Abgefüllte Opiumtinktur ist Fertigarzneimittel

Das Landgericht Hamburg hat in einem Rechtsstreit zwischen einer Apotheke und der Firma Pharmanovia ein Urteil gefällt. Der Apotheke wird untersagt die Opiumtinktur der Firma Maros Arznei GmbH ohne Veränderung der Wirksubstanz als Arzneimittel an Endkunden abzugeben, solange für die Opiumtinktur keine Zulassung erfolgt ist.

Opiumtinktur

Der Rechtsstreit dauerte seit 2019 an und stellte sich der Frage, ob abgefüllte Opiumtinktur als Rezepturarzneimittel vertrieben werden darf. Kläger ist die Firma Pharmanovia, die das Fertigarzneimittel »Dropizol 10 mg/ml Tropfen zum Einnehmen, Lösung« herstellt. Dieses wird in Deutschland von der Firma Innocur Pharma GmbH vertrieben. Bei dem Betäubungsmittel handelt es sich um eine eingestellte Opiumtinktur zur Behandlung von schweren Durchfällen z.B. durch Zytostatika, Bestrahlung oder neuroendokrine Tumore. Ein Konkurrenzprodukt ist die Opiumtinktur »Tinctura Opii normata Ph. Eur.« der Firma Maros Arznei GmbH, die in gleicher Zusammensetzung und Formulierung als Ausgangsstoff für Rezepturarzneimittel vertrieben wird.

Verfahren gegen Konkurrenten scheitert

Im Jahr 2019 ging die Firma Pharmanovia zunächst gegen die Maros Arznei GmbH vor. Mit der Begründung die vertriebene Opiumtinktur sei nach §4 Abs. 1 AMG ein Fertigarzneimittel ohne Zulassung wollte Pharmanovia ein Vertriebsverbot der »Tinctura Opii normata Ph. Eur.« erwirken. Dieser Antrag wurde vom Landgericht Hamburg mit dem Urteil vom 28.5.2019 zurückgewiesen (Az. 327 O 118/19), da Maros Arznei GmbH eine Großhandelserlaubnis nach §52a Abs. 1 AMG sowie eine Herstellungserlaubnis nach §13 Abs. 1 AMG besitzt. Die Berufung wurde nach einem Hinweis des Oberlandesgerichts Hamburg zurückgenommen.

Anklage gegen Hamburger Apotheke

Nach einem Testkauf, bei dem eine Hamburger Apotheke auf Rezept eine Opiumtinktur der Firma Maros abfüllte, kennzeichnete und dem Patienten als Rezepturarzneimittel übergab, wurde diese von Pharmanovia im Januar 2020 verklagt. Begründet wurde die Anklage erneut damit, dass es sich bei der Opiumtinktur nicht um eine Rezeptur, sondern ein Fertigarzneimittel handle, dass die Apotheke ohne Zulassung abgegeben habe. Die Opiumtinktur entspreche der Definition eines Fertigarzneimittels nach §4 Abs. 1 AMG:

  • Die Herstellung erfolge im Voraus durch die Firma Maros Arznei GmbH
  • Es werde ein industrielles Verfahren verwendet, da nach Angaben der Firma Maros in Deutschland jährlich etwa 4.000 kg Opiumtinktur hergestellt werden
  • Es handele sich nicht um ein Zwischenprodukt, das für eine weitere Verarbeitung durch einen Hersteller bestimmt sei. Dies erfordere außerdem eine stoffliche Veränderung.

Damit liege ein Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung des §21 Abs. 1 AMG (Inverkehrbringung eines Fertigarzneimittels ohne erforderliche Zulassung) vor.

Apotheke erhob Einspruch

Die Apotheke hatte das Urteil angefochten, das Hinweise darauf gebe, dass es sich bei der Ausstellung des Rezeptes für den Testkauf um eine Gefälligkeit gehandelt habe und daher der Unterlassungsanspruch rechtsmissbräuchlich sei. Zudem handele es sich bei der »Tinctura Opii normata Ph. Eur.« um ein Zwischenprodukt, das sogar laut Aufschrift in einer Verpackung, bei der es sich nicht um eine Endverbraucherpackung handele, vertrieben werde. Die Packungsgrößen lägen weiterhin oberhalb der Verordnungsgrenze.

Das Herstellen umfasst nach §4 Abs. 14 AMG u.a. „das Umfüllen einschließlich Abfüllen, das Abpacken, das Kennzeichnen und die Freigabe“. Daher seien die von der Apotheke vorgenommenen Tätigkeiten als Herstellungsschritte anzusehen. Zudem habe die Apotheke aufgrund der Art der Verordnung, die als Rezeptur erfolgte, dem Kontrahierungszwang (§17 Abs. 5 ApBetrO) nachgeben müssen. Bei der Abgabe eines Fertigarzneimittels auf eine Rezeptur-Verschreibung wäre die Apotheke zudem ein Retaxationsrisiko gegenüber den Krankenkassen eingegangen.

Landgericht verurteilt Apotheke

Dem Antrag der Firma Pharmanovia auf eine einstweilige Verfügung zur Unterlassung der Abgabe der »Tinctura Opii normata Ph. Eur.« der Firma Maros als Rezepturarzneimittel durch die betroffene Apotheke, wurde stattgegeben (Az. 312 O 16/20). Das Urteil vom 4. Februar 2021, welches derzeit nicht rechtskräftig ist, begründete das Landgericht Hamburg wie folgt.

