Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel gehört zu den peripheren vestibulären Schwindelsyndromen. Er ist die häufigste Ursache von Drehschwindelattacken, kann das Sturzrisiko insbesondere bei älteren Personen erhöhen und wird mit Lagerungsmanövern behandelt.
Schwindel an sich ist keine Krankheitsentität, sondern das Leitsymptom verschiedener Erkrankungen mit unterschiedlicher Ätiologie und Pathophysiologie. Mit Lagerungsschwindel oder benignem paroxysmalen Schwindel bezeichnet man einen anfallsartigen Drehschwindel, der durch die Änderung der Kopfhaltung oder Einnahme einer bestimmten Kopfhaltung gegenüber der Schwerkraft verursacht wird. Der Lagerungsschwindel wird dabei durch eine fehlerhafte Aktivierung von vestibulären Rezeptoren in den Bogengängen im Gleichgewichtsorgan des Innenohrs ausgelöst. Der Lagerungsschwindel hält mehrere Sekunden lang an und wird häufig von Übelkeit und Erbrechen begleitet. Diagnose und Behandlung erfolgen durch verschiedene Lagerungsmanöver. Unbehandelt bildet sich der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel bei mehr als der Hälfte der Patienten innerhalb einiger Tage bis Wochen zurück. In seltenen Fällen persistiert er über Monate bzw. Jahre. Eine frühzeitige Behandlung verkürzt in der Regel die Dauer der Beschwerden. Nach einer beschwerdefreien Zeit kann sich der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel erneut entwickeln.
Allgemeine Klassifikation der Schwindelsyndrome
Der Lagerungsschwindel gehört zu den peripheren vestibulären Syndromen. Anhand der unterschiedlichen Ätiologie des Schwindels lassen sich folgende Syndromgruppen unterscheiden:
Periphere vestibuläre Syndrome
Zentrale vestibuläre Syndrome
Funktionelle Schwindelsyndrome
Nicht-vestibuläre und Nicht-funktionelle Schwindelsyndrome
Epidemiologie
In Deutschland suchen jährlich 1,8 % der Erwachsenen einen Arzt wegen eines erstmals aufgetretenen Schwindels auf. Eine repräsentative Umfrage in Form validierter Telefoninterviews mit fast 5.000 Erwachsenen 2003 in Deutschland ergab für den vestibulären Schwindel eine Lebenszeit Prävalenz von 7,4 % und eine 1-Jahres-Prävalenz von 4,9 %. In dieser Umfrage gaben 80 % der Befragten an, dass sie aufgrund des Schwindels einen Arzt aufsuchten, ihre alltäglichen Aktivitäten unterbrachen oder nicht zur Arbeit gingen. Mit dem Alter steigt die Prävalenz von vestibulärem Schwindel deutlich an. Sie ist bei Menschen > 70 Jahren fast dreimal höher als bei jungen Erwachsenen. Frauen sind 2-3mal häufiger betroffen als Männer.
Häufigkeit der Diagnose „Lagerungsschwindel“ in Spezialambulanzen:
Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPLS) ist eine der häufigsten Diagnosen in Schwindelambulanzen. In Ambulanzen oder Kliniken mit der Ausrichtung Neurologie oder HNO können andere Diagnosen im Vordergrund stehen.
Die relative Häufigkeit der Diagnose „Lagerungsschwindel“ unterscheidet sich nach aufgesuchter Spezialambulanz bzw. Klinik:
Spezialisierte Schwindelambulanzen 14,3 % der Schwindelfälle; 2. Platz der häufigsten Schwindeldiagnosen nach funktionellem Schwindel.
Überregionale Spezialambulanz des Deutschen Schwindelzentrums und der Neurologischen Klinik der LMU München (1998 – 2019): 7,8% der Schwindelfälle; 4. Platz nach Uni- und bilateraler Vestibulopathie, Morbus Menière und Vestibularisschwannom.
