
Hintergrund
Herzinsuffizienz-Patienten sind durch multiple Komorbiditäten zusätzlich schwer beeinträchtigt und weisen eine inakzeptable hohe Mortalitätsrate auf, die bis heute auch nicht durch innovative Therapieansätze gesenkt werden konnte. Eine besondere Aufmerksamkeit kommt dabei den Krebserkrankungen als Komorbidität zu. So verursachen Krebstherapien nicht nur kardiologische Nebenwirkungen, sondern es kommt möglicherweise umgekehrt auch bei Herzinsuffizienz-Patienten zu einer erhöhten Inzidenz an Krebserkrankungen wie kleine Studien zeigen. Um diesen Sachverhalt weiter aufzuklären werden weitere epidemiologische Daten aus Studien mit großen Patientenzahlen benötigt.
Zielsetzung
Die retrospektive Kohortenstudie setzte sich zum Ziel, die Inzidenz von neuen Krebserkrankungen bei Herzinsuffizienz-Patienten zu untersuchen.
Methodik
Die Studie verwendete Daten aus der nationalen Disease Analyser Datenbank (IQVIA), die 1.274 Hausarztpraxen in Deutschland umfasst. Diese erfasst anonyme Daten zur Diagnose, Medikamentenverordnung sowie demographische Daten. In dieser Studie wurden erwachsene Patienten ohne nachgewiesene Krebserkrankung zwischen Januar 2000 und Dezember 2018 berücksichtigt. Die beiden Gruppen wurden in Bezug auf folgende Parameter gematcht: Geschlecht, Alter, Adipositas, Diabetes mellitus und Häufigkeit der Arztbesuche. Statistische Modelle untersuchten den Zusammenhang von Herzinsuffizienz und auftretenden Krebserkrankungen über einen Zeitraum von 10 Jahren.
Ergebnisse
Insgesamt konnten in der Analyse 100.124 Patienten mit Herzinsuffizienz und 100.124 Patienten ohne eine solche Erkrankung berücksichtigt werden. Das mittlere Alter aller Patienten lag bei 72,6 Jahren und 54% der Patienten waren weiblich. Im Durchschnitt besuchten die Patienten sechsmal (Standardabweichung: ±5,7) pro Jahr ihren behandelten Hausarzt.
Auftreten von Krebserkrankungen allgemein
Im Nachbeobachtungszeitraum von 10 Jahren war die Inzidenz aller Krebserkrankungen bei Herzinsuffizienz-Patienten mit 25,7% signifikant erhöht gegenüber Patienten ohne Herzinsuffizienz mit 16,2% (Hazard Ratio (HR): 1,76; p<0,001). Geschlechtergetrennt lag sie bei Frauen mit Herzinsuffizienz bei 28,6% im Vergleich zu 18,8% ohne Herzinsuffizienz (HR: 1,85) und bei Männern entsprechend bei 23,2% bzw. 13,8% (HR: 1,69).
Auftreten spezifischer Krebserkrankungen
Mit einer HR von 2,10 (95%-Konfidenzintervall (KI): 1,66-2,17; p<0,001) trat das höchste Krebsrisiko in Regressionsmodellen bei Krebs im Mundbereich (Lippe, Mundhöhle, Rachen) auf, gefolgt von den Atmungsorganen (HR: 1,9; 95%-KI: 1,74-2,10; p<0,001) weiblichen Genitalorganen (HR: 1,86; 1,56-2,17; p<0,001), Haut (HR: 1,83; 95%-KI: 1,72-1,94; p<0,001), Lymphknoten bzw. hämatopoetisches Gewebe (HR: 1,77; 95%-KI: 1,63-1,91; p<0,001), Verdauungsorganen (HR: 1,75; 1,64-1,87; p<0,001), Brust (HR: 1,67; 95%-KI: 1,52-1,84; p<0,001) und Urogenitaltrakt (HR: 1,64; 95%-KI: 1,48-1,81; p<0,001). Die geringste Assoziation konnte für die männlichen Geschlechtsorganen (HR: 1,52; 95%-KI: 1,40-1,66; p<0,001) nachgewiesen werden, die aber immer noch hoch signifikant war.
Fazit
Die Ergebnisse legen nahe, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Herzinsuffizienz und der Entstehung von Krebs geben könnte. Beide Erkrankungen weisen gemeinsame Risikofaktoren wie Fettleibigkeit und Diabetes auf, die in der Analyse beim Matching auch berücksichtigt wurden. Weitere Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum oder körperliche Aktivität konnten aufgrund fehlender Daten nicht berücksichtigt werden.
Biologisch ist der Zusammenhang plausibel, da eine nachlassende Herzleistung dazu führt, dass Faktoren die ein Tumorwachstum begünstigen, sekretiert werden.
Insgesamt fasst der Autor Dr. Mark Luedde, Klinik für Innere Medizin III: Kardiologie und Angiologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Arzt in der Kardiologischen Gemeinschaftspraxis Bremerhaven die Ergebnisse auf dem European Society of Cardiology (ESC)-Kongress folgendermaßen zusammen: „Es ist gängige Praxis, dass Krebspatienten, die herzschädigende Medikamente erhalten haben, auf eine Herzinsuffizienz überwacht werden. Umgekehrt häufen sich die Hinweise darauf, dass Patienten mit Herzinsuffizienz von einer intensiven Überwachung auf die Krebsentwicklung profitieren könnten - zum Beispiel durch Screening. In Anbetracht der hohen Inzidenz beider Erkrankungen und ihrer Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen verdienen diese Patienten eine optimale Zusammenarbeit von Kardiologen und Onkologen.“