DZT 2021: Evidenz der nichtmedikamentösen Therapie bei Hypertonie

Nichtmedikamentöse Maßnahmen stellen einen wichtigen Pfeiler der Therapie des Bluthochdrucks dar. Die Datenlage zu diesen Interventionen ist bisher eher schwach, da kaum Studien mit Betrachtung kardiovaskulärer Endpunkte vorliegen.

Gesunder Lebensstil

In Deutschland leiden etwa 25 Millionen Menschen an einer arteriellen Hypertonie, dazu zählen insbesondere auch Personen mit Diabetes mellitus. Während die Prävalenz bei Typ-1-Diabetikern mit Nicht-Betroffenen vergleichbar ist, haben Typ-2-Diabetiker eine etwa doppelt- bis dreifach höhere Bluthochdruck-Prävalenz. Es besteht dabei eine enge Assoziation zu Übergewicht und mikro- sowie makrovaskulären Endorganschäden. Eine ausreichende Blutdrucksenkung auf 130 mmHg bis 140 mmHg kann bereits durch nichtmedikamentöse Maßnahmen erreicht werden [2]. Bei dem XXXII. Internationalen Fortbildungskurs in praktisch-klinischer Diabetologie des Diabeteszentrums Thüringen e.V. (DZT) referierte PD Dr. rer. Nat. Nicolle Müller vom Universitätsklinikum Jena, über die Datenlage zur nichtmedikamentösen Therapie des Bluthochdrucks.

Basis Schulungsprogramme

Die Basis der nichtmedikamentösen Therapie sei im Wesentlichen die Schulung, erklärte Müller. Dabei gibt es sowohl spezielle Programme für Menschen mit Bluthochdruck als auch Diabetesprogramme, die Aspekte zur Hypertonie behandeln.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen zur Senkung und Kontrolle des Blutdrucks werden beispielsweise in der S3-Leitline der Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) »Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention« beschrieben. Auch hier heißt es, dass Lebensstilinterventionen die Basis der antihypertensiven Therapie bei allen Patienten mit arterieller Hypertonie bilden sollten [3].

Da es sich bei den Schulungsprogrammen um komplexe Interventionen handele, könne nicht im Detail gesagt werden, worauf genau sich die Blutdrucksenkung zurückführen lasse. Eine Betrachtung der Datenlage zu den einzelnen Interventionen solle darüber genauer Aufschluss geben, so Müller.

Blutdruck-Selbstkontrolle

Aufregung und die bekannte Weißkittelhypertonie können die Messung von Blutdruckwerten in der Arztpraxis beeinträchtigen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Blutdruck-Selbstkontrolle einen besseren Prädiktor für kardiovaskuläre Outcome-Kriterien darstellt.

In einer Metaanalyse wurden 15 randomisierte Studien betrachtet, die die Blutdruck-Selbstkontrolle mit der Kontrolle durch Fachpersonal verglichen. Es konnte gezeigt werden, dass über 12 Monate die Selbstkontrolle mit einem reduzierten systolischen Blutdruck von -3,2 mmg Hg (95%-Konfidenzintervall [KI] -4,9 bis -1,6 mmHg) im Vergleich zum üblichen Vorgehen einherging.

Die Effektivität der Blutdrucksenkung hing dabei stark von der Intensität der begleitenden Intervention ab. Es zeigte sich kein Effekt bei ausschließlicher Blutdruck-Selbstkontrolle (-1,0 mmHg, 95%-KI -3,3 bis 1,2) bis hin zu einer starken Blutdrucksenkung von 6,1 mmHg (95%-KI -9,0 bis -3,2) bei intensivem Support [4]. Dies zeige, dass es sinnvoll wäre, die vom Patienten gemessenen Blutdruckwerte gemeinsam mit dem Arzt auszuwerten und zu besprechen, erläuterte Müller.

Kardiovaskuläres Risiko

Eine weitere Metaanalyse untersuchte acht groß angelegte, prospektive Langzeitstudien mit insgesamt 17.688 Teilnehmenden und einem Follow-up von beinahe 100.000 Personenjahren. Auch hier erwies sich der zu Hause gemessene Blutdruck durchweg als signifikanter Prädiktor für kardiovaskuläre Ereignisse. Die Ergebnisse zeigten insgesamt eine Erhöhung der kardiovaskulären Ereignisse pro 1 mmHg systolischer Blutdrucksteigerung um 1,5% (Hazard Ratio HR 1,015, 95%-KI 1,010 bis 1,020) bei der Blutdruck-Selbstkontrolle im Vergleich zu 0,7% (HR 1,007; 95%-KI 1,004 bis 1,011) bei Messungen in der Praxis [5].

Körperliche Bewegung

Das Schulungsprogramm des deutschen Ärzteverlags empfiehlt eher Ausdauer- statt Krafttraining. Müller stellte zwei Studien zu isometrischem Training und regelmäßigem Laufen vor. Die Ergebnisse der Blutdrucksenkung waren mit etwa -4 mmHg systolisch vergleichbar.

