Die Phlegmone oder Cellulitis ist eine bakterielle Weichteilinfektion. Unbehandelt kann sie zu schweren systemischen Komplikationen führen, sodass eine Antibiotika-Therapie und die eventuelle frühzeitige operative Versorgung entscheidend für die Prognose sind.
Die Phlegmone ist eine bakterielle, eitrige, sich diffus ausbreitende Entzündung des interstitiellen Bindegewebes. Häufig handelt es sich um eine Infektion der Dermis und Subkutis, die sich auf tiefer gelegenes Weichteilgewebe ausbreiten kann. Phlegmonöse Entzündungen können jedoch auch in anderen Gewebestrukturen, beispielsweise Schleimhäuten, auftreten.
Es wird unterschieden zwischen der begrenzten Phlegmone, die eine teilweise eitrige Infektion meist der Haut und des subkutanen Fettgewebes umfasst und in der Regel keiner chirurgischen Behandlung bedarf, sowie der unbegrenzten, schweren Phlegmone. Hierbei handelt es sich um eine invasive, grenzüberschreitende Infektion mit deutlicher Eiteransammlung. Unter Umständen breitet sie sich auf Faszien und Muskelschichten aus, dazu können deutliche Zeichen einer systemischen Infektion kommen. Die schwere Phlegmone bedarf der umgehenden operativen Versorgung [1].
Epidemiologie
In Deutschland wird die Inzidenz schwerer Haut- und Weichteilinfektionen auf etwa 0,15-0,2 Fälle pro 1000 Personen geschätzt, wobei konkrete Daten nur für den meldepflichtigen Gasbrand vorliegen. Den häufigsten Erreger stellt Staphylococcus aureus dar und ist mit 52,7% der komplizierten Weichteilinfektionen assoziiert [4].
In einer italienischen Studie zu Epidemiologie und Mikrobiologie von Haut- und Weichteilinfektionen aus dem Jahr 2018 nahmen Phlegmonen einen Anteil von 29% ein [5].
Ursachen
Zur Entstehung von Phlegmonen kann es kommen, wenn Erreger sich durch Eintrittspforten im Bindegewebe ausbreiten. Als Eintrittspforten dienen zu etwa 90% Bagatellverletzungen der Haut [4].
Den häufigsten mit Phlegmonen assoziierten Erreger bei immunkompetenten Patienten stellt das grampositive Bakterium Staphylococcus (Staph.) aureus dar; auch dann, wenn die Eintrittspforte multifaktoriell besiedelt ist. Etwa 15% bis 40% der gesunden Erwachsenen sind Träger eines in der Regel antibiotikasensiblen Staph. aureus [3], wobei die nasale Schleimhaut in den meisten Fällen den natürlichen Besiedlungsort darstellt [2]. Auch in der Haut, dem Perineum, dem Kolon und der Vagina kann der Keim nachgewiesen werden. Bei Personen, die häufig gegenüber Staph. aureus exponiert sind, wie medizinisches Personal, ist die Infektionsrate höher. Ebenfalls gesteigert ist sie bei Menschen mit großflächigen Wunden, Brandverletzungen oder Hautulcera sowie Patienten mit Ekzemen, atopischer Dermatitis, über einen längeren Zeitraum liegenden Kathetern oder Drogenabhängigkeit.
Obwohl das Vorhandensein des Erregers selbst keinen primären Krankheitswert darstellt, besitzen Träger, insbesondere diejenigen mit Hautkolonisation, ein erhöhtes Risiko für durch Staph. aureus bedingte Wundinfektionen. Weiterhin können Risikofaktoren, darunter Diabetes mellitus, Durchblutungsstörungen, Immunsuppression und vorbestehende Hautdefekte die Entstehung von Weichteilinfekten fördern.
Übertragen wird Staph. aureus meist über Schmierinfektionen, insbesondere durch den Hautkontakt über die Hände, Oberflächen, Kleidung oder Bettwäsche. Die Autoinokulation aus dem Nasenrachenraum ist ebenfalls möglich [2].
Neben dem Staph. aureus können auch andere Bakterien, z.B. β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A für die Bildung einer Phlegmone verantwortlich sein, wobei dies seltener beobachtet wird [6].