Hospitalisierte Patienten der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde und Plastische Kopf- und Halschirurgie der RWTH Aachen University in den Jahren 2015 und 2016: 8,09 % der Schwindelfälle.
Ursachen
Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel wird durch Otholithen oder Otokonien, die sich aus anderen Teilen des Innenohrs abgelöst haben, verursacht. Die Kalzitkörnchen aus dem Sacculus oder Utriculus des Vestibularorgans gelangen in einen der Bogengänge (Canales semicirculares) und schwimmen dort frei beweglich in der Endolymphe. Bei einer Lageänderungen des Kopfes führen sie zu einer fehlerhaften Aktivierung der Gleichgewichtssinneszellen im betroffenen Bogengang. Die meisten Fälle von Lagerungsschwindel gehen vom Canalis semicircularis posterior (60-90 %) aus, weil die Schwerkraft in diesem Bogengang den höchsten Einfluss auf die Bewegung der Endolymphe hat. Der Anteil der Patienten, deren Lagerungsschwindel vom horizontalen Bogengang (Canalis semicircularis lateralis) herrührt, wird möglicherweise unterschätzt, da es hier häufiger zu Spontanremissionen kommt als beim posterioren Bogengang. Der Canalis semicircularis anterior bzw. superior ist am seltensten betroffen, weil die Otholithen und Otokonien hier seltener eingeschwemmt werden und, falls doch, rasch wieder ausgeschwemmt werden.
Mögliche Risikofaktoren für Lagerungsschwindel
Fortgeschrittenes Alter
Weibliches Geschlecht
Nach Schlaganfällen
Hypertonie
Dyslipidämie/Hyperlipidämie
Vitamin D-Mangel
Osteopenie / Osteoporose
Depression
Tinnitus
Schädel-Hirn-Trauma
Migräne
Innenohrerkrankungen
Vorausgegangene Intubationsnarkose
Längere Bettruhe
Pathogenese
Bei Bewegungen des Kopfes wird die Endolymphe in den Bogengängen des Vestibulargorgans in Bewegung versetzt. Je nach Bewegungsstärke und Richtung der Endolymphe werden unterschiedliche vestibulären Rezeptoren der Cristae ampullares in der jeweiligen Ampulla ossea gereizt. Die Sinneszellen melden dann die Richtung der Bewegung und die Position des Kopfes an das Gehirn, wo diese Information mit den Informationen anderer Sinnesrezeptoren (z. B. den Informationen des Sehsinns) abgeglichen wird. Freischwimmende Otolithen und Otokonien in der Endolymphe eines Bogengangs führen bei bestimmten Bewegungen zu einer fehlerhaften Aktivierung der vestibulären Rezeptoren. Die Sinneszellen senden dann falsche Drehbewegungsinformationen vom betroffenen Bogengang an das ZNS. Dort wird beim Abgleich mit den Informationen anderer Strukturen, die den Gleichgewichtsinn unterstützen, eine Nicht-Übereinstimmung, festgestellt. Infolgedessen entsteht das Schwindelgefühl.
Es gibt Vermutungen, dass Vitamin-D-Mangel, Osteopenie oder Osteoporose bei der Entwicklung des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels eine Rolle spielen könnten. Auch ein potenzieller Einfluss von Virusinfektionen oder eine genetisch bedingte Prädisposition für die Entstehung des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels wird diskutiert.
Symptome
Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel wird durch Änderungen von Kopfhaltung und Lage ausgelöst. Je schneller die Bewegung ist, desto stärker ist in der Regel der Schwindel und die möglichen Begleitsymptome wie Übelkeit und Erbrechen. Die Drehschwindelattacke dauert beim Lagerungsschwindel nur wenige Sekunden bis höchstens Minuten, kann aber rezidivieren. Bei einer Lagerung zum betroffenen Ohr setzt mit einer gewissen Latenz ein Nystagmus zum unten liegenden (betroffenen) Ohr ein. Schwindel und Nystagmus sind bei mehrmaliger Lagerung ermüdbar. Der Lagerungsschwindel kann anders als kreislaufbedingte Schwindelgefühle auch im Liegen auftreten.
