [MCED] test), der als Ergänzung zu den bestehenden Screening-Tests gedacht ist, könnte die Anzahl der durch Screenings auf Populationsebene entdeckten Krebsarten erhöhen und möglicherweise die klinischen Ergebnisse verbessern. Es handelt sich dabei um einen neuen Ansatz, bei dem Signale für mehrere Krebsarten aus zellfreier DNA (cell-free desoxyribonucleic acid [cfDNA]) oder anderen von Tumoren stammenden und im Blut zirkulierenden Analyten erkannt werden.
In der Circulating Cell-free Genome Atlas (CCGA)-Studie, einer prospektiven, fallkontrollierten Beobachtungsstudie, konnten mittels eines MCED-Tests, bei dem aus einer Blutprobe cfDNA sequenziert wird, in Kombination mit maschinellem Lernen Krebssignale von mehreren Krebsarten erkannt und der Ursprung des Krebssignals (cancer signal origin [CSO]) mit hoher Genauigkeit bestimmt werden.
Zielsetzung
Ziel der in einer aktuellen Publikation [1] von Dr. Eric A. Klein vom Glickman Urological and Kidney Institute an der Cleveland Clinic in Cleveland, USA, und Kollegen vorgestellten dritten und letzten CCGA-Teilstudie war es, eine MCED-Testversion zu validieren, die für die Verwendung als Screening-Tool weiter verfeinert worden war.
Methodik
Die CCGA-Studie war eine prospektive, multizentrische, Fall-Kontroll-Beobachtungsstudie mit longitudinaler Nachbeobachtung. Zwischen August 2016 und Februar 2019 nahmen 15.254 Teilnehmer, darunter 8.584 mit Krebs und 6.670 ohne Krebserkrankung, an 142 Standorten in den USA teil.
Die CCGA umfasste drei vordefinierte Teilstudien: 1) die Bestimmung der für die einzelnen Tumore spezifischen Methylierungsmuster in der cfDNA, 2) die Testoptimierung, und 3) die klinische Validierung innerhalb eines unabhängigen Validierungsdatensatzes.
Die hier vorgestellte vorab spezifizierte dritte Teilstudie umfasste Teilnehmer im Alter von mindestens zwanzig Jahren. In den Studienarm mit Krebserkrankung wurden Personen aufgenommen, bei denen Krebs diagnostiziert worden war und/oder die sich einer Biopsie und/oder chirurgischen Resektion wegen bekannter oder stark vermuteter Malignität unterziehen sollten. In einen weiteren Studienarm wurden Probanden ohne Krebserkrankung aufgenommen. Der Status „ohne Krebserkrankung“ wurde beim Nachbeobachtungstermin im ersten Jahr bestätigt.
Um Verzerrungen zu minimieren, randomisierten die Wissenschaftler die einmalig entnommenen Blutproben für die Analysen. Sie erhoben jährlich über insgesamt fünf Jahre klinische, pathologische und radiologische Daten mittels Teilnehmerfragebögen und aus Krankenakten, einschließlich Berichten über unerwünschte Ereignisse in Zusammenhang mit der Blutentnahme für die Studie.
Mit Hilfe neu entwickelter Software wurden die Proben anhand von regionalen Methylierungsmustern klassifiziert. Diese konnten als einer bestimmten Krebsklasse ähnlich erkannt werden, möglicherweise aber auch mehreren Krebsklassen zuordenbar sein. Mit einem speziellen Modul wurden außerdem der Krebs- versus Nicht-Krebs-Status und der CSO bestimmt.
Die Hauptziele dieser Teilstudie waren die Bewertung der Testleistung für die Erkennung von Krebssignalen, die CSO-Vorhersage und eine Kombination der beiden Aspekte. Die Wissenschaftler bestimmten die Spezifität (Anteil der Teilnehmer mit einem negativen Testergebnis unter Teilnehmern ohne Krebserkrankung), die Sensitivität (Anteil der Teilnehmer mit einem positiven Testergebnis unter allen Krebsteilnehmern in einem Analyseset) und die Vorhersagegenauigkeit für den CSO (Anteil der Teilnehmer mit einem korrekt vorhergesagten CSO unter den wahr-positiven Teilnehmern, ausschließlich derjenigen Teilnehmer, bei denen der CSO unbekannt war.
Zu den sekundären Zielen gehörten a) die Testleistung nach Altersgruppe, b) die Testleistung für die Erkennung von Krebssignalen nach der Methode der Krebsdiagnose (Screening-Test auf Brust-, Gebärmutterhals-, Darm-, Lungen- und Prostatakrebs oder klinische Präsentation) und c) die Testleistung für die Erkennung von Krebssignalen in einer vordefinierten Gruppe.