Pathogenese
Staph. aureus wirkt über eine Reihe verschiedener Faktoren pathogen, z.B. über zersetzende Enzyme, die eine Invasion ins Gewebe erlauben, Toxine, Adhäsine und die Bildung eines Biofilms. Neutrophile Granulozyten werden zur Phagozytose angeregt, sodass sich Eiter bildet. Dazu kommen Abwehrmechanismen des Bakteriums, beispielsweise zerstören Toxine aus der Gruppe der Leukocidine Phagozyten, während das bakterielle Protein A deren Anlagerung verhindert.
Bei einer gestörten Barrierefunktion der Haut, zum Beispiel im Rahmen einer atopischen Dermatitis, ermöglichen bakterielle Rezeptoren für epidermales und dermales Fibronektin und Fibrinogen eine erhöhte Adhärenz der Erreger. Unter Umgehung der antibakteriellen Hautoberflächenlipide ist Staph. aureus in der Lage, in die Interzellularräume der Epidermis einzudringen [2].
Symptome
Das klinische Bild umfasst eine überwärmte, ödematöse, rötlich-livide Schwellung um die Eintrittspforte. Vom umgebenden Gewebe ist die Schwellung oftmals durch ihre unscharfen Ränder eher schwierig abzugrenzen. Der betroffene Bereich ist schmerzhaft [1].
Abhängig von der Lage der Phlegmone können spezielle Beschwerden hinzukommen, beispielsweise ist die Augenbewegung bei einer Orbitalphlegmone eingeschränkt und die Augen sind gerötet und geschwollen. Des Weiteren können bei Zungenphlegmonen Schmerzen beim Schlucken bis hin zur Luftnot aufgrund von der Schwellung auftreten.
Bei der begrenzten Phlegmone fehlen anfänglich systemische Infektionszeichen oftmals und können im Verlauf hinzukommen oder abwesend bleiben. Teilweise kann Eiter auftreten.
Im Gegensatz dazu weist die unbegrenzte Phlegmone eine deutliche Eiteransammlung sowie unter Umständen Nekrosen auf. Tiefer gelegene Faszien und Muskelschichten können grenzüberschreitend mit einbezogen sein. Darüber hinaus treten meist eine regionale Lymphadenitis, starke Schmerzen und Fieber auf, zudem steigen die Entzündungsparameter im Blut an und es können Zeichen einer systemischen Infektion (z.B. Tachykardie, Tachypnoe) hinzukommen [1].
Diagnostik
Neben der Beurteilung des klinischen Erscheinungsbilds und der visuellen Abgrenzung zu anderen Weichteilinfektionen steht die mikrobiologische Diagnostik im Vordergrund. Hierzu erfolgt ein Wundabstrich, bei schweren Phlegmonen ggfs. auch eine Biopsie [2]. Es ist wichtig, dass die Probenentnahme vom Wundgrund, unter den Wundrändern und möglichst von verschiedenen Lokalisationen erfolgt. Flächige oder spiralförmig geführte Abstriche sind weniger geeignet, da auf diese Weise kontaminierende oder kolonisierende Mikroorganismen erfasst werden, die klinisch irrelevant sind [1]. Bei einem Temperaturanstieg werden mindestens zwei Sets an Blutkulturen entnommen.
Außerdem wird ein Blutbild zum Nachweis einer typischen Entzündungskonstellation herangezogen. Hierbei können eine linksverschobene Leukozytose, die Beschleunigung der Blutsenkungsgeschwindigkeit sowie ein CRP-Anstieg beobachtet werden. Mit Hilfe von bildgebender Diagnostik kann die Eindringtiefe beurteilt und gegebenenfalls im Verlauf kontrolliert werden [2,7].
Differentialdiagnostik
Die wichtigste Differentialdiagnose der Phlegmone stellt das Erysipel dar. Im Gegensatz zur Phlegmone ist dieses scharf begrenzt, weist keine Eiteransammlung auf und wird in der Regel von Streptokokken hervorgerufen [1]. Dieses kann jedoch in eine Phlegmone übergehen.
Des Weiteren sollten, insbesondere in der Frühphase, Furunkel, Abszesse, Thrombosen und Thrombophlebitiden, nekrotisierende Weichteilinfektionen sowie das Pyoderma gangraenosum differentialdiagnostisch in Betracht gezogen werden [8].
Therapie
In der Regel erfordert eine begrenzte Phlegmone keinen chirurgischen Eingriff. Die antibiotische Initialtherapie wird so gewählt, dass sowohl Staphylokokken als auch Streptokokken erfasst werden [7]. Bei unkomplizierter Infektion stellen Cephalosporine der ersten Generation, zum Beispiel Cefazolin, oder Penicilline, wie Flucloxacillin, die Therapie der ersten Wahl dar und werden für einen Zeitraum von fünf bis sieben Tagen gegeben.