Patienten mit Lagerungsschwindel berichten häufig, dass ihr Schwindelgefühl beim Aufrichten nach langem Liegen (z. B. nach dem Schlafen oder nach einer Erkrankung) oder beim Drehen im Bett auftritt. Auch Vorbeugen oder den Kopf in den Nacken legen kann Schwindel auslösen. Nach einem Unfall mit Schädelprellung kann es ebenfalls zu einem Lagerungsschwindel kommen. Der Lagerungsschwindel kann außerdem einen akuten Labyrinth-Ausfall begleiten. Personen im fortgeschrittenen Alter sind deutlich häufiger betroffen.
Diagnostik
Zur Differenzierung von zentralen und peripheren Schwindelsyndromen wird ein strukturiertes, standardisiertes Vorgehen empfohlen. Die Diagnostik beruht auf der Anamnese, körperlicher und funktionsdiagnostischer Untersuchung. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Anamnese zu.
Anamnese
Im Rahmen der Anamnese sollten bei Schwindel laut S2k Leitlinie (2021) folgende Fragen abgeklärt werden:
Art des Schwindels: Drehschwindel, Schwankschwindel, Kippschwindel, Liftschwindel oder Benommenheitsschwindel?
Dauer des Schwindels: Schwindelattacken (Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, akut einsetzend und viele Tage anhaltend) oder Dauerschwindel?
Auslösbarkeit/Verstärkung des Schwindels: in Ruhe und/oder im Liegen vorhanden, spontan auftretend, bei Bewegung des Kopfes, beim Stehen und Gehen ohne Beschwerden im Liegen und Sitzen unter statischen Bedingungen, in bestimmten sozialen Situationen oder bei Druckänderungen?
Begleitsymptome: Hörminderung, Tinnitus, Ohrdruck, Übelkeit/Erbrechen, Kopfschmerz, Licht- oder Lärmempfindlichkeit, Doppelbilder, Hemiparesen, Hemihypästhesie, Angst, Oszillopsien und kardiale Beschwerden: Brustschmerzen Herzrhythmusstörungen?
Fragebögen für die Anamnese
Die S2K Leitlinie 2021 empfiehlt die deutschen Adaptierungen der folgenden Fragebögen zur Erhebung einer standardisierten Anamnese bei Schwindelbeschwerden:
Anamnestische Charakteristika des Lagerungsschwindels
Folgende Merkmale weisen auf einen benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel hin:
Kurze Schwindelattacken (meist ca. 20 Sekunden, selten länger)
Auslösung des Schwindels durch Lagewechsel des Kopfes gegenüber der Schwerkraft
Erste Schwindelattacke häufig morgens beim Aufstehen
Weitere typische Auslöser: Hinlegen oder Aufrichten im Bett, Umdrehen im Bett, Bücken und/oder Kopfreklination
Lagerungsschwindel tritt häufig episodisch rezidivierend auf. Spontanremissionen nach Tagen oder Wochen sind üblich.
Wenn der Schwindel beim Umdrehen im oder Hinlegen ins Bett auftritt und weniger als eine Minute andauert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Lagerungsschwindel vorliegt, bereits hoch.
Körperliche Untersuchung
Bei der körperlichen Untersuchung ist ein besonderes Augenmerk auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und zentrale Begleitsymptome zu legen. Die Anamnese lässt häufig die Verdachtsdiagnose Lagerungsschwindel zu, die durch diagnostische Lagerungsmanöver (Schwindelprovokation) mit Nachweis eines typischen Lagerungsnystagmus bestätigt werden sollte.
Beim Lagerungsnystagmus ist auf die folgenden, für die Diagnose ausschlaggebenden Charakteristika zu achten:
Latenz
Schlagrichtung
zeitlicher Verlauf
Dauer
Wenn der klinische Untersuchungsbefund in den Lagerungsproben typisch für den benignen peripheren paroxysmalen Lagerungsschwindel ist und klinische Zeichen einer infratentoriellen Läsion fehlen, kann die Diagnose ohne zusätzliche apparative Diagnostik gestellt werden.
