
Hintergrund
Bislang wurden Modelle zur Vorhersage von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (cardiovascular disease [CVD]), insbesondere zur Identifizierung von Personen mit hohem Risiko, auf eine Anwendung im klinischen Umfeld hin entwickelt. Ärzte sollen mit diesen Modellen eine Unterstützung mit Blick auf die Behandlungsentscheidung haben. Für diese Vorhersagemodelle sind jedoch Informationen aus körperlichen Untersuchungen und Laborparameter erforderlich und daher für arztunabhängige Bereiche nicht anwendbar.
Nicht-klinische Modelle, die unabhängig von körperlichen Untersuchungen sind, sind aktuell nur in geringer Zahl verfügbar, benötigen komplexe Informationen, und das Risiko ist aufwändig zu ermitteln. Eine praktische Anwendung ist daher fast unmöglich.
Ein wichtiger variabler Faktor für die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems, der in klinischen Modellen nur geringfügig berücksichtigt wird, ist der Lebensstil in Form von Ernährung, Bewegung. Dieser steht den unveränderlichen Faktoren wie Alter, Geschlecht oder genetischer Veranlagung gegenüber.
Zielsetzung
Das Ziel der Studie war es ein evidenzbasiertes Vorhersagemodell zu entwickeln, dass eine Risikoabschätzung für CVD unabhängig von Arztbesuchen und auf Basis von leicht zu erfassenden Informationen ermitteln werden kann.
Methodik
Für die Analyse wurden Gesundheits- und Lebensstil-Daten zweier Kohorten der EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), die Potsdam- und die Heidelberg-Kohorte aus den Jahren 1994 bis 2012 verwendet. Die Kohorte aus Potsdam diente zur Entwicklung des Vorhersagemodells, während die Kohorte aus Heidelberg für die externe Validierung verwendet wurde.
Die Probanden wurden zu Studienbeginn körperlich untersucht und Blutproben entnommen. Persönliche Gespräche und validierte Fragebögen erfassten Informationen über den Lebensstil, soziodemografische Merkmale und den Gesundheitszustand alle zwei Jahre. Ausgeschlossen wurden Probanden mit prävalenter CVD, Schlaganfällen mit vorherigem Hirntumor, Hirnhautkrebs, Leukämien und weiteren nicht verifizierbaren Ereignissen. Für das Vorhersagemodell berücksichtigt wurden Ernährungsgewohnheiten wie der Verzehr von Vollkornprodukten, rotem Fleisch, Kaffee, energiereichen Softdrinks und Pflanzenölen sowie Parameter wie Alter, Geschlecht, Taillenumfang, Raucherstatus, Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ II und Erkrankungsfälle in der Familie.
Ergebnisse
Charakteristika der beiden verwendeten Kohorten
Die Kohorte aus Potsdam umfasste über die gesamte Nachbeobachtungszeit 25.993 Probanden. Es waren insgesamt 684 Fälle von CVD darunter, davon waren 82 Fälle tödlich, sowie 383 Fälle mit Myokardinfarkten (MI), 315 Schlaganfälle. Nach 10 Jahren betrugen die Fallzahlen für CVD 584, davon 70 tödliche Fälle, 324 MI und 269 Schlaganfälle. Insgesamt verstarben 2.312 Probanden (8,9%) an einer nicht-kardiovaskulären Ursache. In den ersten zehn Jahren waren es 847 Probanden (3,3%).
In der Heidelberg-Kohorte waren 23.529 Probanden mit 692 CVD-Gesamtfällen, von denen 87 tödlich waren und 370 MI und 345 Schlaganfällen in den ersten zehn Jahren der Nachbeobachtungszeit. Über den gesamten Nachbeobachtungszeitraum verstarben 2.596 Probanden (11,0%) und hiervon 1.074 (4,6%) in den ersten zehn Jahren an einer nicht-kardiovaskulären Ursache.
Beide Kohorten enthielten proportional mehr Frauen als Männer (Potsdam: 61,6%; Heidelberg: 54,6%) und das mittlere Alter lag bei 50 Jahren.
Das finale Vorhersagemodell
Die konkurrierenden risikobereinigten C-Indizes zeigten eine gute Diskriminierung der beiden entwickelten Modelle in EPIC-Potsdam (nicht-klinisch: 0,786; 95%-Konfidenzintervall (KI): 0,736-0,832; klinisch: 0,796, 95%-KI: 0,746-0,841) und in EPIC-Heidelberg (nicht-klinisch: 0,762, 95%-KI: 0,715-0,807; klinisch: 0,769, 95%-KI: 0,721-0,813).
Das kategoriale Net-Reclassification-Improvement (NRI) deutet auf eine nur geringe Verbesserung der Risikoklassenzuordnung durch zusätzliche klinische Parameter hin (NRI EPIC-Potsdam: 0,015, 95%KI: 0,028-0,057; EPIC-Heidelberg: 0,078, 95%-KI: 0,041-0,116).
Das Verhältnis zwischen Erwartung und Beobachtung betrug 1,17 (95%-KI: 1,08-1,27) für den nicht-klinischen und 1,13 (95%-KI: 1,04-1,22) für den klinischen Score im EPIC-Potsdam und 1,05 (95%-KI: 0,97-1,13) bzw. 1,11 (95%-KI: 1,03-1,20) im EPIC-Heidelberg.
Fazit
Es konnte nachgewiesen werden, dass der nicht-klinische Risikoscore zur Vorhersage des 10-Jahres-CVD-Risiko den etablierten klinischen CVD-Risikoscores vergleichbar oder überlegen ist. Er basiert auf der Grundlage ausgewählter und leicht zu beschaffender Informationen.