Das Mittel der zweiten Wahl ist das Lincosamid-Antibiotikum Clindamycin. Dieses wird im Falle einer Penicillin-Allergie angewendet oder, wenn die Phlegmone an einer ungünstigen Stelle lokalisiert ist, beispielsweise in der Nähe von Handbeugesehnen. Ist das Areal um die Eintrittspforte stark kontaminiert oder mit gramnegativen Erregern besiedelt, wird Cefuroxim, ein Cephalosporin der zweiten Generation, gegeben [1].
Die parenterale Antibiotikagabe wird insbesondere bei oberflächlich ausgedehnter Infektion, eingeschränkter Durchblutung, einer Lokalisation an Sehnenbeugen oder im Gesicht sowie bei Zeichen einer systematischen Infektion und dem Übergang in tieferreichende, schwere Phlegmonen empfohlen [1].
Bei schweren Phlegmonen steht die chirurgische Sanierung mit anschließender Wundbehandlung im Vordergrund, wobei eine breite Inzision, die eine ausreichende Drainage gewährleistet, erforderlich wird. Zusätzlich erfolgt eine antibiotische Therapie. Cefazolin, Flucloxacillin oder Cefuroxim werden als Mittel der ersten Wahl für fünf bis zehn Tage gegeben.
Bei fehlendem Ansprechen auf die Therapie wird Clindamycin ebenfalls für fünf bis zehn Tage empfohlen; bei schwerem Verlauf in Hochdosis [1]. Besteht Verdacht auf Beteiligung anaerober Bakterien, beispielsweise nach Tierbiss, kann Metronidazol in Kombination mit anderen Antibiotika intravenös oder peroral gegeben werden.
Neben den invasiven und konservativen Therapien sind Bettruhe, Ruhigstellung, kühlende Verbände, gegebenenfalls Hochlagerung der betroffenen Extremität sowie eine medikamentöse Schmerztherapie indiziert.
Komplikationen
Unbehandelt können Phlegmone tiefer gehende Gewebeschichten, wie Muskeln, Sehnen und Faszien, infiltrieren. Somit stellt die nekrotisierende Fasziitis eine schwerwiegende Komplikation dar. Außerdem kann es zu einer systemischen Ausbreitung und Streuung der Infektherde kommen, was im schlimmsten Fall zur Sepsis führen kann [1].
Prognose
Wie bei anderen Weichteilinfektionen ist bei Phlegmonen, angesichts der schwerwiegenden Komplikationen mit potenziell lebensbedrohlichem Verlauf, die frühzeitige Einleitung einer adäquaten Therapie wichtig [1]. Erzielt die antibiotische und/ oder chirurgische Behandlung Erfolg, so wird in der Regel innerhalb von wenigen Tagen eine Symptomlinderung mit anschließender Genesung beobachtet.
Prophylaxe
Zur Vorbeugung von Phlegmonen und anderen Weichteilinfektionen sind allgemeine Hygienemaßnahmen, wie die Desinfektion von Wunden, empfehlenswert. Einen Schutz vor fachspezifischen Bagatellverletzungen stellt das Tragen der vorgeschriebenen Arbeitskleidung dar. Weiterhin ist bei Patienten mit Diabetes die regelmäßige Fußpflege und engmaschige Wundversorgung eine wichtige Präventionsmaßnahme [9], da in diesem Fall das Risiko für Phlegmonen besonders erhöht ist.
Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Infektionstherapie e.V (PEG): S2k-Leitlinie Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2018, (Dezember 2017)
Deutsche Dermatologische Gesellschaft: S2k + IDA Leitlinie: Diagnostik und Therapie Staphylococcus aureus bedingter Infektionen der Haut und Schleimhäute (April 2011)
Robert-Koch-Institut, RKI-Ratgeber: Staphylokokken-Erkrankungen, insbesondere Infektionen durch MRSA (2016)
Marx et al. (2020), Haut- und Weichteilinfektionen in Referenz Intensivmedizin, DOI: 10.1055/b-006-160290
Esposito et al. (2018): Epidemiology and microbiology of skin and soft tissue infections: preliminary results of a National registry, DOI: 10.1080/1120009X.2018.1536320
Ruchholtz, Wirtz (2019): Orthopädie und Unfallchirurgie essentials, DOI: 10.1055/b-006-160191