Ergebnisse
Insgesamt 5.309 Teilnehmer (3.237 mit Krebserkrankung und 2.069 ohne Krebserkrankung, 3 mit fehlendem Erkrankungsstatus bei der Aufnahme in die Studie) wurden in diese dritte CCGA-Validierungssubstudie einbezogen. Daten von 4.077 Teilnehmern (2.823 mit bestätigter Krebserkrankung und 1.254 ohne Krebserkrankung) wurden in den Analysesatz aufgenommen.
Die demografischen Daten der Teilnehmer und die Charakteristika zu Studienbeginn waren zwischen den Gruppen vergleichbar, mit den erwarteten Unterschieden in der Altersverteilung zwischen der Gruppe der Personen mit Krebs- und der ohne Krebserkrankung: Es gab mehr Personen mit als ohne Krebserkrankung in den älteren Altersgruppen.
Das Durchschnittsalter (SD) betrug 60,6 (12,4) Jahre, 55,4% der Teilnehmer (2.258/ 4.077) waren weiblich (mit einem höheren Prozentsatz in der Gruppe ohne im Vergleich zur Gruppe mit Krebserkrankung) und 81,2% der Teilnehmer (3.312/ 4.077) wurden als nicht-hispanische Weiße eingestuft. Bei 54,9% der Teilnehmer mit Krebserkrankung (1.552/ 2.823) lag eine Erkrankung im Stadium I oder II vor.
Die Spezifität für die Erkennung von Krebssignalen betrug 99,5% (95%-Konfidenzintervall [KI] 99,0% bis 99,8%). Die Gesamtsensitivität für die Erkennung von Krebssignalen über Krebsklassen und -stadien hinweg betrug 51,5% (49,6% bis 53,3%).
Die Sensitivität erhöhte sich mit dem Stadium I (Stadium I: 16,8% [14,5% bis 19,5%], Stadium II: 40,4% [36,8% bis 44,1%], Stadium III: 77,0% [73,4% bis 80,3%], Stadium IV: 90,1% [87,5% bis 92,2%]).
Die Sensitivität im Stadium I-III betrug 67,6% (64,4% bis 70,6%) für zwölf vordefinierte Krebsarten, die etwa zwei Drittel der jährlichen Todesfälle aufgrund einer Krebserkrankung in den USA ausmachten. Die Sensitivität für alle Krebsarten betrug 40,7% (38,7% bis 42,9%). Krebssignale wurden für mehr als fünfzig Krebsarten festgestellt.
Die Gesamtgenauigkeit der CSO-Vorhersage in wahr-positiven Ergebnissen betrug 88,7% (87,0% bis 90,2%). Spezifität, Sensitivität und Genauigkeit der CSO-Vorhersage zeigten ähnliche Ergebnisse in allen Altersgruppen (<50 Jahre, ≥50 Jahre, ≥65 Jahre).
Bei der Bewertung der Testleistung nach der Methode der Krebsdiagnose war die Gesamtsensitivität bei Krebsarten, die durch klinische Präsentation identifiziert wurden, höher (63,9% [61,8% bis 66,0%]) als bei Krebsarten, die durch Screening-Tests identifiziert wurden (18,0% [15,5% bis 20,8%]), wahrscheinlich aufgrund eines Übergewichts von Prostata- und Brustkrebs im Frühstadium in den Screening-Tests.
Fazit
In dieser vorab spezifizierten, groß angelegten klinischen Validierungssubstudie zeigte der MCED-Test eine hohe Spezifität und Genauigkeit der CSO-Vorhersage. Krebssignale wurden für eine Vielzahl von Krebsarten erkannt. Die niedrige Falsch-positiv-Rate von 0,5% deutet darauf hin, dass der Test in der klinischen Routine zusätzliche Schäden aufgrund unnötiger diagnostischer Verfahren begrenzen kann. Die Ergebnisse stützen die Machbarkeit dieses blutbasierten MCED-Tests als Ergänzung zu bestehenden Screening-Tests auf einzelne Krebsarten.
Eine Einschränkung dieser Studie bestand drin, dass in den Blutproben, die nach der Durchführung einer Biopsie von Krebspatienten entnommen wurden, mit höherer Wahrscheinlichkeit cfDNA des Tumors enthalten sein konnte. Eine weitere Einschränkung der CCGA-Studie war, dass sie als Fall-Kontroll-Studie nicht die Leistung einer Screening-Studie widerspiegelt.
Aktuell läuft ein größeres klinisches Entwicklungsprogramm mit weiteren Studien zur Bewertung der Testleistung und/oder des klinischen Nutzens in Zielpopulationen (STRIVE, NCT03085888; GIPFEL, NCT03934866; PATHFINDER, NCT04241796). In der PATHFINDER-Studie sollen insbesondere auch die klinische Umsetzung (zum Beispiel die Zeit bis zur diagnostischen Lösung) sowie die Sicherheit bewertet werden.
Die CCGA-Studie ist bei ClinicalTrials.gov unter der Nummer NCT02889978 registriert. Die Arbeit wurde von der Firma Grail, Inc. finanziell unterstützt.