Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entsteht als Folgereaktion auf ein oder mehrere traumatische Ereignisse, die selbst oder an fremden Personen erlebt wurden.
Eine posttraumatische Belastungsstörung entsteht verzögert oder protrahiert und wird durch ein oder mehrere traumatische Ereignisse ausgelöst, die lebensbedrohlich sind oder bei denen schwere Verletzungen drohen oder die ein katastrophenartiges Ausmaß aufweisen und die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würden. Hierzu zählen beispielsweise das Ausgesetzt sein von körperlicher oder seelischer Gewalt, Vergewaltigung, Entführung, Terroranschlag, Krieg, Erleben von Katastrophen und Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Die Ereignisse können an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt werden. Ferner kann es sich bei dem Trauma um ein einmaliges, unerwartetes Ereignis handeln wie beispielsweise einen Verkehrsunfall oder eine Naturkatastrophe oder um wiederholte, langanhaltende Traumata mit unvorhersehbarem Verlauf wie beispielsweise sexuelle oder körperliche Misshandlungen in der Kindheit, Kriegserlebnisse oder Massenvernichtung.
Epidemiologie
Die Lebenszeitprävalenz, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken beträgt für die Allgemeinbevölkerung in Deutschland etwa 1,5-2%.
Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist abhängig von der Art des Traumas. So erleidet etwa die Hälfte der Opfer nach Vergewaltigung oder Kriegserfahrungen eine posttraumatische Belastungsstörung, während beim Erleben von z.B. Verkehrsunfällen oder schweren Organerkrankungen (z.B. Malignome, Herzinfarkt) die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung geringer ist (ca. 15%). Frauen sind von der Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung etwas häufiger betroffen im Vergleich zu Männern.
Ursachen
Eine posttraumatische Belastungsstörung kann durch schwere traumatische Ereignisse wie beispielsweise körperliche Gewalt, sexuellen Missbrauch, Unfälle, Naturkatastrophen, Kriegsverbrechen oder auch den Erhalt der Diagnose einer schweren Krankheit ausgelöst werden.
Eine posttraumatische Belastungsstörung kann auch entstehen, wenn das Ereignis nicht selbst erlebt wurde (z.B. Kriegshandlung), sondern „nur“ durch den Betroffenen beobachtet wurde. Das Erlebte überfordert die eigenen psychischen Ressourcen und Bewältigungsstrategien. Meist wird das Selbst- und Weltverständnis erschüttert.
Als Risikofaktoren für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung gelten mangelnde soziale Unterstützung, vorhandene psychische Erkrankungen oder Traumata, traumatische Kindheitserfahrungen und wenn das Trauma absichtlich herbeigeführt wurde (z.B. Vergewaltigung). Auch ein sehr junges oder höheres Alter zum Zeitpunkt des Traumas beeinflusst die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Niedrigere Wahrscheinlichkeiten für die Auslösung einer PTBS finden sich bei schicksalhaften Ereignissen wie beispielsweise Unfällen oder Naturkatastrophen. Posttraumatische Belastungsstörungen werden eher durch Ereignisse ausgelöst, die mit einem unwiederbringlichen Verlust einhergehen, unerwartet erfolgen und nicht vom Betroffenen kontrolliert werden können.
Pathogenese
Die Pathogenese der posttraumatischen Belastungsstörung ist bisher nicht vollständig bekannt. Man weiß, dass genetische, neurobiologische und umweltbedingte Faktoren in Wechselwirkung miteinander stehen und die Vulnerabilität bzw. Resilienz im Zusammenhang mit der möglichen Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung beeinflusst werden können. Studien deuten darauf hin, dass eine Fehlfunktion des Hippocampus zu einer Speicherung der Sinneseindrücke als Gedächtnisbruchstücke anstatt in geordneter Form führt. Bei einem Flashback werden dann diese Erinnerungsbruchstücke abgerufen.
Zudem konnten neurobiologische Veränderungen bei den Patienten gezeigt werden. So weisen sie eine erhöhte Aktivität des hormonellen Stress-Systems und einen erniedrigten Cortisolspiegel auf. Es können zudem epigenetische Veränderungen auftreten, die bis in nachfolgende Generationen wirken können.
