Von einem Mausarm bzw. einem Repetitive Strain Injury Syndrom sind 22-40 % der Berufstätigen an Computerarbeitsplätzen betroffen. Dennoch ist der Mausarm in Deutschland, anders als in den USA, Australien oder Großbritannien, nicht als Berufskrankheit anerkannt.
In der medizinischen Fachliteratur wird der volkstümliche Begriff „Mausarm“ in der Regel als Repetitive Strain Injury Syndrom oder RSI-Syndrom bezeichnet. Das RSI-Syndrom ist keine klar abgrenzbare Krankheit und damit auch keine spezifische Diagnose, sondern ein Sammelbegriff für eine Reihe von Beschwerden der oberen Extremität, die durch repetitive, monotone Bewegungen, Fehlhaltungen, anhaltende Überlastung, oder andere Risikofaktoren entstehen. Das Beschwerdebild des RSI-Syndroms ist durch Sensibilitätsstörungen, Kraftverlust, Schmerzen und Bewegungseinschränkungen der oberen Extremität gekennzeichnet. Das RSI-Syndrom tritt vor allem bei Menschen auf die täglich viele Stunden am Computer arbeiten, kann aber auch andere Berufsgruppen betreffen, deren Tätigkeit hauptsächlich aus sich stets wiederholenden, minimalen Bewegungen der oberen Extremität besteht, wie beispielsweise in der Textil- oder Nahrungsmittelindustrie. Als Mausarm im engeren Sinne sind vor allem Beschwerden im Unterarm gemeint, aber auch Schulter und Nacken können vom RSI-Syndrom in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Beschwerden eines RSI-Syndroms sind häufig unspezifisch und ohne ein feststellbares organisches Korrelat. Das Stellen einer spezifischen Diagnose ist nicht möglich. In den USA, Australien oder Großbritannien ist das RSI-Syndrom als Berufskrankheit anerkannt, in Deutschland nicht.
Epidemiologie
Da das RSI-Syndrom nicht einheitlich definiert ist, haben die verfügbaren epidemiologischen Daten unterschiedliche Grundlagen. Einige Länder berichten von einer Prävalenz des Beschwerdebilds zwischen 5-10 % in der Gesamtbevölkerung, die innerhalb bestimmter Berufsgruppen auf 22-40 % ansteigen kann. In Australien und in den USA gehört der Mausarm mittlerweile zu den bedeutendsten Berufskrankheiten.
Ursachen
Man nimmt an, dass dem Repetitive Strain Injury Syndrom eine Überlastung von Muskeln, Sehnen und Nerven durch wiederholte stereotype Bewegungen in Verbindung mit einer Fehlhaltung über mehrere Jahre hinweg zugrunde liegt. Die chronische Fehl- und Überbelastung soll über komplexe Verarbeitungsmechanismen im zentralen Nervensystem dazu führen, dass auch bei an sich nicht wirklich Schmerz auslösenden Beanspruchungen des muskuloskelettalen Systems (Mausklicks, Tippen) Schmerzsignale ans Gehirn gemeldet und als solche bewertet werden.
Folgende exogene Risikofaktoren begünstigen die Entstehung eines Mausarms:
nicht ergonomischer Arbeitsplatz
hohe Arbeits- bzw. Stressbelastung
mangelnder Ausgleich in der Freizeit (Work-Life-Balance)
wenig Bewegung
Fehlhaltungen
Da nicht alle Personen, die repetitive monotone Tätigkeiten unter den gleichen Umständen ausüben, RSI-Beschwerden entwickeln, geht man davon aus, dass bei Patienten mit RSI-Syndrom neben den exogenen auch endogenen Prädispositionen und Risikofaktoren vorliegen.
Hierzu zählt man folgende organische Faktoren:
Unterschiede bei der individuell leistbaren Bewegungsfrequenz
Regelung der peripheren Körpertemperatur
Verteilung von slow- und fast-twitch Muskelfasern
Beweglichkeit der Handgelenke
vorzeitiges Aussetzen der Antagonistenhemmung
reduzierte Synovia-Produktion
erhöhte Schwellungsfähigkeit des Umgebungsgewebes
Und folgende psychische Prädispositionen:
gesteigerte Leistungsbereitschaft
hohe Konzentrationsfähigkeit
Probleme bei der Konfliktbewältigung
Probleme bei der Stressbewältigung
reduzierte Körperwahrnehmung
Pathogenese
Die Pathogenese des Repetitive Strain Injury Syndroms ist nicht geklärt. Es gibt allenfalls Hinweise, auf denen die pathophysiologischen Hypothesen zur Entstehung dieser schmerzhaften Funktionsstörung basieren.
Biomechanische Erschöpfung des Unterarms
Bei elektromyografischen (EMG) Untersuchungen der Armmuskulatur konnte eine pausenlose elektrische Aktivierung der Muskeln des Unterarms gemessen werden. Die physiologische Überaktivierung kann zu einer biochemischen Dauer-Erschöpfung des Unterarms, seiner Muskeln und Sehnen führen, die möglicherweise zur Entstehung des RSI-Syndroms beiträgt.
Kumulative Mikrotraumata der Weichgewebe
Bei Tierversuchen wurden Mikrotraumata in den Weichgeweben infolge von Fehl- und Überbelastung festgestellt. Möglicherweise verhindert die ständige Wiederholung der Fehl- oder Überlastung bzw. die zu kurze Regenerationsphase über Nacht zwischen den Arbeitstagen die Ausheilung des Gewebes. Die Mikrotraumata könnten sich so im Laufe der Zeit summieren.
Gewebsschwellungen und Entzündungen infolge der Traumata verändern den Stoffwechsel im Gewebe und tragen zu den Gewebsschäden bei. Schmerzen infolge der Entzündungsprozesse führen zu Schonhaltungen und Muskelverspannungen, die sowohl die Schmerzen als auch die Funktionseinschränkungen zunehmend verschlimmern. Darüber hinaus könnte die Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses zur Chronifizierung des Syndroms beitragen.
Symptome
Das RSI-Syndrom zeichnet sich durch ein komplexes und individuell sehr unterschiedliches Beschwerdebild aus. Es entwickelt sich schleichend und schreitet ohne Behandlung fort. Zu Beginn des RSI-Syndroms beschreiben die Betroffen häufig Sensibilitätsstörungen, Taubheitsgefühle und unangenehmes Kribbeln in den Fingern, Händen und Armen – als ob diese eingeschlafen seien. Viele Patienten berichten auch über kalte Hände. Diese Anfangssymptome werden häufig nicht mit einem Mausarm in Verbindung gebracht. Ebenso kann ein deutlicher Kraftverlust in den Händen und dem Unterarm auftreten. Im weiteren Verlauf kann es zu geschwollenen Fingern steifen Gelenken, Bewegungseinschränkungen und Koordinationsproblemen kommen.
Schmerzen erst im weiteren Verlauf
Schmerzen treten beim Mausarm häufig erst in späteren Stadien des RSI-Syndroms auf. Typisch sind langandauernde, ziehende oder stechende Schmerzen im Ellbogen. Je nach Ausprägung, sind leichte bis starke Schmerzen typisch für das RSI-Syndrom. Vorrangig treten diese an und zwischen den Fingern, am Handgelenk, Unterarm oder Ellenbogen auf. Oberarme, Nacken, Schultern sowie Rücken können ebenfalls betroffen sein. Verspannungen, Schwellungen und Muskelkrämpfe verschlimmern das Beschwerdebild. Auch Kopfschmerzen werden im Zusammenhang mit dem RSI-Syndrom beschrieben.
Ruheschmerz in fortgeschrittenen Fällen
Die charakteristischen Symptome des Mausarms treten zu Beginn in der Regel nur bei starker Belastung auf. Im weiteren Verlauf reicht dann häufig eine geringe Beanspruchung, um Beschwerden hervorzurufen. In schweren Fällen leiden die Patienten auch in Ruhe unter Schmerzen und unter massiven Bewegungs- und Funktionseinschränkungen.
