EASD 2022: Diabetes-Gentests – Segen und Fluch

Dank des Next-Generation-Sequencing konnten immer mehr Genvarianten identifiziert werden, die das Risiko für eine Diabeteserkrankung erhöhen oder eine monogenetische Form hervorrufen. Der Nutzen von Gentests ist unterschiedlich, ein differenzieller Einsatz wichtig.

DNA-Analyse

Bekannt sind inzwischen eine ganze Reihe von Genvarianten, die mit einer Betazelldysfunktion, einer Betazell-Zerstörung oder einer Entwicklungsstörung des Pankreas einhergehen und eine monogenetische Diabetesform hervorrufen können. Gene, die mit einem neonatalen Diabetes (NDM) assoziiert sind, können später auch bei MODY (Abk. für Englisch: Maturity-Onset Diabetes of the Young) gefunden werden, erklärte Dr. Minna Harsunen von der Forschungsgruppe für klinischen und molekularen Stoffwechsel der Universität von Helsinki [1]. Sie prüfte anhand des finnischen pädiatrischen Diabetesregisters die Prävalenz und die klinischen Manifestationen eines monogenetischen Diabetes bei Kindern, die bei Diabetes-Diagnose entweder keine für einen Diabetes mellitus Typ 1 typischen Autoantikörper aufwiesen oder nur sehr geringe Titel von Inselzellautoantikörpern (ICA ≤ 10 Juvenile Diabetes Foundation Units [JDF-U]).

Populationsbasiertes Diabetes-Register

Das finnische pädiatrische Diabetesregister erfasst populationsbasiert alle Kinder bis zum Alter von 16 Jahren, die eine Diabetes-Diagnose erhalten. Für die aktuelle Auswertung wurde der Diagnosezeitraum von 2002 bis 2018 gewählt, das mittlere Diagnosealter lag bei 8,0 Jahren. Es wiesen 2,5% der neu diagnostizierten Kinder keine Autoantikörper auf, 0,9% einen sehr geringen ICA-Titer. Von 152 Kindern ohne Autoantikörper und 49 Kindern mit einem niedrigen ICA-Titer lag DNA für ein Next-Generation-Sequencing (NGS) vor. Das NGS umfasste 42 Gene, für die eine Assoziation mit einem monogenetischen Diabetes belegt ist.

Prävalenz eines monogenetischen Diabetes 0,3%

Von den 152 Kindern ohne Autoantikörper bei Diabetes-Diagnose wiesen 19 (12,5%) eine monogenetische Ursache des Diabetes auf, berichtete Harsunen. Bei 9,2% handelte es sich um bekannte pathogene oder wahrscheinlich pathogene Varianten nach standardisierten Kriterien, bei 3,3% um Varianten unklarer Signifikanz, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls relevant sind. Das mittlere Diagnosealter in dieser Gruppe war 9,6 Jahre, keines dieser Kinder wies eine signifikante Ketose oder Ketoazidose auf und in keinem Fall lagen Hochrisiko-HLA-Genotypen für einen Typ-1-Diabetes vor. Von den 49 Kindern mit einem niedrigen ICA-Titer wiesen zwei eine monogenetische Ursache eines Diabetes auf. Insgesamt umfassten die identifizierten Genvarianten mit Assoziation zu Diabetes die Gene KCNJ11, HNF1A, HNF4A, HNF1B, GCK, INS, WFS1, RFX6 und LMNA.

Gentest hat Konsequenzen

Anhand von zwei Beispielen erläuterte Harsunen die Bedeutung der Detektion solcher Varianten: Ein Kind hatte bisher eine Insulinpumpe. Als im Gentest eine bislang unbekannte HNF4A-Missense-Variante detektiert wurde, erfolgte versuchsweise die Einführung von Repaglinid, einem Sulfonylharnstoff-ähnlichen Medikament, zu den Mahlzeiten. Daraufhin konnte die Insulintherapie bei verbesserter glykämischer Kontrolle innerhalb von 25 Tagen gestoppt werden. In einem anderen Fall wurde bei einem ebenfalls mit einer Insulinpumpe versorgten Kind eine KCNJ11-Variante entdeckt. Hier konnte die Insulintherapie innerhalb von 80 Tagen ganz auf Glibenclamid umgestellt werden – ebenfalls mit verbesserter glykämischer Kontrolle im Ergebnis. Deshalb plädierte Harsunen dringend dafür, bei Kindern mit neu diagnostiziertem Diabetes ohne Autoantikörper oder sehr niedrigen ICA-Titern ein NGS auf Genvarianten, die mit einem monogenetischen Diabetes assoziiert sind, durchführen zu lassen.