  • Der Vorwurf der Apotheke der Unterlassungsanspruch sei rechtsmissbräuchlich könne nicht bestätigt werden. Zudem sei unabhängig davon unstrittig, dass die Apotheke im Jahr 2019 eine mittlere zweistellige Anzahl der Opiumtinkturen als Rezepturarzneimittel abgab.
  • Es handele sich bei dem Arzneimittel »Tinctura Opii normata Ph. Eur.« um ein Fertigarzneimittel nach §4 Abs. 1 AMG und nicht um ein Zwischenprodukt.
  • Der Begriff des Herstellens sei dahin ausgelegt, dass das Arzneimittel dort hergestellt sei, wo der Schwerpunkt der Herstellungstätigkeiten liege. Die Apotheke nehme keine wesentlichen Herstellungsschritte vor.
  • Das Abfüllen der Opiumtinktur stelle keine individuelle Rezeptur dar, sondern nur eine Neuverteilung ohne Abweichung von der Bulkware.
  • Der Gesetzgeber habe nach §21 Abs. 2 Nr. 1b lit. c) AMG die zulassungsfreie Abgabe in den Fällen des Abfüllens ausdrücklich auf die Fälle beschränkt, in denen bereits eine Zulassung für das abzufüllende Präparat besteht.
  • Im Streitfall handele es sich nicht um ein Rezepturarzneimittel, daher ändere auch das Argument des Kontrahierungszwangs nichts an dem Urteil. Durch Beseitigung der Unklarheiten bezüglich der Verordnung vor der Abgabe, könnte ein Retaxationsrisiko vermieden werden.

Rezeptur- vs. Fertigarzneimittel

Nach §4 Abs. 1 AMG sind Fertigarzneimittel im Voraus hergestellte Arzneimittel, Rezepturarzneimittel werden hingegen nach §1a Abs. 8 ApBetrO im Einzelfall auf Grund einer Verschreibung oder auf sonstige Anforderung einer einzelnen Person und nicht im Voraus hergestellt. Die Apotheke argumentierte, dass sich „im Voraus hergestellt“ auf den Zeitpunkt des Bekanntseins des Patienten beziehe. So werde ein Fertigarzneimittel bevor und ein Rezepturarzneimittel hergestellt, nachdem der Patient bekannt sei. Dem Urteil des LG Hamburg nach fehle es im vorliegenden Fall jedoch an einer patientenindividuellen Herstellung. Verschiedenen Entscheidungen des BGH und BVerwG sowie einem Parallelverfahren gegen eine andere Apotheke zufolge, seien Präparate, die Apotheken aus bereits fertigen pharmazeutischen Stoffen oder Gemischen an die Patienten bei Vorlage eines entsprechenden Rezepts abgäben, keine Rezepturarzneimittel, sondern seien als Fertigarzneimittel zu qualifizieren.

Weiterhin sei die Herstellung von Rezepturarzneimitteln auf Fälle beschränkt, in denen kein äquivalentes Fertigarzneimittel auf dem Markt ist (Apozyt-Entscheidung des EuGH GRUR 2013, 854). Ein Wettbewerb von zulassungspflichtigen Fertigarzneimitteln mit vergleichbaren Rezeptur- und Defekturarzneimitteln mit identischem Wirkstoff und Anwendungsgebiet soll so vermieden werden.

Auslegung des Herstellens

Der Begriff des Herstellens ist nach §4 Abs. 14 AMG definiert als „das Gewinnen, das Anfertigen, das Zubereiten, das Be- oder Verarbeiten, das Umfüllen einschließlich Abfüllen, das Abpacken, das Kennzeichnen und die Freigabe“. Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2013 (»Münchner Apotheke« [GRUR 2013, 84]) wird der Begriff jedoch dahin ausgelegt, dass das Arzneimittel dort hergestellt sei, wo der Schwerpunkt der Herstellungstätigkeiten liege. Nur so werde der Arzneimittelsicherheit hinreichend Rechnung getragen. Das Umfüllen, Kennzeichnen, Dokumentieren und Freigeben seien nach Vorgaben des BGH und des Landesgerichts Hamburg keine wesentlichen Herstellungsschritte, da keine Veränderung des Wirkstoffs erfolge, wie es beispielsweise durch Verdünnung der Fall wäre.

In der Definition des Herstellens sei zudem nicht von der Endverbraucherpackung die Rede, daher falle unter die Definition jede Art des Abpackens, auch das Abpacken in ein Großgebinde. Das Bundesverfassungsgericht (BverG) weist außerdem in einem Urteil vom Jahr 1999 daraufhin, dass „jede andere Auslegung des §4 Abs. 1 AMG der Gesetzesumgehung Tür und Tor öffnen würde, da Arzneimittelhersteller in großem Umfang Arzneimittel ohne Zulassung auf den Markt bringen könnten, indem sie lediglich das Abpacken in Kleingebinde und die Kennzeichnung den Apothekern überlassen“ (BVerwG, a.a.O. Rn. 25-26, juris).

Entscheidung im Einzelfall

Das Urteil des LG Hamburg, dass die Opiumtinktur ohne Veränderung der Wirksubstanz nicht ohne Zulassung an den Endkunden abgegeben werden darf, gilt jedoch nur für die betroffene Apotheke. Eine weitere Apotheke in einem Parallelfall darf die Tinktur nach dem Abfüllen ebenfalls nicht mehr als Rezepturarzneimittel abgeben. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.

Autor:
Stand:
25.03.2021
Quelle:
  1. LG Hamburg: Urteil vom 04.02.2021, Az. 312 O 112/20
  2. 2. LG Hamburg: Anspruch auf Unterlassung des Vertriebs der hergestellten "eingestellten Opiumtinktur“, Urteil vom 28.05.2019, Az. 327 O 118/19
  3. 3. Innocur Pharma GmbH: Urteil aus Hamburg: Abgabeverbot für Opiumtinktur als Rezepturarzneimittel
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