Eine Metaanalyse von 15 randomisierten, kontrollierten Studien untersuchte den Effekt körperlicher Bewegung auf den Blutdruck. Die Teilnehmenden bewegten sich drei- bis fünfmal pro Woche und die Studiendauer betrug 8 bis 24 Wochen. Das Training reduzierte den Blutdruck signifikant um etwa -5 mmHg systolisch und -3 mmHg diastolisch [6].

Gewichtsreduktion & kalorienreduzierte Kost

Übergewicht ist ein wichtiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Inhalt der Schulungsprogramme ist daher auch die kalorienreduzierte Kost zur Gewichtsreduktion.

In einem Cochrane-Review wurden die Langzeiteffekte einer Gewichtsreduktion durch Diäten bei erwachsenen Patienten mit primärer Hypertonie betrachtet. Es wurden randomisierte kontrollierte Studien mit einer Mindestlaufzeit von 24 Wochen (6 bis 36 Monate) eingeschlossen. Die Studienteilnehmer nahmen im Mittel 4,0 kg (95%-KI -4,8 bis -3,2) ab. Im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Intervention zeigte eine gewichtsreduzierende Diät eine Blutdrucksenkung von -4,5 mmHg (95%-KI -7,2 bis -1,8) systolisch und -3,2 mmHg (95%-KI -4,8 bis -1,5) diastolisch [7].

Reduktion der Antihypertensiva-Einnahme

Die randomisierte, offene DiRECT-Studie (Diabetes Remission Clinical Trial) untersuchte die Veränderungen des Blutdrucks bei 143 Patienten mit Typ-2-Diabetes durch Formula-Diäten über 12 bis maximal 20 Wochen. Teilnehmende mit antihypertensiver Therapie (n=78) sollten diese zu Beginn der Studie absetzen. Von den 69 Patienten bei denen dies möglich war, mussten 46 die medikamentöse Behandlung im Laufe der Studie wieder aufnehmen, 23 waren zum Ende der Studie und 19 nach 24 Monaten noch ohne antihypertensive Therapie. In dieser Gruppe sank der Blutdruck erst nach etwa neun Wochen signifikant um -4,5 mmHg systolisch und -2,5 mmHg diastolisch (jeweils p=0,03) [8].

Salzreduzierte Kost

Für Patienten mit Hypertonie wird eine maximale Dosis von 6 g Kochsalz (NaCl) pro Tag empfohlen.

Ein Cochrane-Review untersuchte 195 Studien, die den Einfluss einer niedrigen im Vergleich mit einer hohen Kochsalzmenge auf den Blutdruck betrachteten.  Der Blutdruck sank im Mittel um -5,7 mmHg systolisch und -2,9 mmHg diastolisch. Nach einem Follow-up von bis zu 12,7 Jahren zeigte sich keine Risikoreduktion der Gesamtsterblichkeit und keine signifikante Risikoreduktion der kardiovaskulären Sterblichkeit [9].

Kochsalzsubstitution

Neben einer salzreduzierten Kost werden auch Untersuchungen mit Salzsubstitutionen durchgeführt. In einer randomisierten, offenen chinesischen Studie wurden 20.995 Personen in eine Kontrollgruppe, die übliches Kochsalz (100% NaCl) und eine Interventionsgruppe, die ein Salz aus 75% NaCl und 25% KCl erhielt, 1:1 randomisiert.

Nach einem Follow-up von durchschnittlich 4,7 Jahren zeigte sich eine Blutdrucksenkung von etwa 3 mmHg systolisch. Außerdem konnte eine geringere Anzahl kardiovaskulärer Ereignisse (49 vs. 56 Ereignisse pro 1.000 Personenjahren, Rate Ratio 0,87; 95%-KI 0,80 bis 0,94; p<0,001) sowie Todesfälle (39 vs. 45 Ereignisse pro 1.000 Personenjahre; Rate Ratio 0,88; 95%-KI 0,82 bis 0,95; p<0,001) in der Interventionsgruppe festgestellt werden. Hyperkaliämien traten in beiden Gruppen mit vergleichbarer Häufigkeit auf [10].

Stressreduktion

Die verschiedenen Entspannungsmethoden ersetzten keine medikamentöse Therapie und zeigten in Studien bisher keine dauerhafte blutdrucksenkende Wirkung, erklärte Müller.

Ein Cochrane-Review betrachtete 25 randomisierte, kontrollierte Studien, die eine Entspannungstherapie mit einer aktiven oder Scheinbehandlung bei Personen mit erhöhtem Blutdruck verglichen. Es zeigte sich eine geringe, aber signifikante Reduktion des Blutdrucks von -5,5 mmHg (95%-KI -8,2 bis -2,8) systolisch und -3,5 mmHg (95%-KI: -5,3 bis -1,6) diastolisch.