Lagerungsproben
Der benigne periphere paroxysmalen Lagerungsschwindel wird in ca. 80 % von einer Canalolithiasis des posterioren Bogengangs verursacht. Der horizontale Bogengang ist in etwa 20 % durch eine Canalolithiasis bzw. Cupulolithiasis betroffen. Andere Varianten sind sehr selten.
Hallpike-Lagerung zur Prüfung des posterioren Bogengangs (p-BPLS)
Bei der Hallpike-Lagerung (Dix-Hallpike-Manöver) sitzt der Patient auf einer Liege. Sein Kopf wird um 45° zur Seite gedreht. Anschließend wird er schnell auf den Rücken gelegt und der Kopf in einer reklinierten, weiterhin um 45° zur Seite gedrehten Position gehalten. Der Untersucher führt und stützt beim Manöver den Kopf des Patienten. Das Manöver bringt den Canalis semicircularis posterior des unten liegenden Ohres in die Ebene der Kopfrotation und erreicht eine maximale Stimulation. Eine Frenzelbrille ist zur Beobachtung des Nystagmus nicht unbedingt erforderlich, da der torsionelle Nystagmus nicht durch visuelle Fixation unterdrückt werden kann. Die Lagerung wird zu beiden Seiten nacheinander durchgeführt. Wenn das betroffene Ohr in der Hallpike-Lagerung unten liegt, treten Schwindel und Nystagmus auf.
Beispiel: Lagerungsschwindel durch den rechten posterioren Bogengang
Bei einem Lagerungsschwindel durch den rechten posterioren Bogengang kommt es bei Rechtslagerung zu einem vertikal zur Stirn schlagenden Nystagmus mit einer torsionellen Komponente, bei der der obere Augenpol nach rechts schlägt. Der Lagerungsnystagmus tritt nach einer Latenz von einigen Sekunden auf, zeigt eine rasche Zunahme der Intensität und nimmt dann langsam ab (Crescendo-Decrescendo). Er dauert üblicherweise 5-20 Sekunden und nie länger als 1 Minute. beim Aufrichten aus dem Liegen kann der Nystagmus eine umgekehrte Schlagrichtung zeigen. Bei wiederholter Lagerung erscheint der Nystagmus häufig etwas schwächer.
Wenn ein rein horizontaler Nystagmus bei der Hallpike-Lagerung beobachtet wird, ist möglicherweise der horizontale Bogengang betroffen.
Prüfung der horizontalen Bogengänge (h-BPLS)
Bei der Prüfung des h-BPLS liegt der Patient mit dem Rücken auf der Liege. Um die horizontalen Bogengänge in eine vertikale Position zu bringen, hebt der Untersucher den Kopf um ca. 30° an und dreht ihn anschließend zu beiden Seiten (head-roll-test). Die Schlagrichtung des Nystagmus ist horizontal.
Canalolithiasis
Bei der häufigeren Canalolithiasis schlägt der Nystagmus in beiden Kopfseitlagen zum jeweils unten liegenden Ohr (geotrop) und dauert < 1 Minute. Wenn der Nystagmus in Rechtslage stärker ausfällt, ist der rechte horizontale Bogengang befallen, bei stärkerem Nystagmus in Linkslage der linke horizontale Bogengang.
Cupulolithiasis
Wenn die Otokonien an der Cupula haften (Cupulolithiasis), schlägt der Nystagmus zum oben liegenden Ohr (apogeotrop). Der apogeotrope Nystagmus persistiert, solange der Kopf in der Position gehalten wird (> 1 Minute). Bei der Cupulolithiasis ist die Seite mit dem schwächeren Nystagmus die betroffene Seite.
