Der Diabetes insipidus ist gekennzeichnet durch eine hohe Harnproduktion und viel Durst. Betroffene müssen häufig nachts mehrfach zur Toilette und viel trinken.
Der Diabetes insipidus ist definiert als Störung des Wasser-Elektrolythaushaltes. Ursache ist ein Mangel an antiduretischem Hormon (ADH) oder eine verminderte Wirkung des ADH in der Niere. Dadurch sinkt die Fähigkeit der Niere, konzentrierten Harn zu produzieren und Wasser zu resorbieren. Unterschieden werden zwei Hauptformen: der zentrale Diabetes insipidus (Diabetes insipidus centralis) und der renale Diabetes insipidus (Diabetes insipidus renalis).
Der Diabetes insipidus centralis ist geprägt durch den Mangel an ADH, und wird unterteilt in zwei Subtypen: den idiopathischen und den sekundären Diabetes insipidus. Der Diabetes insipidus renalis kann entweder angeboren sein oder erworben. Bei ihm reagieren die Nieren nicht mehr adäquat auf das ADH, es liegt eine ADH-Resistenz vor.
Epidemiologie
Es handelt sich beim Diabetes insipidus um eine seltenere Erkrankung, genaue Daten zu Inzidenz und Prävalenz gibt es wenige, für den neurogenen oder hypothalamischen Diabetes insipidus centralis wird eine Prävalenz von circa 1:25.000 angegeben. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen [2]. Anders sieht das allerdings aus, wenn Kinder isoliert betrachtet werden. Dann sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen.
Die häufigere Form ist der zentrale Diabetes insipidus. Etwa ein Drittel aller Fälle ist dabei idiopathisch, zwei Drittel entstehen sekundär durch Tumoren, Traumata, neurochirurgische Operationen oder Entzündungen und Infektionen.
Ursachen
Die Ursache des Diabetes insipidus sind entweder ein ADH-Mangel (Diabetes insipidus centralis) oder eine ADH-Resistenz, d.h., dass die Nieren schlecht bis gar nicht auf das Hormon ansprechen (Diabetes insipidus renalis).
Der Diabetes insipidus centralis kann beispielsweise familiär bedingt sein oder durch Traumata, Tumoren (bspw. Kraniopharyngeom, Germinom, Gliome, Metastasen), Operationen im Bereich der Sella turcica oder Autoimmunität. Auch granulomatöse Entzündungen wie eine Tuberkulose, Langerhans-Zell-Histiocytose, Sarkoidose, Morbus Wegener oder Hypophysitis können auslösende Faktoren sein. Daneben kommen noch Enzephalitiden, Meningitiden und die Neurobrucellose sowie vaskuläre Erkrankungen wie das Sheehan-Syndrom, zerebrale Aneurysmata und die thrombotisch thrombozytopenische Purpura als Ursachen in Frage.
Der Diabetes insipidus renalis kann angeboren sein oder erworben. Bei der erworbenen Version kommen beispielsweise medikamentöse Schäden der Nieren durch Wirkstoffe wie Lithium in Frage.
Pathogenese
ADH, auch Vasopressin genannt, wird im Hypothalamus gebildet und im Hypophysenhinterlappen gespeichert und sezerniert. Es ist dafür verantwortlich, dass in der Niere der Primärharn zum Sekundärharn konzentriert wird. Fällt dieser Regulationsmechanismus weg, wird nicht genug Wasser resorbiert. Es kommt zu unkontrolliert großer Urinproduktion und den bekannten Symptomen.
Ist ein zentraler Typ ursächlich für den Diabetes insipidus, liegt entweder eine idiopathische Form oder die mit zwei Dritteln häufigere sekundäre Form vor. In beiden Fällen kommt es zu einer Unterfunktion der Neurohypophyse, wodurch zu wenig oder gar kein ADH produziert wird. Bei der idiopathischen Form mit nicht fassbarer Ursache scheinen u.U. genetische Faktoren eine Rolle zu spielen. manche Betroffene produzieren auch Autoantikörper gegen die Zellen, die das ADH produzieren. Beim sekundären Typ sind Tumoren oder Metastasen an der Hypophyse oder in ihrer direkten Umgebung, Traumata, neurochirurgische Operationen oder Infektionen oder Entzündungen verantwortlich für die gestörte ADH-Produktion.