In neun Studien mit Verblindung der Prüfer sowie 15 Studien, die eine Entspannungs- mit einer Scheintherapie verglichen, zeigte sich keine signifikante Blutdrucksenkung. Insgesamt waren die betrachteten Studien sehr heterogen und meist von schlechter Qualität, sodass die Evidenz als schwach eingestuft wird [11].

Alkoholkonsum

Es wird empfohlen den Alkoholkonsum bei Hypertonie möglichst zu beschränken, da Alkohol den Blutdruck erhöhen kann. Die Datenlage hierzu sei nach wie vor sehr schlecht, so Müller.

In einem Cochrane-Review wurden 1210 Studien ohne wesentliches Ergebnis untersucht. Es zeigten sich kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko (RR 0,80, 95%-KI 0,36 bis 1,79) oder ein signifikanter Einfluss auf den Blutdruck. Die Evidenzlage ist wie bereits erwähnt aufgrund heterogener Designs und schlechter Qualität der Studien sehr schwach [12].

Rauchen

Patienten, die rauchen, wird empfohlen, möglichst damit aufzuhören. Für Auswirkungen des Rauchverzicht auf den Blutdruck fehlt allerdings bisher die Evidenz [3,13]. Müller betonte aber, dass die Schädlichkeit des Rauchens unstrittig sei.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für nichtmedikamentöse Maßnahmen des Bluthochdrucks nur schwache wissenschaftliche Nachweise über eine Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte vorliegen. Dennoch stellen diese einen wichtigen Bestandteil der antihypertensiven Therapie dar.

Die folgende Tabelle [2] gibt eine Übersicht über zu erwartende Blutdrucksenkung der einzelnen Maßnahmen. Müller wies jedoch auch darauf hin, dass es bei der Hypertonietherapie nicht um die Behandlung von Werten gehe, sondern darum, die Komplikationen des Bluthochdrucks zu verhindern.

MaßnahmeZu erwartende Blutdrucksenkung
Körperliche Aktivität
(5 Tage/Woche 30 min. oder 3x 1 Stunde/Woche)
4-9 mmHg
Gewichtsreduktion
(pro Kilogramm bei Übergewicht)
1-2 mmHg
Salzreduktion5-8 mmHg
Alkohol2-4 mmHg
Rauchen2-5 mmHg

 

Autor:
Stand:
13.10.2021
Quelle:
  1. PD Dr. rer. Nat. Nicolle Müller, Universitätsklinikum Jena: Nichtmedikamentösen Therapie des Bluthochdrucks, Fortbildungskurs in praktisch-klinischer Diabetologie des Diabeteszentrums Thüringen e.V., 08.10.2021
  2. Müller, Egidi, Klinge, Wolf (2021) Elsevier Essentials – Diabetes, 1. Auflage, Elsevier GmbH, Deutschland
  3. DEGAM: S3-Leitlinie Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention (2017), AMWF-Register-Nr. 053-024
  4. Tucker et al. Self-monitoring of blood pressure in hypertension: A systematic review and individual patient data meta-analysis. PLoS Med 2017 Sep 19;14(9):e1002389. DOI: 10.1371/journal.pmed.1002389
  5. Stergiou, Siontis, Ioannidis. Home blood pressure as a cardiovascular outcome predictor. Hypertension. 2010;55:1301–1303, DOI: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.110.150771
  6. Saco-Ledo et al. Exercise Reduces Ambulatory Blood Pressure in Patients With Hypertension: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. J Am Heart Assoc. 2020 Dec 15;9(24):e018487. DOI: 10.1161/JAHA.120.018487
  7. Siebenhofer et al. Long‐term effects of weight‐reducing diets in people with hypertension. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021, Issue 2. Art. No.: CD008274. DOI: 10.1002/14651858.CD008274.pub4
  8. Leslie, Ali, Harris. et al. Antihypertensive medication needs and blood pressure control with weight loss in the Diabetes Remission Clinical Trial (DiRECT). Diabetologia 64, 1927–1938 (2021). DOI: 10.1007/s00125-021-05471-x
  9. Graudal, Hubeck-Graudal, Jurgens. Effects of low sodium diet versus high sodium diet on blood pressure, renin, aldosterone, catecholamines, cholesterol, and triglyceride. Cochrane Database of Systematic Reviews 2020, Issue 12. Art. No.: CD004022. DOI: 10.1002/14651858.CD004022.pub5
  10. Neal et al. Effect of Salt Substitution on Cardiovascular Events and Death. N Engl J Med 2021 Sep 16;385(12):1067-1077. DOI: 10.1056/NEJMoa2105675
  11. Dickinson et al. Relaxation therapies for the management of primary hypertension in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 1. Art. No.: CD004935. DOI: 10.1002/14651858.CD004935.pub2
  12. Acin et al. Alcohol intake reduction for controlling hypertension. Cochrane Database of Systematic Reviews 2020, Issue 9. Art. No.: CD010022. DOI: 10.1002/14651858.CD010022.pub2
  13. IQWIG: Pressemitteilung – Bluthochdruck und Diabetes: Große Wissenslücken bei Behandlungsstrategien (19.07.2012)
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