Seltener Augenerkrankungen bei pädiatrischen Diabetespatienten

Die Häufigkeit der Augenerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen geht zurück. Die Deutsche Diabetesgesellschaft betont in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit regelmäßiger Augenscreenings auf diabetische Retinopathie.

Rückgang

Die diabetische Retinopathie (DR) ist eine der häufigsten Komplikationen bei Patienten mit Diabetes mellitus, insbesondere Kindern und Jugendlichen. Sie zählt außerdem zu den vierthäufigsten Augenerkrankungen bei Erwachsenen und kann zu Erblindung führen. Problematisch ist, dass die Erkrankung im Frühstadium symptomfrei verläuft. Sehstörungen treten erst bei deutlichen und irreversiblen Netzhautschäden auf.

Warnzeichen für eine fortgeschrittene DR sind:

  • Verschlechterung des Sehvermögens, die durch Brillengläser nicht korrigiert werden kann
  • Leseschwierigkeiten bis zum Verlust der Lesefähigkeit
  • Störung des Farbsinns
  • Allgemeine Sehverschlechterung, verschwommenes Sehen
  • Verzerrtes Sehen
  • „Rußregen“ vor dem Auge [2]

Eine aktuelle internationale Kohortenstudie hat gezeigt, dass die Häufigkeit der Erkrankung bei pädiatrischen Patienten gesunken ist. Die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) betont in einer Pressemitteilung, dass regelmäßige Augenscreenings eine wichtige Präventionsmaßnahme bleiben [1,2].

Entwicklung der DR bei jungen Diabetespatienten

Ziel der Kohortenstudie war es, die Prävalenz, zeitliche Entwicklung sowie Risikofaktoren der diabetischen Retinopathie bei Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ 1 zu untersuchen.

Analyse internationaler Registerdaten

Es wurden Daten von 156.090 Kindern und Jugendlichen (mittleres Alter 15,7 Jahre) aus elf Ländern einbezogen und im Zeitraum 2000 bis 2020 analysiert. Darunter waren auch Daten des deutschen DPV-Registers (Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation) sowie weitere bevölkerungsbezogene Register, Kohortenstudien und Audits.

Die in die Studie eingeschlossenen Kinder mussten seit mehr als einem Jahr an Typ-1-Diabetes erkrankt sein (mittlere Diabetesdauer 5,2 Jahre) und mindestens an einem DR-Screening teilgenommen haben. Das Augenscreening wurde im Rahmen qualitätsgesicherter nationaler Screening-Programme durchgeführt und die Retinopathie-Diagnose wurde, falls vorhanden, durch eine augenärztliche Untersuchung bestätigt. Das Risiko einer DR bei der letzten Augenuntersuchung wurde mithilfe logistischer Regressionsmodelle geschätzt, die für das Jahr der Untersuchung, das Alter, die Diabetesdauer, das Geschlecht und den Minderheitenstatus angepasst wurden.

Rückgang der DR-Fälle

Insgesamt wurden 5.540 Personen mit diabetischer Retinopathie in die Studie eingeschlossen, die gesamte unbereinigte Prävalenz der DR bei der letzten Augenuntersuchung betrug 5,8%, die der schweren DR lag bei 0,07%.

Die bereinigte Odds Ratio (adjusted odds ratio, aOR) für DR nahm im Beobachtungszeitraum ab (aOR-pro-1-Jahr-Anstieg = 0,99; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,99 bis 1,00; p<0,0001). Das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit einer DR pro Jahr im Laufe der Zeit signifikant um 1%. gesunken ist.

Diese Veränderung wurde insbesondere durch beobachtete Verbesserungen in Deutschland (aOR-pro-1-Jahr-Anstieg 0,92; 95%-KI: 0,90 bis 0,93; p<0,0001), England (aOR-pro-1-Jahr-Anstieg 0,95; 95%-KI: 0,94 bis 0,97; p<0,0001) und Wales (aOR-pro-1-Jahr-Anstieg 0,84; 95%-KI: 0,79 bis 0,90; p<0,0001) verursacht.

Risikofaktoren

Das Risiko für eine diabetische Retinopathie stieg mit der Länge der Krankheitsdauer (aOR-pro-1-Jahr-Anstieg 1,04; 95%-KI: 1,03 bis 1,04; p<0,0001) und nahm im Laufe der Zeit ab (aOR-pro-1-Jahr-Anstieg 0,99; 95%-KI: 0,98 bis 1,00, p=0,0093).

Die Wahrscheinlichkeit für eine DR nahm außerdem bei höheren HbA1c-Werten (aORpro-1-mmol/mol-Anstieg-im-HbA1c 1,03; 95%-KI: 1,03 bis 1,03; p<0,0001), Personen mit Bluthochdruck (aOR 1,24; 95%-KI: 1,11 bis 1,38; p<0,0001) und Rauchern (aOR 1,30; 95%-KI: 1,17 bis 1,44, p<0,0001) zu. Ein Zusammenhang zwischen dem Cholesterinspiegel (Gesamtcholesterin und LDL) und DR konnte nicht festgestellt werden.