Der nephrogene oder renale Diabetes insipidus ist entweder erworben oder angeboren. Beim angeborenen Typ gibt es zwei verschiedene genetische Varianten: den X-chromosomal-rezessiv vererbten Typ mit einer Mutation im Gen für den Vasopression-Typ 2-Rezeptor auf dem X-Chromosom im langen Arm (q28), der nur das männliche Geschlecht betrifft, oder den selteneren autosomosal-rezessiven Typ mit einem defekten Kanal im renalen Sammelrohr, dem Aquaporin 2. Zu erworbenen Schäden kommt es am Tubulussystem beispielsweise durch metabolische Störungen wie eine Hypokaliämie oder eine Hyperkalzämie, aber auch durch Medikamente wie Lithiumkarbonat.
Symptome
Auffällig werden Patientinnen und Patienten meist zunächst durch häufiges Wasserlassen und eine hohe Flüssigkeitsausscheidung durch den Urin (Polyurie). Die tägliche Urinmenge liegt bei 5 bis 25 Liter. Kleinkinder unter zwei Jahren zeigen statt der Polyurie häufig eine Diarrhö.
Damit einhergehend klagen Betroffene über ein deutlich erhöhtes Durstgefühl (Polydipsie). Der Urin ist sehr hell, weil die Niere ihn nicht konzentrieren kann (Asthenurie). Nächtliches Wasserlassen (Nykturie) ist bei praktisch allen Betroffenen vorhanden - ein Diabetes insipidus ohne Nykturie ist praktisch unmöglich. Bei einigen tritt zusätzlich eine Hypernatriämie auf. Auch Schlaflosigkeit und Tagesmüdigkeit werden berichtet.
Können die Betroffenen nicht regelmäßig Flüssigkeit zuführen, kommt es zu einer hypertonen Dehydratation.
Diagnostik
Viele Patientinnen und Patienten werden beim Hausarzt oder der Hausärztin vorstellig, weil sie nachts nicht schlafen können. Sie müssen regelmäßig nachts zur Toilette und Flüssigkeit zu sich nehmen, weil sie neben dem nächtlichen Harndrang auch nächtlichen Durst verspüren. Das gibt bereits einen ersten Hinweis in der Anamnese. Besteht der Verdacht, dass ein Diabetes insipidus vorliegen könnte, sollten mögliche Ursachen abgefragt werden, beispielsweise Traumata, Metastasen, entzündliche oder infiltrative Erkrankungen oder vergangene neurochirurgische Eingriffe sein.
In einem ersten Versuch können zur Objektivierung das Harnvolumen und die Trinkmenge über eine oder zwei Perioden von 24 Stunden gemessen werden. Sind diese ebenfalls auffällig, sollte eine Abklärung erfolgen.
Im Labor fällt bei einem Diabetes insipidus häufig ein hochnormales Serumnatrium auf. Die Osmolalität im Blut ist erhöht, während sie im Urin erniedrigt sein kann.
Durstversuch
Der Goldstandard der Diagnostik eines Diabetes insipidus war lange Zeit der Durstversuch. Die Betroffenen werden gebeten, ab 22 oder 24 Uhr abends keine Flüssigkeit mehr zu sich zu nehmen. Ab 8 Uhr morgens werden in zweistündigen Abständen die Harnmenge, die Urinosmolalität, das Körpergewicht, der Blutdruck und der Puls gemessen.
Haben die Patientinnen und Patienten einen Diabetes insipidus, wird der Urin trotz der Flüssigkeitskarenz nicht konzentrierter. Die Plasmaosmolalität steigt an. Klagen die Betroffenen während des Versuchs über unerträglichen Durst, verlieren 3-4% ihres Körpergewichts oder werden hypoton, sollte der Versuch umgehend abgebrochen werden.
ADH-Test/Desmopressin-Test
Dem ADH-Test, oder auch Desmopressin-Test genannt, geht in der Regel der Durstversuch voraus. Konnte im Durstversuch bis 16 Uhr keine Harnkonzentrierung festgestellt werden, wird Desmopressin gegeben.
