
Hintergrund
Hirnmetastasen stehen in Zusammenhang mit einer hohen Mortalität und einer schlechten Prognose. Etwa die Hälfte aller Fälle von Hirnmetastasen betrifft Patienten mit Lungenkrebs. Ihre Behandlung erfolgt üblicherweise durch Kombination lokaler und systemischer Therapien. Die kraniale Strahlentherapie (cranial radiotherapy [CRT]) ist die wichtigste lokale Behandlungsoption für Hirnmetastasen und bringt den Patienten einen Vorteil in der lokalen Krankheitskontrolle und im Überleben.
Chemotherapeutika mit großen Molekulargewichten können aufgrund der Blut-Hirn-Schranke kaum in das Gehirn eindringen, um ihre Antitumorwirkung zu entfalten. Eine große Anzahl von Studien hat gezeigt, dass eine CRT in Kombination mit Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs und Hirnmetastasen zu einem signifikant längeren progressionsfreien Überleben und Gesamtüberleben sowie einer deutlich besseren lokalen Krankheitskontrolle führen kann.
Allerdings kann es durch eine CRT zu verzögerten irreversiblen Strahlenschäden kommen. Strahleninduzierte Hirnverletzungen (radiation-induced brain injury [RBI]) umfassen hauptsächlich strahleninduzierte Nekrosen (radiation necrosis [RN]) und Läsionen der weißen Substanz (white matter lesions [WML]). Sie äußern sich unter anderem in kognitiver Dysfunktion und intrakranieller Hypertonie und beeinträchtigen die Lebensqualität von Patienten deutlich. In schweren Fällen führen sie zum Tod. Die Inzidenz von RBI ein Jahr nach einer CRT für Hirnmetastasen beträgt 8-20%.
Einige Studien zeigten, dass synergistische Effekt der Radioimmuntherapie das Risiko von RBI erhöhen. Es war bisher nicht klar, ob die CRT in Kombination mit ICIs bei Patienten mit Hirnmetastasen aufgrund von Lungenkrebs das Risiko für RBI erhöht.
Zielsetzung
Wissenschaftler untersuchten daher im Rahmen einer retrospektiven Studie die Inzidenz von RBI durch CRT in Kombination mit ICIs und die Risikofaktoren, die das Auftreten von RBI begünstigen. Die Wissenschaftler vom Shandong Cancer Hospital and Institute der Shandong First Medical University, Shandong Academy of Medical Sciences in China veröffentlichten unter Erstautor Jiatong Li ihre Ergebnisse im Fachblatt Radiation Oncology. Der Preprint wird derzeit noch überprüft.
Methodik
Die Wissenschaftler nutzten die Krankenakten von Patienten mit Hirnmetastasen aufgrund von Lungenkrebs, die sich zwischen Januar 2019 und Dezember 2020 im Shandong Cancer Hospital and Institute einer CRT unterzogen hatten für eine retrospektive Datenanalyse. Je nachdem, ob eine systemische Behandlung innerhalb von sechs Monaten vor und nach einer CRT angewendet worden war oder nicht, wurden die Patienten in die CRT/ICI-Gruppe bzw. in die CRT/Nicht-ICI-Gruppe eingeteilt.
Die Diagnose von kranialen RN und WML wurde durch Magnetresonanztomografie (MRT) gestützt. Die Fazekas-Skala und die Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE) v5.0 wurden verwendet, um das Ausmaß der Hirnschäden zu bewerten. Risikofaktoren für das Auftreten von RBI identifizierten die Wissenschaftler mittels univariater und multivariater Analysen.
Ergebnisse
Insgesamt bezogen die Wissenschaftler die Daten von 210 Patienten mit Hirnmetastasen, die sich einer CRT unterzogen hatten, in ihre Studie ein. Innerhalb von sechs Monaten vor und nach der CRT erhielten 56 Patienten ICIs und 154 Patienten andere systemische Therapeutika, einschließlich Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs) und Chemotherapie.
17 (8,1%) Patienten entwickelten RN und 142 (67,6%) Patienten WML. Die Inzidenz von RN in der CRT/ICI-Gruppe betrug 14,3%, in der der CRT/Nicht-ICI-Gruppe 5,8% (p=0,090).
Wurden ICIs schon innerhalb von drei Monaten nach der CRT angewendet, war die Inzidenz von RN in der CRT/ICIs-Gruppe signifikant höher als in der CRT/Nicht-ICI-Gruppe (18,5% vs. 5,4%, p = 0,045).
Die multivariate Analyse ergab, dass der maximale Durchmesser von Hirnmetastasen >3,3 cm (p=0,023) und die kumulative Strahlendosis für die metastasierenden Läsionen >75,7 Gy (p=0,018) Risikofaktoren für das Auftreten von RN waren. Darüber hinaus hatte auch eine wiederholte Strahlentherapie Einfluss auf die Entwicklung von RN (Odds Ratio 3,40; 95%-Konfidenzintervall: 0,99 bis 11,67, p = 0,051).
Fazit
Anhand ihrer Auswertungen stellten die Wissenschaftler fest, dass ICIs das Risiko für das Auftreten von RN erhöhen können, insbesondere wenn sie innerhalb von drei Monaten nach einer CRT gegeben werden. Die kumulative Strahlendosis für die metastasierenden Läsionen stand in engem Zusammenhang mit der Entwicklung von RN. Ebenso nahm eine wiederholte Strahlentherapie Einfluss darauf.
Als Einschränkungen der Studie gaben die Autoren das retrospektive Design und die geringe Stichprobengröße an. Außerdem könnten fehlende Pathologiebefunde zur Unterscheidung von RN und Pseudoprogression sowie Tumorrezidive zu Verzerrungen geführt haben. Daten zur Bewertung der kognitiven Funktion waren nur begrenzt vorhanden. Dadurch konnten Korrelationen zwischen WML und kognitiver Dysfunktion nicht analysiert werden.
Die Studie wurde von der National Natural Science Foundation of China und der Natural Science Foundation of Shandong Province unterstützt.