Die periphere arterielle Verschlusskrankheit ist eine chronische Störung der arteriellen Durchblutung der Extremitäten. Häufig treten Symptome erst sehr spät auf.
Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) ist eine chronische Störung der arteriellen Durchblutung der Extremitäten. Sie entsteht durch Stenose oder Okklusion der die Extremitäten versorgenden Arterien, seltener der Aorta. In den meisten Fällen sind die Arterien des Beckens und der Beine betroffen. Die Durchblutungsstörungen verursachen Beschwerden beim Gehen, wodurch die Betroffenen nach einer bestimmten Gehstrecke stehen bleiben müssen (Claudicatio intermittens). Der Gewebeuntergang (Beininfarkt) mit drohender Amputation der betroffenen Extremität ist die gravierendste Form der PAVK. Akute periphere Durchblutungsstörungen sind selten und werden durch akute embolische oder atherothrombotische Verschlüsse bei bestehenden Gefäßläsionen verursacht.
Die klinische Einteilung der PAVK anhand der Symptomatik erfolgt in Deutschland nach der Stadieneinteilung von Fontaine, im englischsprachigen Raum und international wissenschaftlich gebräuchlich ist dagegen die Rutherford-Klassifikation.
Stadieneinteilung nach Fontaine:
Stadium I: asymptomatisch
Stadium IIa: Gehstrecke > 200m
Stadium IIb: Gehstrecke < 200m
Stadium III: ischämischer Ruheschmerz
Stadium IV: Ulkus, Gangrän
Stadieneinteilung nach Rutherford:
Grad 0/Kategorie 0: asymptomatisch
Grad I/Kategorie 1: leichte Claudicatio intermittens
Grad I/Kategorie 2: mäßige Claudication intermittens
Grad I/Kategorie 3: schwere Claudicatio intermittens
Grad II/Kategorie 4: ischämischer Ruheschmerz
Grad III/Kategorie 5: kleinflächige Nekrose
Grad III/Kategorie 6: großflächige Nekrose
Weil die PAVK einen schwelenden, komplexen Krankheitsprozess darstellt, der alle arteriellen Gefäßregionen des Körpers betrifft, ist auch das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko für Ereignisse in einem weiteren Gefäßsystem erhöht (z. B. Herzinfarkt oder ischämischer Schlaganfall).
Epidemiologie
Die Prävalenz der PAVK ist altersabhängig und steigt mit höherem Lebensalter an. In jüngeren Altersgruppen ist die Claudicatio bei Männern häufiger, in den höheren Altersstufen bestehen kaum noch geschlechtsspezifische Unterschiede. Frauen sind bei Diagnose einer PAVK älter, häufiger übergewichtig und haben häufiger eine CLI (kritische Extremitätenischämie) sowie einen Gefäßverschluss, Männer sind häufiger Raucher.
Anhand objektiver Untersuchungen (ABI-Messung) geht man von einer Gesamtprävalenz der PAVK von 3-10% aus. Ab einem Alter von 70 Jahren steigt die Prävalenz auf 15-20% an. In Deutschland kann ein Anstieg der PAVK-Inzidenz in den letzten Jahren beobachtet werden. Weltweit wird die Prävalenz der PAVK 2010 auf 202 Millionen Menschen geschätzt. Zugehörige zur farbigen Rasse (nicht-spanischer Herkunft) haben ein mehr als doppelt höheres PAVK- Risiko. Diabetes erhöht das PAVK-Risiko um den Faktor 3–4 und das Claudicatio-Risiko um den Faktor 2.
Ursachen
In etwa 95% der Fälle wird die chronische PAVK durch Arteriosklerose bzw. ihre symptomatische Form Atherothrombose verursacht. Herzinfarkt, Schlaganfall und PAVK sind lediglich unterschiedliche Manifestationen ein und derselben Erkrankung. Arteriosklerose wird durch Nikotinkonsum, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und Fettstoffwechselstörungen gefördert. Entzündliche, genetische, traumatische und seltene sekundäre Ursachen (insgesamt 5% der PAVK-Fälle) werden mit zunehmendem Lebensalter immer seltener, dafür treten embolische Ereignisse (kardial oder arteriell) häufiger auf.
Pathogenese
Die zugrundeliegende Atherosklerose ist eine progrediente, generalisierte Erkrankung. Atherosklerotische Plaques können sich von einem stabilen in einen instabilen Typ umwandeln, die rupturieren und einen thrombozytenreichen Thrombus ausbilden können. Dieser kann die Arterie vollständig oder teilweise verschließen. Durch Verengung des Gefäßlumens und der Bildung von Thromben ist der Blutfluss zu den peripheren Gefäßen eingeschränkt. Dies kann zur Ausbildung einer Ischämie mit resultierenden Schmerzen, Zelluntergang und physischen Behinderungen führen.
Symptome
Bei vielen Betroffenen treten erst bei einer Verengung von mehr als 90% Symptome auf, da der Körper die Blutversorgung durch die Bildung von Kollateralen sichern kann.
