Geringeres Hypoglykämierisiko unter lang wirksamen Insulinanaloga

Insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 2 wird meist entweder mit NPH-Insulin oder lang wirksamen Insulinanaloga behandelt. Eine neue Studie fand nun heraus, dass bei Monotherapie lang wirksame Insulinanaloga für ältere Menschen unter Umständen sicherer sein könnten als NPH-Insulin.

Insuline

Hintergrund

Diabetes mellitus Typ 2 (DM Typ 2) kann auf unterschiedliche Art und Weise behandelt werden. Eine Möglichkeit, einen mit oralen Antidiabetika und Lebensstilanpassungen nicht ausreichend kontrollierbaren DM Typ 2 zu behandeln, ist es Verzögerungsinsuline einzusetzen. Dabei wird unterschieden zwischen Intermediärinsulinen wie dem NPH-Insulin (Wirkdauer etwa 14 Stunden) und lang wirksamenden Insulinanaloga. Letztere haben eine Wirkdauer von 24 bis 36 Stunden, dazu zählen die Wirkstoffe Insulin detemir und Insulin glargin. Besonders lang wirksame Insulinanaloga sollen die pharmakokinetischen Eigenschaften des endogenen Insulins nachbilden. Sie gelten deshalb als vorteilhaft und wurden in den letzten Jahren zunehmend häufiger eingesetzt. Zum Beispiel bestand 2017 der Anteil an lang wirksamen Insulinanaloga am gesamten eingesetzten Insulin in den USA bei 50%, davon entfielen 62% auf Insulin glargin.

Vergleich von Langzeitinsulinen und NPH-Insulin

Bereits in der Vergangenheit wurden in mehreren Studien das NPH-Insulin und die lang wirksamen Insulinanaloga verglichen. Dabei lag der Fokus meist auf der Anzahl an Notaufnahmebesuchen und Hospitalisierungen aufgrund von schweren Hypoglykämien. Bisher konnten meist keine oder nur geringe Unterschiede in dem Risiko für selbige zwischen NPH-Insulin und Insulin detemir oder glargin nachgewiesen werden. Auch ein Cochrane Review wies keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen lang wirksamen Insulinanaloga und NPH-Insulin nach. Das durchschnittliche Alter der in den meisten Studien eingeschlossenen Patientinnen und Patienten lag zwischen 55 und 60 Jahren. Das hat das wissenschaftliche Team um Marie C. Bradley vom Center for Drug Evaluation and Research ider US Food and Drug Administration (FDA) in den USA vermuten lassen, dass das Alter vielleicht eine Rolle spielen könnte. In einer kürzlich in JAMA Internal Medicine publizierten Studie untersuchten sie deshalb noch einmal das Risiko für krankenhauspflichtige Hypoglykämien bei NPH-Insulin und lang wirksamen Insulinanaloga.

Zielsetzung

Mit dieser Studie wollte das Forscherteam noch einmal untersuchen, wie sich langwirksame Insulinanaloga und NPH-Insulin auf die Rate an Notaufnahmebesuchen oder Hospitalisierungen aufgrund von Hypoglykämie bei Typ-2-Diabetikern und -Diabetikerinnen auswirkt. Ziel war es, zu prüfen, ob es einen in früheren Studien nicht detektierten Unterschied vor allem in älteren Patientenkohorten ab 65 Jahren gibt.

Methodik

Das Studienkonzept entsprach dem einer retrospektiven Kohortenstudie. Die Daten stammten aus den Medicaredaten der USA und wurden in dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2017 und dem 31. Juli 2019 analysiert.

Eingeschlossen wurden unter anderem Menschen mit einem Anspruch auf Medicare, die mindestens 65 Jahre oder älter waren und durchgängig in Medicare eingeschrieben waren. Sie hatten alle DM Typ 2 und in den 365 Tagen vor Beginn der Studienperiode weder Studieninsulin noch eine prandiale Insulintherapie erhalten. Eine prandiale Insulintherapie während des Studienzeitraums war jedoch kein Ausschlusskriterium. Alle eingeschlossenen Patientinnen und Patienten waren eigenständig und erhielten keine professionelle externe Unterstützung im Alltag wie beispielsweise Dauerpflege oder Pflegeheim. Auch Nierentransplantierte, Dialysepatientinnen und -patienten oder Patienten, die aus anderen Gründen als des Alters wegen in Medicare eingeschrieben sind, wurden ausgeschlossen. Alle Teilnehmenden erhielten Insulin glargin, Insulin detemir oder NPH-Insulin während der Studienperiode.

Hospitalisierungen und Notaufnahmebesuche aufgrund einer Hypoglykämie wurden klassifiziert gemäß der jeweiligen Diagnosecodes im ICD-9-CM und ICD-10-CM. Der gesamte Datensatz wurde hinsichtlich dieser Kriterien mittels eines bereits in anderen Studien genutzten und modifizierten Algorithmus untersucht. Für wichtige Kovarianten für den Einschluss oder Ausschluss von Patientinnen und Patienten wurden ebenfalls die Daten zwölf Monate vor Beginn der Studienperiode verwendet.