In beiden Varianten setzt der Nystagmus mit sehr kurzer oder ohne Latenz ein. Durch wiederholte Lagerungsmanöver ist der Lagerungsnystagmus kaum zu ermüden. Wenn bei diesen Befunden keine Hinweise für eine zentrale vestibuläre Störung vorliegen, kann die Diagnose horizontaler benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel gestellt werden.
Bow and Lean Test zur Feststellung der betroffenen Seite
In einigen Fällen ist es beim horizontalem benignem paroxysmaler Lagerungsschwindel schwierig festzustellen, welche Seite betroffen ist. In diesen Fällen sollte ein Bow and Lean Test durchgeführt werden. Bei diesem Test analysiert der Untersucher den Nystagmus in sitzender Position mit 90° nach vorne gebeugtem Oberkörper und Kopf (bow) als auch mit nach dorsal rekliniertem Kopf bzw. in Rückenlage (lean). Ergebnisinterpretation beim Bow and Lean Test:
Canalolithiasis / Position Bow: Horizontaler Nystagmus zur kranken Seite
Canalolithiasis / Position Lean: Horizontaler Nystagmus zur gesunden Seite
Cupulotlithiasis / Position Bow: Horizontaler Nystagmus zur gesunden Seite
Cupulotlithiasis / Position Lean: Horizontaler Nystagmus zur kranken Seite
BPLS des anterioren Bogengangs (a-BPLS)
Ein Lagerungsschwindel mit Sitz im anterioren Bogengang ist so selten (in Fallserien 1-2 %), dass diskutiert wird, ob es ihn überhaupt gibt. Schwindel und Nystagmus werden beim a-BPLS durch das Dix-Hallpike-Manöver ausgelöst ¬– anders als beim p-BPLS jedoch auch bei der Lagerung auf die gesunde Seite und in Rückenlage mit hängendem Kopf. Die Schlagrichtung des Nystagmus ist vorwiegend vertikal nach unten (Downbeat-Nystagmus). Mit bloßem Auge häufig nicht zu erkennen, ist eine manchmal vorhandene torsionelle Komponente. Der Nystagmus dauert < 1 Minute. Um eine zentrale Ursache auszuschließen, muss der Patient besonders sorgfältig untersucht werden. Die Diagnose a-BLPS gilt als bestätigt, wenn es unmittelbar nach einem therapeutischen Lagerungsmanöver zur Remission von Schwindel und Nystagmus kommt.
Apparative Diagnostik
In Zweifelsfällen, bei einem Verdacht auf einen zentralen Lageschwindel/Nystagmus oder bei Hinweisen auf eine weitere Erkrankung des Innenohrs sollten folgende Untersuchungen durchgeführt werden.
Vestibuläre Testung: bei Verdacht auf weitere Erkrankungen des Innenohrs (z. B. Morbus Menière)
Bildgebung: bei Verdacht auf zentralen Lage-/ Lagerungsschwindel bzw. -nystagmus eine hochauflösende MRT; bei Verdacht auf eine vaskuläre Ursache eine Untersuchung der vertebrobasilären Arterien mit Duplex-Sonographie, CT-Angiographie bzw. MR-Angiographie
Differenzialdiagnosen
Für Schwindel gibt es eine Vielzahl internistischer Ursachen. Erkrankungen, die mit Sensibilitätsstörungen und/oder der Verlust an Kraft vor allem der unteren Extremitäten sowie Schwierigkeiten bei der räumlichen Orientierung einhergehen, können ebenfalls Schwindel hervorrufen. Differenzialdiagnostisch müssen bei Schwindel auch eine orthostatische Dysregulation oder unerwünschte Wirkungen von Medikamenten wie Antihypertensiva, Sedativa, Psychopharmaka oder Antikonvulsiva in Betracht gezogen werden. Erkrankungen, bei denen der Schwindel als Leitsymptom auftritt, haben ihren Sitz in der Regel im Innenohr, Auge, Hirnstamm oder Kleinhirn. Der Schwindel kann aber auch psychische oder psychosomatische Ursachen haben.