Bedeutung von zufällig entdeckten Varianten weniger klar

Durch die inzwischen kommerziell verfügbaren Gentests können entsprechende Genvarianten auch bei gesunden Erwachsenen entdeckt werden. Die Bedeutung dieser Zufallsbefunde ist nicht so klar wie bei Menschen, die tatsächlich einen Diabetes entwickelt haben, betonte Dr. Kashyap Patel von der Universität in Exeter, Großbritannien [2]. Er berichtete, dass es sinnvoll sein kann, beispielsweise die Geschwister eines von einem MODY Betroffenen einem Gentest zu unterziehen, um das Risiko, ebenfalls eine MODY zu entwickeln, abzuklären. Bei Gesunden ohne positive Familienanamnese ist dagegen die Penetranz der Genvarianten geringer und damit der Sinn solcher Gentests fraglich.

Große Kohorten mit unterschiedlichem Risiko untersucht

Er analysierte die Penetranz der mit einem MODY assoziierten Varianten der Gene HNF1A, HNF4A und GCK in einer großen selektierten Kohorte mit 1.742 MODY-Patienten (100% Diabetes) und 2.194 Familienangehörigen (53% mit Diabetesdiagnose) sowie zwei unselektierten Kohorten: einer US-amerikanischen aus dem stationären Bereich (24% mit Diabetesdiagnose) und einer britischen populationsbasierten Kohorte (6% mit Diabetes-Diagnose). In den unselektierten Kohorten lag die Prävalenz der pathogenen Varianten bei den HNF-Varianten bei etwa 1:7.000 bis 1:10.000, bei der GCK-Variante bei 1:2.000.

Teilweise geringe Penetranz in der Allgemeinbevölkerung

Während bei der HNF1A-Variante 85% der Familienangehörigen eines MODY-Patienten ebenfalls einen monogenetischen Diabetes aufwiesen, waren es in der unselektierten Kohorte aus der Klinik 50%, in der populationsbasierten Kohorte sogar nur 30%. Bei HNF4A war die Penetranz in unselektierten Kohorten noch geringer (stationäre Kohorte: 30%, populationsbasierte Kohorte: 21%). Die weitere Analyse zeigte, dass dabei nicht Unterschiede in den Varianten in den verschiedenen Gruppen für das Ergebnis verantwortlich gemacht werden konnten. Bei GCK-Varianten war dagegen in allen Kohorten eine hohe Penetranz festzustellen. Wenn es also zu inzidentellen Befunden mit Genvarianten kommt, die mit einem monogenetischen Diabetes assoziiert sind, ist bei der Interpretation und Beratung Vorsicht geboten. Patel erinnerte daran, dass bei geringer Penetranz die nicht-genetischen Risikofaktoren wie zum Beispiel der Lebensstil umso bedeutsamer für das Diabetesrisiko sind und die Beratung entsprechend auch in dieser Richtung erfolgen sollte.

Autor:
Stand:
04.10.2022
Quelle:
  1. Dr. Minna Harsunen: „Children with newly-diagnosed diabetes but no autoantibodies should be genetically testeed – monogenic variants in the Finnish Pediatric Diabetes Register“, 58th EASD Annual Meeting 2022, Stockholm/hybrid, 21. September 2022.
  2. Dr. Kashyap Patel: „Penetrance of MODY is substantially lower in a clinically unselected cohort: important implications for opportunistic genomic testing“, 58th EASD Annual Meeting 2022, Stockholm/hybrid, 21. September 2022.
  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige