Geschlechtsspezifische Unterschiede beim Blutdruck

Die Analyse von Blutdruckkurven zeigt, dass Frauen in der dritten Lebensdekade eine schwerere und schnellere Entwicklung eines erhöhten Blutdrucks zeigen als Männer. Das kumulative Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen ist bei Männern aber weiterhin erhöht.

Blutdruckmessung

Hintergrund

In den letzten Jahren gab es zunehmende Anhaltspunkte die zeigen, dass es zwischen Männern und Frauen Unterschiede bei der klinischen Manifestation von kardiovaskulären Erkrankungen (cardiovascular disease [CVD]) gibt. Die vorherrschende Meinung besagt, dass bei Frauen vergleichbare CVDs im Vergleich zu Männern später und mit atypischen Symptomen auftreten. Jedoch zeigt sich insbesondere beim vaskulären Risikofaktor Hypertonie und dem Bezug zu ischämischen Herzerkrankungen und Herzinsuffizienz, dass Frauen im Vergleich zu Männern vermehrt koronare mikrovaskuläre Dysfunktionen und Herzinsuffizienzen mit eingeschränkter Ejektionsfraktion entwickeln. Die Erfahrung bei der Behandlung von CVDs und Daten von CVD-Präsentationen getrennt nach Geschlecht lassen vermuten, dass sich die kardiovaskuläre Pathophysiologie fundamental zwischen den Geschlechtern unterscheidet.

Zielsetzung

Es wird die Fragestellung untersucht, wie sich Blutdruckkurven von Probanden über die Zeit verändern und ob sich diese zwischen Männern und Frauen unterscheiden.

Methodik

Für die Beantwortung der Fragestellung wurden populationsbasierte Daten mehrerer Kohorten verwendet. Eine umfassende geschlechtsspezifische Analyse von Blutdruckkurven über alle Lebensphasen wurde durchgeführt um ein besseres Verständnis der geschlechts-spezifischen Unterschiede in der frühen kardiovaskulären Physiologie, die der späteren kardiovaskulären Pathophysiologie vorausgeht, zu bekommen. Hierzu wurde die Annahme vorausgesetzt, dass die Blutdruckmessung die einfachste zugängliche Metrik des vaskulären Alterns darstellt und gleichzeitig der wichtigste Faktor für ischämische Herzerkrankungen und Herzinsuffizienz sowohl bei Männern und Frauen darstellt.

Systolischer und diastolische Blutdruckwerte, wurden bei sitzenden Probanden nach einer fünf-minutigen Ruhepause gemessen. Weiterhin wurden CVD-Ereignisse in der Multikohorte untersucht. Als schwerwiegende CVDs wurden definiert und adjudiziert: neu aufgetretene tödliche und nicht-tödliche Myokardinfarkte, Herzinsuffizienz und Schlaganfall.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 32.833 Probanden aus vier amerikanischen Multikohorten-Studien (5.120 Teilnehmer der FHS-Studie, 15.786 Teilnehmer der ARIC-Studie, 5.113 Teilnehmer der CARDIA-Studie und 6.814 Teilnehmer der MESA-Studie) eingeschlossen. Sie mussten sich mindestens einer Untersuchung mit einer durchgeführten Blutdruckmessung unterzogen haben und ihre antihypertensive Medikation musste bekannt sein. Über einen Zeitraum von 43 Jahren (1971-2019) wurden 144.599 Untersuchungen dokumentiert.

Patientencharakteristika:

  • 54% der Probanden (17.733 Teilnehmer) waren weiblich.
  • Die Altersspanne der Probanden betrug 5-98 Jahre.
  • Innerhalb des Beobachtungszeitraumes hatten 8.130 Patienten (24,8%) ein neu aufgetretenes schweres CVD-Ereignis.

Blutdruckwerte:

  • Bei der Auswertung aller Blutdruckwerte zeigt sich, dass sich die Werte von Frauen den Männern im mittleren Alter angeglichen haben.
  • Vergleicht man jedoch die Werte unter Berücksichtigung der Baseline-Werte beider Geschlechter zeigt sich, dass Frauen früher einen erhöhten Blutdruck aufweisen und in der dritten Dekade ihres Lebens die Erhöhung des Blutdrucks schneller fortschreitet als bei Männern. (Test des Wahrscheinlichkeitsverhältnisses: systolischer Blutdruck χ2 = 531; diastolischer Blutdruck χ2 = 123; mittlerer arterieller Druck (MAP) χ2 = 325; Pulsdruck (PP) χ2 = 572; p < 0,001 für alle Werte).
  • Unter Berücksichtigung der Unterschiede in der Veränderung des Blutdrucks zwischen Männern und Frauen zeigt sich, dass alle Blutdruck-Komponenten (systolische/diastolischer Blutdruck, MAP, PP) sich bei Frauen überwiegend mehr erhöht haben im Vergleich zu den Männern über die Lebensdauer.
  • Analysen korrigiert zu klinischen Kovariablen (einschließlich BMI, Gesamtcholesterin, Diabetes mellitus, Raucher) zeigen, dass das Ausmaß der Blutdruckerhöhung erwartungsgemäß vermindert war bei beiden Geschlechtern im Vergleich zu nicht korrigierten Daten. (Wahrscheinlichkeitsverhältnis: systolischer Blutdruck χ2 = 314; diastolischer Blutdruck χ2 = 31; mittlerer arterieller Druck (MAP) χ2 = 129; Pulsdruck (PP) χ2 = 485; p < 0,001 für alle Werte).
  • Sekundäre Analysen, getrennt nach ethnischer Zugehörigkeit, Jahrgängen und antihypertensiver Medikation, zeigen vergleichbare Trends.

Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen:

  • Die Untersuchung von neu aufgetretenen schwerwiegenden CVDs zeigt, dass das kumulative Auftreten bei Männern gegenüber Frauen im Verlauf des Lebens erhöht ist. 4.486 von 15.100 Männer (29,7%) und 3.644 von 17.733 Frauen (20,5%) entwickelten eine schwerwiegende CVD (Hazard Ratio: 1,61; 95%-Konfidenzintervall: 1,54-1,69; p < 0,001; log-rank p < 0,001).

Fazit

Die Analyse von Blutdruckkurven über den gesamten Lebensverlauf getrennt nach Geschlecht zeigt, dass sich eine progressive Blutdruckerhöhung schwerer und schneller bei Frauen entwickelt als bei Männern, beginnend mit der dritten Lebensdekade. Im Gegensatz zur heutigen Vorstellung, dass Frauen zehn bis 20 Jahre später als Männer CVDs entwickeln, zeigt diese Studie, dass bestimmte vaskuläre Veränderungen bei Frauen sich nicht nur früher, sondern auch schneller entwickeln als bei Männern. Somit besteht ein nachgewiesener Unterschied zwischen den Geschlechtern in kardiovaskulärer Physiologie, die bereits in frühen Jahren besteht und die Grundlage für spätere kardiovaskuläre Erkrankungen darstellt. Weiterführende Studien sind notwendig um den Sexualdimorphismus für das kardiovaskuläre Risiko zu verstehen und die Prävention und das Management von CVDs bei Frauen und Männern zu verbessern.

Autor:
Stand:
24.02.2020
Quelle:

Hongwei J. et al. (2020): Sex Differences in Blood Pressure Trajectories Over the Life Course; JAMA Cardiology, doi:10.1001/jamacardio.2019.5306

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