Zentrale infratentorielle Läsion
Eine häufige Differenzialdiagnose zum benignen peripheren paroxysmalen Lagerungsschwindel ist einer zentrale infratentorielle Läsion. Hinweise auf eine zentrale infratentorielle Läsion sind ein untypischer Lagerungsnystagmus und klinische Zeichen auf Störungen des Hirnstamms oder des Kleinhirns.
Seltene Differenzialdiagnosen
Seltener kommen folgende Differenzialdiagnosen infrage:
Vestibuläre Migräne
Vestibularisparoxysmie
Rotational vertebral artery syndrome
Therapie
Die Therapie des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels besteht in Befreiungsmanövern, die die Otokonien aus den Bogengängen heraus in Richtung Utriculus befördern.
Befreiungsmanöver bei Canalolithiasis des posterioren Bogengangs (p-BPLS)
Man unterscheidet das Epley- und Semont-Manöver. Mit beiden Manövern sind gute Therapieerfolge zu erzielen. Bei Wiederholung der Manöver kann die Wirksamkeit verbessert werden. Bei etwa einem Drittel der Patienten tritt vorübergehend Übelkeit auf. Um Angst und Übelkeit vorzubeugen, kann eine entsprechende Prämedikation erwogen werden. Nach erfolgreicher Behandlung berichten 20-40 % der Patienten von einer Gangunsicherheit, die einige Stunden bis Tage andauern kann. Gelegentlich (ca. 3-5 % der Fälle) kann es infolge der Behandlung zu einem Bogengangswechsel kommen. Diese Möglichkeit sollte insbesondere bei einer Therapieresistenz in Betracht gezogen werden. Bei Patienten mit eingeschränkter Mobilität können multiaxial bewegliche Lagerungsstühle eingesetzt werden.
Epley-Manöver
Beim Epley-Manöver sitzt der Patient im Langsitz auf einer Liege. Der Behandler dreht den Kopf des Patienten um 45° zum betroffenen Ohr. Kopf und Oberkörper werden dann rückwärts in eine leichte Kopfhängeposition gekippt. Die Position wird ca. 1 Minute beibehalten. Der Behandler dreht anschließend Kopf um 90° zum nicht betroffenen Ohr. Danach dreht er Kopf und Oberkörper in gleicher Richtung weitere 90°. Auch diese Position wird etwa 1 Minute beibehalten. Danach richtet sich der Patient wieder langsam in Sitzposition auf.
Der Übergang von einer Position in die nächste sollte zügig, aber nicht abrupt durchgeführt werden, dabei muss der Behandler auf eine ausreichende Kopfreklination achten.
Selbstbehandlung
Das Epley-Manöver kann der Patient auch in Eigenregie durchführen, wenn er zuvor sorgfältig angeleitet wurde. Die Selbstbehandlung ist meist weniger effektiv und muss daher öfter, in der Regel mehrfach täglich, bis zur Beschwerdefreiheit wiederholt werden.
Semont-Manöver
Hinsichtlich des therapeutischen Erfolgs sind Epley- und Semont-Manöver gleichwertig. Aber bei Patienten mit Problemen im Schulter- und Nackenbereich eignet sich das Semont-Manöver besser als das Epley-Manöver. Beim Semont Manöver sitzt der Patient in der Mitte einer Untersuchungsliege. Der Untersucher dreht den Kopf um 45° zur nicht-betroffenen Seite, das Kinn zeigt dabei zur nicht-betroffenen Schulter. Dann wird der Körper zur betroffenen Seite gelegt, das Kinn des Patienten zeigt dabei weiterhin zur Schulter der nicht-betroffenen Seite (Nase zeigt nach oben). Nun wird der Körper in einem Schwung zur linken Seite bewegen („großer Wurf um 180°“) ohne dabei in der Mitte zu stoppen. Das Kinn zeigt ununterbrochen dabei zur Schulter der nicht-betroffenen Seite; die Nase zur Liege nach unten. Der Patient richtet sich langsam wieder auf und verharrt in sitzender Position für 3 Minuten. Beim Semont PLUS Manöver wird der Kopf über den Rand der Liege überstreckt.