Die durch Mangeldurchblutung verursachte Ischämie kann schmerzhafte Symptome verursachen, die sich bei Muskelaktivität verschlimmern können. Je nach Ausmaß und Lokalisation der Engstelle kann sich eine PAVK auch als Taubheitsgefühl, kalte Extremitäten, Sensibilitätsverlust, trophische Störungen und verzögerte Wundheilung äußern. PAVK wird nach Fontaine in vier Stadien unterteilt (siehe Abschnitt „Definition“).
Der typische Claudicatioschmerz ist ein reproduzierbarer belastungsabhängiger Muskelschmerz, der sich in Ruhe nach wenigen Minuten rasch bessert. In Abhängigkeit von der Lokalisation der Gefäßläsion kann er in der Glutealregion, der Oberschenkel-, Waden- und Fußmuskulatur auftreten. Die Schmerzen beeinträchtigen das Gehvermögen. Claudicatio beschreibt zum einen die schmerzfreie und maximale Gehstrecke, zum anderen auch die verminderte Schrittgeschwindigkeit. Im Gegensatz zur kritischen Extremitätenischämie ist bei Claudicatio die Ruhedurchblutung der betroffenen Extremität ausreichend.
Die chronische kritische Extremitätenischämie ist die schwerste Form der PAVK. Sie ist gekennzeichnet durch Ruheschmerzen beziehungsweise Nekrosen oder Gangrän.
Diagnostik
Allgemeine klinische Untersuchung
Zur klinischen Untersuchung gehören Inspektion, seitenvergleichende Palpation, Auskultation der Extremitätenarterien sowie der Ratschow-Test. Eine Pulspalpation der unteren Extremität ist fehlerbehaftet, daher ist die alleinige Pulspalpation zur Detektion der PAVK nicht ausreichend. Bei der Prüfung des Hautstatus sollen Integrität, Turgor, Schweißbildung, Farbe, Muskelatrophie, Deformität und Temperatur beurteilt werden.
Bei der klinischen Untersuchung erscheint die Haut atrophisch, dünn, kühl, blass-livid, mit einem Abblassen des Vorfußes bei Hochlagerung. Es zeigen sich sandpapierartige Hyperkeratosen, Hyperonychien sowie akrale Läsionen.
Häufig bestehen bei Patienten mit Claudicatio oder kritischer Extremitätenischämie neurologische oder orthopädische Begleiterkrankungen, die die eindeutige diagnostische Zuordnung erschweren. Bei trophischen Störungen und Ulzerationen an der unteren Extremität müssen andere Ursachen ausgeschlossen werden.
Zu den Ursachen stenosierender und /oder okklusiver arterieller Läsionen in den unteren Extremitäten, die eine Claudicatio auslösen können, gehören z. B. Vaskulitis, kongenitale oder erworbene Gefäßmißbildungen, fibromuskuläre Dysplasie, zystische Adventitiadegeneration, Kompressionssyndrome, Gefäßtumore oder Pseudoxanthoma elastica.
Knöchel-Arm-Index
Bei Patienten mit Verdacht auf PAVK und Risikopatienten soll der Knöchel-Arm-Index (ABI) bestimmt werden. Er stellt den geeigneten Parameter zum Nachweis der PAVK und zur Beurteilung des kardiovaskulären Risikos hinsichtlich Morbidität und Mortalität dar. Für die Diagnose einer PAVK ist der ABI-Wert mit dem niedrigsten Knöchelarteriendruck maßgeblich. Ein ABI-Wert von < 0,9 gilt als beweisend für das Vorliegen einer relevanten PAVK.
ABI-Kategorien zur Abschätzung des PAVK-Schweregrads
Die ABI-Kategorien zur Abschätzung des PAVK-Schweregrads werden wie folgt eingeteilt:
Bei nicht plausiblen ABI-Werten, z. B. Mediasklerose, sollen ergänzende Methoden wie Zehendruckmessung (TBI) und Pulsatilitätsindex eingesetzt werden. Oszillografie und Lichtreflexrheografie (LRR) sind vor allem bei Mediasklerose und akralen Durchblutungsstörungen hilfreich zum Nachweis einer PAVK.
Bildgebende diagnostische Verfahren
Diagnosemethode der Wahl zur Beurteilung der Aorta und ihrer Äste, sowie der Becken- und Beinarterien ist die farbkodierte Duplexsonografie (FKDS). Ihre Aussagekraft ist von der Expertise des Untersuchers, den technischen Möglichkeiten des Gerätes und den individuellen Gegebenheiten des Patienten abhängig. Sind die duplexsonografischen Befunde nicht eindeutig, sollten vor geplanten invasiven Maßnahmen zusätzliche bildgebende Verfahren eingesetzt werden (MRA, CTA, DSA).
