DDG 2022: Mehr Einsatz künstlicher Intelligenz in der Diabetesversorgung wagen

Künstliche Intelligenz wird bereits heute in der Diabetesversorgung in AID-Systemen eingesetzt. Sie könnte jedoch auch in der Prävention helfen, Erfolge zu erzielen, wie beim diesjährigen Diabetes Kongress berichtet wurde.

Kuenstliche Intelligenz

Das Wesentliche an Künstlicher Intelligenz (KI) sind Algorithmen, sie beschreiben nachvollziehbare Vorgänge und Prozesse mittels mathematischer Beziehungen. „Ein neuronales Netzwerk ist eines der Standarddinge, die in der KI angewendet werden“, erklärte Dr. Andreas Thomas, Consulting Pirna DE, zu Grundlagen der KI. Diese Netzwerke können und müssen trainiert werden. Ähnlich dem menschlichen Gehirn geht es dabei vor allem um Mustererkennung. Etwas, das Diabetikerinnen und Diabetiker erlernen und im Alltag tagtäglich machen, um Blutzuckerentgleisungen frühzeitig zu erkennen. Dieser Lernprozess lässt sich auch mittels künstlicher Intelligenz abbilden und wird dort als Machine Learning bezeichnet.

Einsatzmöglichkeiten für KI

In der Diabetesversorgung finden Künstliche Intelligenz und Machine Learning schon länger Anwendung. Mittels Fourier-Analyse lassen sich beispielsweise Glukoseprofile abbilden. Das ist für kommerzielle AID-Systeme (Automated Insulin Delivery-System) hilfreich. Sie können anhand der bekannten Sensorglukosekurve über den Tag eine Warnung abgeben, dass eine Hypoglykämie in x Minuten droht und kein Insulin mehr abgegeben werden darf. Dafür müssen funktionelle Parameter definiert sein und möglichst viele Parameter, die sich auf den Glukosespiegel auswirken können, im Algorithmus abgebildet werden. Dazu zählen auch nichtglykämische Parameter wie die Herzratenvariabilität, die aufgenommene oder gleich aufgenommene Nahrung oder Parameter, die beim Sport über Smart Watches gemessen werden. Angestrebt wird dann ein Bereich, beispielsweise die Time in Range (TiR). „Wir streben einen Bereich an, keinen Einzelwert“, bekräftigte auch Andreas Thomas noch einmal. So können diabetische Folgeerkrankungen vermieden werden.

Behandlungsempfehlungen durch KI

Wie Studienergebnisse aus den USA zeigen, kann es durchaus erfolgreich sein, KI und Machine Learning in der Diabetesversorgung mit einzusetzen, berichtete Professor Dr. med. Thomas Danne von dem Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult der Medizinischen Hochschule Hannover. So konnte in einer großen Studie eine Zunahme der TiR um 5% (p<0,01) erreicht werden und 6% niedrigere Glukosewerte.

Dafür wurde das von der amerikanischen FDA zugelassene System »endo.digital« verwendet. Dieses System analysiert Daten von kontinuierlichen Glukosemonitoringsystemen (CGM) und spricht basierend darauf individuelle Behandlungsempfehlungen aus. Diese Empfehlungen werden von einem Diabetesteam überprüft und anschließend freigegeben und den Patientinnen und Patienten mitgeteilt. Neben den direkten gesundheitlichen Effekten für die Patientinnen und Patienten stieg auch die Arztzufriedenheit an, denn die Diskussion mit Patienten und ihren Angehörigen verlief strukturierter und besser.

Primärprävention durch Risikoscores

Künstliche Intelligenz bietet jedoch noch weitere Einsatzgebiete. Eines davon ist die Primärprävention. In Deutschland hat bereits heute ein Fünftel aller 18- bis 79-Jährigen einen Prädiabetes (13,1 Millionen Menschen). Vielen dieser Menschen ist nicht bewusst, dass sie zu einer Hochrisikogruppe gehören, die in den nächsten Jahren einen Diabetes mellitus entwickeln könnte. In der Hochrisikogruppe schätzten gerade einmal 2,1% ihr Risiko adäquat ein, berichtete Dr. Jens Kröger von der Diabetesschwerpunktpraxis Hamburg City.