Canalolithiasis des horizontalen Bogengangs
Zur Behandlung einer Canalolithiasis des horizontalen Bogengangs gibt es drei therapeutische Manöver.
Barbecue-Manöver: Der Patient befindet sich in Rückenlage und wird in drei Schritten von je 90° um die Körperlängsachse zum nicht-betroffenen Ohr gedreht. Dabei bleibt er 30 Sekunden in jeder Position liegen
Seitlagerung auf das nicht betroffene Ohr für einige Stunden (bzw. eine Nacht)
Gufoni-Manöver: Der Patient legt sich aus der sitzenden Position schnell seitlich auf die gesunde Seite und bleibt in dieser Position, bis der geotrope Nystagmus verschwindet. Anschließend dreht er schnell den Kopf um 45° nach unten (Nase zeigt nach unten) und bleibt so 2 Minuten liegen.
Cupulolithiasis des horizontalen Bogengangs
Als Befreiungsmanöver werden das Schütteln des im Sitzen um 30° nach unten gesenkten Kopfes mit 3 Hz, die Vibration des Mastoid in beiden Seitenlagen und eine Variante des Gufoni-Manövers gleichermaßen empfohlen. Bei der Variante des Gufoni-Manövers legt sich der Patient seitlich auf die erkrankte Seite, statt auf die gesunde wie bei der Canalolithiasis des horizontalen Bogengangs.
Canalolithiasis des anterioren Bogengangs (a-BPLS)
Beim Yacovino Manöver wird der Patient aus der sitzenden Position in eine Kopfhängelage gebracht, so dass der Kopf im Liegen um mindestens 30° rekliniert ist. Nach 30 Sekunden wird der Kopf in der liegenden Position rasch nach vorn gebeugt, so dass das Kinn auf der Brust liegt. Nach weiteren 30 Sekunden wird der Patient wieder aufgerichtet. Das Rahko-Manöver läuft ähnlich ab, allerdings mit um 45° kontralateral gedrehtem Kopf.
Es gibt Hinweise aus zwei Metaanalysen auf einen Zusammenhang zwischen rezidivierendem BPLS einem Vitamin D-Mangel. Die Überprüfung des Vitamin D-Spiegels und Substitution des Vitamins bei einem erniedrigten Spiegel kann bei Patienten mit rezidivierendem BPLS sinnvoll sein. Eine ausreichende Evidenz für eine Empfehlung diese Maßnahme liegt bislang jedoch nicht vor.
Prognose
Der Verlauf des BPLS ist typischerweise episodisch-rezidivierend. Spontane Remissionen treten beim BPLS des posterioren Bogengangs nach durchschnittlich 39 Tagen auf. Die Rezidivquote ist etwa 15% jährlich.
Prophylaxe
Eine primäre Prophylaxe ist nicht verfügbar.
Hinweise
Die kurze Dauer des Schwindels beim Lagerungsschwindel ist eines seiner Merkmale zur Differenzierung von anderen Schwindelsyndromen. Dennoch können Patienten, die von andauernder Benommenheit und Gleichgewichtsstörungen berichten, zusätzlich unter Lagerungsschwindel leiden, wenn bei ihnen Drehschwindelattacken bei der Änderung von Kopfhaltung oder -lage auftreten. Das erfährt der Arzt aber häufig nur bei konkreter Nachfrage.
Risiken infolge des Lagerungsschwindels
Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel führt zu einem erhöhten Sturzrisiko bei Älteren und unter Umständen zu erheblichen körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen.
Diagnostik unter stationären Bedingungen
Wenn eine Gefährdung durch Sturz, höheres Lebensalter, unzureichende Betreuung in häuslicher Umgebung, Einschränkung der Transportfähigkeit und ähnliche Risikofaktoren vorliegt und die ambulante Diagnostik die Ursachen des Schwindels nicht klären kann, sollte eine weitere Diagnostik unter stationären Bedingungen erwogen werden.
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