Diagnostik
Eine frühzeitige Diagnose und Therapie verbessert die Prognose des RSI-Syndroms deutlich. In Rahmen der Anamnese werden dem muskuloskelettalen und dem neurologischen Beschwerdebild sowie dem zeitlichen Verlauf der Beschwerden besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Von großer Bedeutung ist die Arbeits- und Sozialanamnese, in der die beruflichen Tätigkeiten im Einzelnen, die Arbeitsorganisation (Pausen?), Arbeitsbelastung, Stress (Termindruck? bzw. Konflikte am Arbeitsplatz?) sowie Freizeitaktivitäten (Computer- bzw. Handynutzung?) mit dem Patienten besprochen werden. Einen beweisenden Test oder Befund für das Vorliegen eines RSI-Syndroms gibt es nicht. Bildgebende Verfahren und die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit zeigen meist keine Auffälligkeiten und dienen eher der Abgrenzung zu anderen Ursachen der Beschwerden, wie beispielsweise Arthrose oder Karpaltunnelsyndrom. Tatsächlich ist das RSI-Syndrom in Deutschland als Erkrankung umstritten und nicht als Berufskrankheit anerkannt.
Abklärung von Differentialdiagnosen
Wenn die Anamnese und die Allgemeinuntersuchung den Verdacht auf ein RSI-Syndrom erhärten, sollten die je nach Beschwerdebild möglichen Differenzialdiagnosen (s.u.) abgeklärt werden, da die Diagnose des RSI-Syndrosm auf einer Ausschlussdiagnostik beruht.
Weiterführende Untersuchungen
Bei EMG Untersuchungen kann bei chronifizierten Verläufen eine Veränderung der Muskelaktivität in Ruhe gefunden werden. Eine ergonomische Arbeitsplatzanalyse mit Belastungs-EMG Haltungs- und Bewegungsanalyse hilft dabei, hochbeanspruchte Körperteile, dysfunktionale Ko-Kontraktionsmuster, biomechanisch ungünstige Bewegungsabläufe und Gelenkstellungen zu identifizieren sowie Belastungen und Arbeitsverhältnisse zu bewerten.
Abklärung der Chronifizierung
Bei Verdacht auf eine Chronifizierung können folgende Tests und Analysen hilfreich sein, um Empfindungseinbußen und -verschiebungen, dysfunktionale Verhaltens- und Denkbereitschaften, sowie Stärke und Qualität der Schmerzen festzustellen und zu bewerten:
Sensibilitäts-, Kraft- und Konditionierungstests
Verhaltens- und Kognitionsanalyse
Temperatur und Durchblutung
Schmerzschwelle und Toleranz
Behinderungsexploration
Differenzialdiagnosen
Einige Autoren ordnen die unten aufgeführten Differenzialdiagnosen als spezifische Diagnosen unter die unspezifische Sammelbezeichnung RSI-Syndrom. Für andere ist das RSI-Syndrom durch sein unspezifisches Beschwerdebild gekennzeichnet. Für diese zählen die folgenden Krankheitsbilder daher zu den Differenzialdiagnosen:
Sehnenentzündungen im Handgelenk Iatrogener Botulismus
Verspannungen und Schmerzen in Nacken und Schulter
Therapie
Der Therapieansatz beim RSI Syndrom ist multimodal und individuell. Folgende Module können je nach Beschwerdebild und Möglichkeiten des Patienten eingesetzt werden:
Patientenschulung: z. B. ergonomische Arbeitsweisen, Arbeitsorganisation, Pausenmanagement, Stressreduktion, Dehnungsübungen, Bewegung
ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes: Licht, Bildschirmeinstellung, Arbeitstisch, richtige Sitzposition, Tastatur und Maus (eventuell Spezialmaus oder andere Eingabegeräte) müssen an die individuellen Körpermaße und Bedürfnisse des Nutzers angepasst werden. Grundsätzlich sollen die Unterarme möglichst entspannt auf den Armlehnen des Bürostuhls ruhen, das Handgelenk nicht an der Tischkante abgestützt und dadurch nach oben abgewinkelt werden.