Desmopressin ist ein ADH-Analogon. Ähnlich wie ADH würde es beim Gesunden zu einer Harnkonzentrierung führen und zu einer Wasserretention. Bei einem Diabetes insipidus centralis kann der Körper nicht ausreichend ADH produzieren. Wird es künstlich zugefügt, kommt es zur Harnkonzentrierung. Liegt hingegen ein Diabetes insipidus renalis vor, wäre das nicht der Fall. Hier produziert der Körper ausreichende Mengen an ADH. Die Rezeptoren in den Nieren sprechen jedoch nicht darauf an. Extern zugeführtes ADH oder Desmopressin hat hier keinen Effekt.
Copeptinbestimmung
Durstversuch und Desmopressintest werden zunehmend durch die Bestimmung von Copeptin abgelöst. Die Konzentration dieses Markers, der aus dem Vorläuferhormon des ADH stammt, korreliert eng mit der des ADH selbst. Durch die zentrale Herkunft kann man mit ihm auch zwischen zentralem und renalem Diabetes insipidus unterscheiden.
Kochsalzinfusionstest nach Carter-Robbins
Neben dem Diabetes insipidus gibt es weitere Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen können. Deshalb ist es wichtig, zu unterscheiden, ob eine Polyurie oder eine Polydipsie vorliegt, also primär zu viel Urin produziert wird oder zu viel getrunken wird und deshalb zu viel Urin produziert wird. Wird eine psychogene Polydipsie vermutet, können andere Tests falsch positiv sein, da beispielsweise während des Durstversuchs heimlich Flüssigkeit zugeführt wird.
Für den Kochsalzinfusionstest wird hypertone, meist 3%ige Kochsalzlösung intravenös gegeben. Hierfür müssen die Betroffenen großlumige periphere Venen vorweisen, da die Infusion sonst eine Thrombophlebitis auslösen kann. Innerhalb von zwei bis drei Stunden sollte die Natriumkonzentration so angehoben werden. Parallel wird der ADH-Spiegel im Serum über den Surrogatparameter Copeptin gemessen. Bei Menschen ohne Diabetes insipidus konzentriert sich nun der Harn, um die Hypernatriämie auszugleichen. Bei Diabetes insipidus ist dies nicht der Fall.
Bildgebung
Besteht nach dem Durstversuch oder Desmopressin-Test der begründete Verdacht, dass ein Diabetes insipidus centralis vorliegt, schließt sich der Diagnostik eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels an. Dabei werden die Hypophysen- und die Hypothalamusregion auf Hirntumoren hin untersucht.
Bei bestätigtem Diabetes insipidus richtet sich die Therapie nach dem jeweiligen Typ. Bei einem Diabetes insipidus centralis wird entweder eine mögliche Grunderkrankung ursächlich behoben, beispielsweise eine Raumforderung im Gehirn, die die ADH-Produktion behindert. Ist dies nicht möglich, wird Desmopressin verschrieben.
Desmopressin kann entweder nasal, subkutan oder oral gegeben werden. Im Gegensatz zu ADH hat es keine gefäßverengende Wirkung. Die wichtigste Nebenwirkung ist die Hyponatriämie, auf die Patientinnen und Patienten regelmäßig kontrolliert und aufgeklärt werden sollten. In der Regel tritt bereits im Desmopressin-Test eine deutliche Besserung auf und die Betroffenen berichten über ruhige Nächte.
Der Diabetes insipidus renalis ist schwieriger zu behandeln. Hier ist das Problem kein Mangel an ADH, sondern liegt in den Rezeptoren, die auf das Vasopressin nicht ansprechen. Liegt eine behandelbare Grunderkrankung vor, sollte auch hier die ursächliche Behandlung im Vordergrund liegen. Therapieversuche können mit Thiaziddiuretika und NSAR gemacht werden.
Prognose
Die Prognose des Diabetes insipidus ist abhängig von der Ursache und von der Form. Tritt er postoperativ oder nach einem Trauma auf, kann er sich von alleine zurückbilden. Je länger ein Diabetes insipidus jedoch besteht, umso weniger wahrscheinlich ist es, dass er sich von allein zurückbildet. Auch die Schwere des Traumas beeinflusst, ob sich die Erkrankung zurückbilden kann.
In allen anderen Fällen ist eine meist lebenslange Therapie notwendig.
Prophylaxe
Verhindern lässt sich die Erkrankung nicht. Eine strukturierte Prophylaxe ist aufgrund der Ursachen nicht möglich.