Therapie
Allgemeine Behandlungsziele
Allgemeine Behandlungsziele sind:
Hemmung der Progression der PAVK
Risikoreduktion peripherer vaskulärer Ereignisse
Reduktion kardiovaskulärer und zerebrovaskulärer Ereignisse
Reduktion von Schmerzen
die Verbesserung von Belastbarkeit, Gehleistung und Lebensqualität
Abheilung von Gewebedefekten
Die Behandlung der PAVK erfolgt in Abhängigkeit der Stadien nach Fontaine I–IV.
Als Bestandteil der Basisbehandlung soll allen PAVK-Patienten mit Claudicatio intermittens strukturiertes Gehtraining unter Aufsicht und unter regelmäßiger Anleitung angeboten werden. Das Gefäßtraining soll mindestens 3 × wöchentlich in Übungseinheiten von 3–60 Minuten über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten erfolgen.
Als operative Maßnahmen werden endovaskuläre und gefäßchirurgische Methoden der Revaskularisation angewendet, deren Einsatz einerseits von der Lokalisation, Länge und Komplexität des Verschlussprozesses, andererseits von der Expertise und apparativen Ausstattung des Behandlers und dem Wunsch des Patienten abhängt. Bei kompletter Ischämie muss sofort interventionell behandelt oder operiert werden.
Prognose
Sowohl der pathologisch erniedrigte als auch der pathologisch erhöhte Knöchel-Arm-Index (ABI) sind Prädiktoren für die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität: je niedriger der ABI, desto höher die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität.
Bei etwa einem Viertel aller Patienten mit Claudicatio verbessern sich die Symptome spontan. In circa einem Drittel bis zur Hälfte aller Patienten bleibt die Erkrankung unverändert; in circa einem Viertel verschlechtert sich die Symptomatik. Letztendlich bestimmen kardiale und zerebrale Ereignisse das Schicksal der Patienten mit Claudicatio.
Bereits nach einem Jahr zeigte sich bei Patienten mit symptomatischer PAVK eine signifikante Übersterblichkeit gegenüber Patienten mit koronarer oder zerebrovaskulärer Gefäßerkrankung. Die Mortalitätsrate beträgt bei PAVK-Patienten jährlich 2,4% gegenüber 1,8% bei KHK. Damit einher geht eine Amputationsrate von 1,3% pro Jahr.
Patienten mit kritischer Extremitätenischämie haben eine schlechte Prognose hinsichtlich Beinerhalt, Mortalität (ca. 10 – 20% pro Jahr) und amputationsfreiem Überleben.
Prophylaxe
Primärprophylaxe
Wesentliche Aspekte einer Primärprophylaxe arterieller Erkrankungen sind:
Konsequente Einstellung des Rauchens
Konsequente blutdrucksenkende Behandlung, falls ein Hypertonus vorliegt
Konsequente Normalisierung eventuell vorhandener Stoffwechselstörungen (Diabetes mellitus, Blutfetterhöhungen) mit Diät und ggf. medikamentöser Therapie
Anstreben einer Gewichtsreduktion
Regelmäßige, auf Ausdauer ausgerichtete Bewegung
Entwicklung von Strategien zur verbesserten Stressbewältigung.
Bei Hirndurchblutungsstörungen kann regelmäßiges Hirnleistungstraining ("Hirn-Joggen") zur Vorbeugung fortschreitender Defizite dienen
Sekundärprophylaxe
Die Indikation zur Sekundärprophylaxe von kardiovaskulären Risikofaktoren bzw. der kardiovaskulären Komorbidität besteht bei allen Patienten mit PAVK in der Nachsorge von konservativen, medikamentösen, interventionellen und operativen Behandlungsverfahren.
Alle Patienten: prä-, peri- und postinterventionell Acetylsalicylsäure (100 mg)
Nach infrainguinaler endovaskulärer Therapie mit Stentimplantation: vorübergehende Kombination von ASS mit Clopidogrel zur Verbesserung der Offenheitsrate
Bei Patienten mit infrainguinalem, femoropoplitealem oder distalem Venenbypass: nicht routinemäßig orale Antikoagulantien
Bei Patienten mit PAVK nach invasiven Gefäßeingriffen: regelmäßige nichtinvasive Kontrolluntersuchungen
Hinweise
Die periphere arterielle Verschlusserkrankung (PAVK) ist eine der häufigsten Gefäßerkrankungen in Klinik und Praxis. Aktuelle Zahlen aus Deutschland zeigen eine unverminderte Zunahme von betroffenen Patienten und belegen zugleich Defizite in der Versorgung. Zahlreiche Studien berichten eine Unterversorgung von Patienten mit PAVK, insbesondere im direkten Vergleich mit Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK). Untersuchungen in Deutschland zufolge erhalten zwei von drei Patienten mit koronarer Herzkrankheit einen Thrombozytenfunktionshemmer, aber nur etwa jeder zweite Patient mit PAVK. Auch beim Einsatz von Statinen oder Betablockern wird die Unterversorgung von Patienten mit PAVK gegenüber Patienten mit KHK deutlich. Zudem bestehen bei Patienten und Angehörigen große Unkenntnis und Informationsdefizite.