Physiotherapie, insbesondere Bewegungstherapien und Krankengymnastik
Entspannungstechniken (z. B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, autogenes Training)
Achtsamkeitsübungen, Meditation
multimodale Schmerztherapie: Vor allem nicht-medikamentöse Behandlungen und Schmerzbewältigungsschulungen. So viel Medikation wie nötig, so wenig wie möglich.
psychologische Beratung oder Therapie: z. B. Bewältigungsstrategien, kognitive Verhaltenstherapie
In schweren chronifizierten Fällen können modulare Therapieprogramme im geschützten Rahmen einer Schmerzrehabilitation dem Patienten helfen, gewohnte Verhaltens-, Haltungs- und Bewegungsmuster aufzubrechen, bessere Stress- und Schmerzbewältigungsstrategien zu entwickeln und Maßnahmen sowie Übungen für die Hilfe zur Selbsthilfe zu erlernen und zu verinnerlichen.
Prognose
Bei frühzeitiger Diagnose und konsequenter Umsetzung der Empfehlungen ist die Prognose gut. Unbehandelt können Schmerzen und Einschränkungen chronifizieren und sich verschlimmern.
Prophylaxe
Um einem RSI-Syndrom bei Berufstätigen vorzubeugen, ist auch der der Arbeitgeber gefordert, denn die ergonomische Einrichtung der Arbeitsplätze ist hierfür mitentscheidend. Dabei muss darauf geachtet werden, dass Mobiliar und Geräte auf die individuellen Körpermaße und Bedürfnisse der Nutzer eingestellt werden. Wichtig ist auch, die Stressbelastung der Berufstätigen durch die Optimierung der Arbeitsorganisation und ein gutes innerbetriebliches Konfliktmanagement zu verringern.
Individuelle Prophylaxe
Menschen, die beruflich viel am Computer arbeiten, profitieren gesundheitlich in jeder Hinsicht davon, in ihrer Freizeit gezielt Ausgleichsaktivitäten, wie beispielsweise Sport, auszuüben. Entscheidend ist dabei, monotone Bewegungen und eine zu hohe Anspannung zu vermeiden. Bei hoher Stressbelastung im Beruf helfen Ausdauersport (ohne zu viel Ehrgeiz) und Entspannungstechniken, wie beispielsweise autogenes Training oder progressive Muskelentspannung.
Tipps für den Arbeitsalltag
Folgende Tipps für den Arbeitsalltag können helfen, das Risiko für die Entwicklung eines RSI-Syndroms zu verringern:
Anordnung der Arbeitsutensilien am Arbeitsplatz überprüfen. Kann man die Maus bequem und ohne Verrenkungen bewegen?
Regelmäßig kleine Arbeitspausen einlegen, in denen man sich ein bisschen bewegt.
Möglichst mit dem 10-Fingersystem schreiben, um alle Finger gleichmäßig zu belasten.
Die Schreibgeschwindigkeit phasenweise verlangsamen.
Nicht nur die Maus nutzen, sondern auch Tastenkombinationen oder andere Eingabegeräte verwenden.
Handgelenke bei der Arbeit mit Tastatur und Maus immer gerade halten – nicht abknicken oder verdrehen.
Hände weg von den Eingabegeräten, wenn diese nicht gebraucht werden.
Wartezeiten am Rechner für Ausgleichsbewegungen nutzen.
Bei der Arbeit mit der Maus nicht zurücklehnen, denn ein größerer Abstand zur Maus führt zu einer höheren Belastung für Handgelenke und Ellbogen.
Hinweise
Bisher wird der Mausarm in Deutschland nicht als Berufskrankheit anerkannt. Gründe hierfür sind die ungeklärte Pathogenese, das häufig fehlende organische Korrelat und die nicht eindeutige Diagnose. Hilfreich für die Diagnosestellung kann eine frühzeitige Dokumentation von Arbeitsbedingungen, Symptomen und dem Krankheitsverlauf sein. Sie sollte Patienten empfohlen werden, sobald RSI-typische Beschwerden auftreten.
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