Hier bieten KIs gerade im Bereich der Primärprävention viel Verbesserungspotential. Sie können neben Risikoscores für Prädiabetes wie den FineRisk oder den Deutschen Diabetesrisikotest, schnell und auf den individuellen Daten der Patientinnen und Patienten basierend das Risiko einschätzen und die jeweilige Risikogruppe ermitteln.

Das dieses Jahr mit dem Sonderpreis bytes4diabetes Award ausgezeichnete Projekt „Prediabetes Cluster“ entwickelt hierzu gerade eine App für Ärztinnen und Ärzte sowie interessierte Menschen, um das individuelle Risiko für einen Typ-2-Diabetes abzuschätzen. Dafür braucht es Daten zur Glykämie während der Glukosebelastung, Insulinsensitivität, Insulinsekretion, Nüchterninsulin, Nüchterntriglyceride, Taillenumfang, Hüftumfang, Body-Mass-Index (BMI) und HDL-Cholesterin. Der bereits entwickelte Cluster-Algorithmus wird aktuell nur für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt, soll aber zukünftig auch in Form einer App verfügbar gemacht werden.

Ethische Fragen

Trotz aller Vorteile, die Künstliche Intelligenz in der Gesundheitsversorgung bieten kann, müssen auch die ethischen Aspekte diskutiert werden. Denn personalisierte Präzisionsmedizin ist eigentlich nur noch mit KI vorstellbar, das jedoch birgt Konflikte, wie Professor Dr. Bernhard Kulzer vom Diabetes Zentrum Mergentheim (DTM) berichtete. Dazu gibt es bereits ein Positionspapier der WHO und aus Italien. Darin werden sechs Grundsätze für den ethischen Einsatz von KI in der Medizin festgesetzt:

  1. Schutz der menschlichen Autonomie
  2. Wohlergehen, Sicherheit und Vermeidung von Schäden
  3. Transparenz, Erklärbarkeit und Verständlichkeit
  4. Verantwortung, Rechenschaftspflicht
  5. Inklusion, Benutzerfreundlichkeit, Gerechtigkeit
  6. Anpassungsfähigkeit, Nachhaltigkeit

Partizipation des Patienten ermöglichen

Alle diese Grundsätze brauchen klare Definitionen und Konsequenzen. Der Schutz der Autonomie beispielsweise bedeutet, dass Patienten und Patientinnen Konsequenzen aus Machine Learning verstehen müssen und selbst wählen können müssen, ob sie der Entscheidung einer KI zustimmen möchten. Dafür braucht es eine partizipative Entscheidungsfindung. Auch das Missbrauchspotential muss eingedämmt werden und der Nutzen muss, wie bei allen medizinischen Anwendungen, regelmäßig überprüft werden können.

„Es ist sehr wichtig bei der Einführung einer neuen Technik - und Künstliche Intelligenz ist eine neue Technik, die wahrscheinlich das Leben von uns Menschen revolutionieren oder zumindest sehr stark beeinflussen wird - ethische Dimensionen vorab zu diskutieren und zu regulieren“, fasst Kulzer die Verantwortung und die ethischen Fragen, die mit Künstlicher Intelligenz einhergehen, zusammen.

Viele Vorteile durch KI

Künstliche Intelligenz bietet schon heute viele neue Optionen für die Diabetesversorgung. Manches findet bereits Anwendung wie AID-Systeme, wenn auch noch mit geringer Ausschöpfung des eigentlichen Potentials. Mit fundierter ethischer Diskussion und ethischen Grundsätzen können KIs dann viele Verbesserungen für Patientinnen und Patienten bieten.

Autor:
Stand:
08.06.2022
Quelle:
  1. DDG-Symposium. Künstliche Intelligenz - Wie profitieren Menschen mit Diabetes davon? Diabeteskongress 2022. 25.Mai 2022.
  2. Berlin-Chemie Menarini. Punktgenaue Prävention zukünftig via App. Pressemitteilung. [zuletzt aufgerufen am 31.05.2022]

 

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