
Hintergrund
Trotz vieler Fortschritte in Diagnostik und Therapie sind kardiovaskuläre Krankheiten nach wie vor der Hauptgrund für Morbidität und Mortalität weltweit. Studien zeigen eindeutig, dass Statine – sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention – signifikant dazu beitragen, Morbidität und Mortalität bei kardiovaskulären Risikopatienten zu senken. Trotz der nachgewiesenen positiven Effekte dieser Medikamente ist die Therapietreue zur Statin-Behandlung sehr häufig schlecht: Einer von zwei Patienten bricht die Behandlung ab, reduziert eigenständig die Dosis oder nimmt die Medikamente unregelmäßig. Als Gründe für ihre mangelhafte Therapieadhärenz geben die Patienten häufig an, dass die Statine Muskelschmerzen und andere Nebenwirkungen verursachen [1,2].
Metaanalyse mit vier Millionen Patienten
Statine gehören zu den Medikamenten, die weltweit am häufigsten verschrieben werden. Dennoch gibt es bislang keine verlässlichen Daten zur tatsächlichen Prävalenz einer Statin-Intoleranz (SI). Die Studienlage zu diesem Thema ist äußerst heterogen. Die Bandbreite der Angaben für die Prävalenz der Patienten, bei denen Statine Nebenwirkungen verursachen sollen, reicht von 5-50 %. Ein Team von Wissenschaftlern um Professor Dr. Maciej Banach von der Medizinischen Universität Lodz und der Universität von Zielona Gora in Polen haben im Auftrag der Lipid and Blood Pressure Meta-Analysis Collaboration und des International Lipid Expert Panel (ILEP) eine Metaanalyse von 176 Studien mit insgesamt 4.143.517 Patienten weltweit durchgeführt, um zu verlässlicheren Daten in Bezug auf die Prävalenz der SI zu kommen.
Zielsetzung
Die Forscher hatten zum Ziel, sowohl die allgemeine Prävalenz der Statin-Intoleranz festzustellen als auch die Prävalenz von Nebenwirkungen entsprechend verschiedenen diagnostischen Kriterien. Darüber hinaus untersuchten sie, welche patientenseitigen Risikofaktoren das Auftreten einer SI begünstigen.
Methodik
Die Forscher nutzten für ihre Recherche alle großen internationalen medizinischen Datenbanken und Kongressunterlagen der relevanten Fachgesellschaften. Sie wendeten anerkannte Richtlinien zur Anfertigung von Metaanalysen (PRISMA) sowie das PECOS-Model zur Formulierung der klinischen Fragestellung und dem Design der Suchstrategie an. In die Metaanalyse wurden klinische Studien und Kohortenstudien zur Statin-Intoleranz mit ≥ 100 Teilnehmern und verfügbaren Kriterien für die Diagnose SI aufgenommen. Ausschlusskriterien waren unter anderem unklare Methodik, Studien zu vom Markt genommenen Statinen, unspezifizierte Intoleranz und eine Nachbeobachtungsphase < 6 Wochen.
Endpunkte der Studie
Primärer Endpunkt war die allgemeine Prävalenz und die Prävalenz nach verschiedenen internationalen Diagnosekriterien (National Lipid Association [NLA], International Lipid Expert Panel [ILEP], European Atherosclerosis Society [EAS]). Sekundärer Endpunkt war die Prävalenz in verschiedenen Patientengruppen, um mögliche Risikofaktoren für die Statin-Intoleranz zu identifizieren.
Ergebnisse
In die Metaanalyse wurden 176 Studien (112 randomisierte kontrollierte Studien [RCTs] und 64 Kohortenstudien) mit 4.143.517 Patienten eingeschlossen. Es wurde eine allgemeine Prävalenz der Statin-Intoleranz von 9,1 % (95 % Konfidenzintervall [CI] 8,0 - 10 %) ermittelt. Die Prävalenz der SI lag auch nach den Diagnosekriterien von EAS (5,9 %), ILEP (6,7 %) uns NLA (7,0 %) im einstelligen Bereich. Im Vergleich zu den Kohortenstudien war die Prävalenz in den RCTs signifikant niedriger (17 % vs. 4,9 %). In Studien, die Primär- und Sekundärprävention umfassten, war die Prävalenz mit im Mittel 18 % signifikant höher als in Studien, die die Primär- (8,2 %) und Sekundärprävention (9,1 %) getrennt betrachteten. Die Fettlöslichkeit der Statine hatte keinen Einfluss auf die Prävalenz der Statin-Intoleranz.
Risikofaktoren für eine Statin-Intoleranz
Ein hohes Risiko für das Auftreten der Statin-Intoleranz war verbunden mit dem weiblichen Geschlecht (+47 %) der Patienten, der Erkrankung an Hypothyreoidismus (+37 %), einer hohen Statindosis (+37 %), höherem Alter (+33 %), der Einnahme von Antiarrhythmika (+31 %) und Übergewicht (+30 %). Auch eine Diabeteserkrankung, chronische Nieren- und Leberkrankheiten, die Einnahme von Kalziumkanalblockern und der Konsum von Alkohol waren mit einem signifikant erhöhten Risiko assoziiert.
Fazit
Banach fasste die Ergebnisse so zusammen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine Statin-Intoleranz in den meisten Fällen überdiagnostiziert wird“, und zieht den Schluss: „Etwa 93 % der Patienten unter Statin-Therapie können effektiv bei guter Verträglichkeit und ohne Sicherheitsbedenken behandelt werden.“ Er appelliert, Beschwerden von Patienten unter Statintherapie sorgfältig auf alle möglichen Ursachen hin zu untersuchen und dabei auch Nocebo-Effekte zu berücksichtigen, die seiner Ansicht nach für mehr als 50 % der Beschwerden verantwortlich sein könnten.