Auffällig war, dass für Frauen in England und Deutschland, im Gegensatz zu den anderen beteiligten Ländern, ein signifikant erhöhtes DR-Risiko festgestellt werden konnte (p<0,0001 bzw. p=0,0219). Diese Beobachtung kann laut der Studienautoren nicht eindeutig erklärt werden.

Limitationen

Die Aussagekraft der Studie wird dadurch eingeschränkt, dass der Ansatz für das DR-Screening in den verschiedenen Ländern nicht standardisiert war, die Register unterschiedlich groß waren und nicht alle Daten für den vollständigen Beobachtungszeitraum oder zu allen Risikofaktoren enthielten. Zudem wurden Querschnittsdaten verwendet, da nicht alle Register Längsschnittdaten mit aufeinanderfolgenden augenärztlichen Untersuchungen für jede Person erhoben hatten, sodass es zu einer möglichen Überschätzung der Auswirkungen von Alter und Dauer des Typ-1-Diabetes kommen sein könnte. Des Weiteren wurden keine Daten über die Nutzung von Diabetestechnologie erhoben [1].

Verbesserte glykämische Kontrolle

Professor Dr. med. Reinhard Holl, Leiter der Arbeitsgruppe Computergestütztes Qualitätsmanagement in der Medizin im epidemiologischen Institut der Universität Ulm, der über das DPV-Register an der Studie beteiligt war, erklärt: „Wir können vermuten, dass [die positive] Entwicklung [der DR-Prävalenz] im Zusammenhang mit der verbesserten glykämischen Kontrolle in den letzten Jahren stehen könnte. Diese wurde auch mithilfe des gestiegenen Zugangs zu Diabetes-Technologien, wie der kontinuierlichen Blutzuckermessung (CGM) und Insulinpumpen, ermöglicht“.

Optimierungsbedarf bei DR-Prävention

Trotz der positiven Studienergebnisse zeigt die Untersuchung auch, dass bei der Prävention der diabetischen Retinopathie weiter Optimierungsbedarf besteht.

Hypertonie-Prävention

Holl weist darauf hin, dass in einigen Ländern, wie auch Deutschland, zu wenige Maßnahmen ergriffen würden, die das Auftreten eines Bluthochdrucks verhindern. „Trotz der hohen Assoziation zwischen erhöhtem Blutdruck und Gefäßschäden bei Diabetes ist die frühzeitige Bluthochdruck-Behandlung noch zu selten Teil der Diabetestherapie“, kritisiert er.

Augen spiegeln allgemeinen Gefäßzustand wider

Professor Dr. med. Hans-Peter Hammes, ehemaliger Sektionsleiter Endokrinologie an der 5. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim, ergänzt, dass auch beim Augenscreening selbst Verbesserungsbedarf bestehe. Nur etwa ein Drittel der Betroffenen bei Diagnose und gerade einmal die Hälfte der Patientinnen und Patienten nach zwei Jahren Diabetesdauer profitierten von einem leitliniengerechten Augenscreening. „Das ist definitiv ein Versäumnis, wenn man bedenkt, dass im Frühstadium eines Diabetes die Netzhaut das einzige Gefäßgebiet ist, das hyperglykämische Schäden anzeigt (…).“ Weiter erläutert er: „Die Augen sind ein Spiegel für den allgemeinen Gefäßzustand – Präventionsmaßnahmen an diesem Organ sind insbesondere bei einem Diabetes essenziell“. Hammes plädiert für eine konsequentere augenärztliche Untersuchung und die effektivere Behandlung von Risikofaktoren – wie Bluthochdruck.

Tipps zur DR-Prävention

Die DDG gibt in ihrer Pressemitteilung abschließend die folgenden Tipps, um diabetischen Augenerkrankungen vorzubeugen.

  • Frühzeitige, regelmäßige Augenkontrolle: Direkt nach Manifestation des Typ-2-Diabetes oder bei Menschen mit Typ-1-Diabetes im Alter von elf Jahren oder nach fünf Jahren Krankheitsdauer
  • Möglichst gute Blutzuckerkontrolle, möglichst normnahen HbA1c anstreben
  • Bluthochdruck konsequent behandeln
  • Vorsorge- und Kontrolltermine beim Augenarzt einhalten
  • Auffallende Sehstörungen umgehend dem behandelnden Arzt melden [2]
Autor:
Stand:
25.01.2023
Quelle:
  1. Bratina et al. (2022): Differences in retinopathy prevalence and associated risk factors across 11 countries in three continents: A cross-sectional study of 156,090 children and adolescents with type 1 diabetes. Pediatric Diabetes. DOI: 10.1111/pedi.13416
  2. DDG, Pressemitteilung, 12. Januar 2023
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