Statistische Analyse

Alle Daten wurden mittels verschiedener statistischer Verfahren analysiert und vorab mittels »inverse probability of treatment weights«, kurz IPTW, angepasst. Zu den statistischen Methoden zählen unter anderem die logistische Regressionsanalyse, Hazard Ratios (HRs) mittels gewichteter Cox-Regression mit 95%igem Konfidenzintervall (95%-KI) und Post hoc Analysen. Als statistisch signifikant galten p-Werte <0,05.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 575.008 Menschen in die Analyse eingeschlossen. Von diesen erhielten 407.018 Insulin glargin, 141.588 Insulin detemir und 26.402 NPH-Insulin. Das Durchschnittsalter lag bei 74,9 Jahren (SD 6,7) und 53% der Probanden waren weiblich.

Aus der Analyse ergaben sich 7.347 Notaufnahmebesuche oder Hospitalisierungen aufgrund von Hypoglykämie. Aufgesplittet sind das 5.194 unter Insulin glargin-Therapie, 1.693 unter Insulin detemir sowie 460 unter NPH-Behandlung mit einem Medianen Follow-up von insgesamt 0,37 Jahren (Interquartilsabstand 0,20-0,75 Jahre). Wurde Insulin glargin mit NPH-Insulin verglichen, ergaben sich gewichtete Inzidenzraten von 17,37 (95%-KI 16,89-17,48) für Insulin glargin und 26,64 (95%-KI 26,01-27,3) für NPH-Insulin für einen Notaufnahmebesuch oder eine Hospitalisierung pro 1.000 Personenjahren. Im Vergleich zwischen Insulin detemir und NPH-Insulin lagen die Inzidenzraten bei 16,69 (95%-KI 15,92-17,51) für das Langzeitinsulin und 25,04 (95%-KI 24,01-26,11) für NPH. Damit zeigten sowohl Insulin glargin als auch detemir ein reduziertes Risiko für Hospitalisation oder Notaufnahmebesuch aufgrund von Hypoglykämie.

Die angepassten Hazard Ratios waren hier 0,71 (95%-KI 0,62-0,80; p<0,001) für Insulin glargin und 0,72 (95%-KI 0,63-0,82; p<0,001) für Insulin detemir. Wurde als zusätzliche Kovariante die begleitenden prandialen Insulingaben der Analyse hinzugefügt, änderten sich die HRs auf 0,99 (95%-KI 0,90-1,09; p=0,85) für den Vergleich von Insulin glargin vs. NPH-Insulin für den Zeitraum, in dem das prandiale Insulin eingesetzt wurde und auf 0,78 (95%-KI 0,67-0,89; p<0,001) für die Zeit, in der es nicht gegeben wurde. Bei Insulin detemir vs. NPH-Insulin verhält es sich ähnlich mit 0,78 (95%-KI 0,68-0,89; p<0,001) für die Zeit, in der kein prandiales Insulin verwendet wurde und 0,96 (95%-KI 0,86-1,08; p=0,53) für die Zeit, in der prandiales Insulin gegeben wurde. Der Unterschied zwischen Studienwirkstoff und begleitendem prandialem Insulingebrauch liegt dadurch mit p=0,02 im statistisch signifikanten Bereich.

Zusätzlich stieg das Risiko für Notaufnahmebesuche und Hospitalisierungen mit der Anzahl der vorausgegangenen Events.

Wurden die Daten in der Post hoc-Analyse zusätzlich noch hinsichtlich des Alters untersucht, ergab sich eine protektive Assoziation von lang wirksamen Insulinanaloga im Vergleich zu NPH-Insulin zwischen dem 69. und 87. Lebensjahr. Diese war stärker als in den anderen untersuchten Altersgruppen.

Fazit

Das Risiko für Notaufnahmebesuche und Hospitalisierungen aufgrund von Hypoglykämie war zwischen den lang wirksamen Insulinanaloga und NPH-Insulin für Patienten und Patientinnen älter als 68 Jahre signifikant unterschiedlich. Patientinnen und Patienten mit Insulin glargin- oder detemir-Therapie hatten ein fast 30% niedrigeres Risiko aufgrund einer Hypoglykämie ins Krankenhaus zu müssen. Sie hatten demnach 9,3 Hypoglykämieevents pro 1.000 Patientenjahren weniger unter Insulin glargin und 8,4 unter Insulin detemir.

Relativiert wird der Effekt aber, sobald prandiales Insulin dem Therapieregime hinzugefügt wird. Dann waren die Unterschiede nicht mehr statistisch signifikant. Bei einer Monotherapie könnte ein lang wirksames Insulinanalogon also unter Umständen besser sein für besonders ältere Patientinnen und Patienten.

Autor:
Stand:
03.08.2021
Quelle:

Bradley MC. Et la. Severe Hypoglycemia Risk With Long-Acting Insulin Analogs vs Neutral Protamine Hagedorn Insulin. JAMA Internal Medicine. DOI: 10.1001/jamainternmed.2020.9176

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