Symptome
Typische Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörungen sind sogenannte Intrusionen, also das intensive Erinnern und Wiedererleben der auslösenden Situationen in Form von Bildern, filmartigen Szenen oder Alpträumen. Auch Flashbacks können auftreten. Wenn die Patienten einem Schlüsselreiz ausgesetzt sind, erleben sie das traumatische Ereignis in Gedanken, Gefühlen und Bildern erneut. Zudem vermeiden die Patienten Gespräche, Situationen, Orte etc. die sie mit dem Ereignis assoziieren. Es können auch dissoziative Symptome wie beispielsweise partielle Amnesien auftreten. Viele Patienten entwickeln zudem eine Depressivität. Sie leiden an einem Interessenverlust, einer Anhedonie, emotionaler Abstumpfung und Rückzug. Manche Betroffene entwickeln gar Suizidgedanken.
Ferner zeigen Patienten häufig Übererregungs- und Angstsymptome. Sie leiden an Schlafstörungen, Reizbarkeit, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Affektintoleranz, Herzrasen und einer übermäßigen Wachsamkeit. Im Kindesalter zeigen Betroffene z.B. wiederholtes Durchspielen des traumatischen Erlebnisses, oder auch Verhaltensauffälligkeiten z.B. aggressive Verhaltensmuster.
Komorbiditäten
Mit dem Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörungen treten in der Regel auch Komorbiditäten wie beispielsweise Depressionen, Suchterkrankungen oder Somatisierungsstörungen auf.
Diagnostik
Die Diagnostik der Erkrankung erfolgt nach den klinischen Kriterien des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM).
Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung nach DSM-5
Für die Diagnose der PTBS nach DSM-5 muss ein Trauma vorgelegen haben. Der Betroffene muss sich objektiv in Lebensgefahr befunden haben oder in seiner physischen Integrität bedroht gewesen sein.
Dauer
Die Symptome der Patienten dauern länger als ein Monat an und treten erst verzögert auf (> sechs Monate nach Trauma).
Zudem müssen aus den folgenden Bereiche Symptome vorhanden sein:
Wiedererleben (mehr als ein Symptom muss vorliegen)
Die Patienten leiden unter dem Wiedererleben der Situation. Dies kann in Form von Alpträumen, Intrusionen und Flashbacks erfolgen. Die Betroffenen erleben psychischen oder physischen Stress bei einer Konfrontation beispielsweise durch erinnert werden mit der Situation bzw. dem Ereignis.
Vermeidungsverhalten (mehr als ein Symptom muss vorliegen)
Bei den Betroffenen einer posttraumatischen Belastungsstörung liegt häufig eine Abflachung der emotionalen Reagibilität vor. Sie entfremden sich von der Situation und erinnern sich teilweise nur unvollständig an die auslösende Situation. Sie vermeiden Gedanken, Gefühle oder Erinnerungen an das Ereignis. Zudem vermeiden die Betroffenen Trauma-assoziierte Reize, wie beispielsweise Orte oder Menschen, die an das Ereignis erinnern.
Übererregbarkeit (mehr als zwei Symptome müssen vorliegen)
Die Patienten leiden an Übererregbarkeitssymptomen wie beispielsweise Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Sie sind häufig schreckhaft und reizbar.
Negative Veränderung in Gedanken und Gefühlen (mehr als zwei Symptome müssen vorliegen)
Die Patienten bewerten das Ereignis dysfunktional. Sie zeigen Angst, Schuld, Scham oder auch Ekel.
Psychosoziale Beeinträchtigung
Die Patienten sind durch die Erkrankung psychosozial in wichtigen Lebensbereichen beeinträchtigt.
Diagnostisches Vorgehen allgemein
Die Leitlinie empfiehlt zur Diagnosesicherung die Durchführung eines PTBS-spezifischen Interviews und/oder ergänzender psychometrischer Diagnostik.
Die traumatischen Auslöser müssen berücksichtigt werden.
Zur Diagnosestellung wichtig ist die Abgrenzung des Krankheitsbildes gegenüber möglichen Differentialdiagnosen wie beispielsweise einer akuten Belastungsreaktion oder Anpassungsstörung. Auch relevante psychische Vorerkrankungen müssen berücksichtigt werden. Hierzu zählen zum Beispiel Angststörungen, dissoziative Störungen, Suchterkrankungen, Substanzmissbrauch und Depression.
Fallen bei der Diagnosestellung
Bei klinisch auffälliger Komorbidität wie beispielsweise Angst, Sucht oder Dissoziation besteht die Gefahr des Übersehens einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Auch subsyndromale Störungsbilder mit klinischer Relevanz wie z.B. eine Intrusion und Übererregungssymptome ohne Vermeidungsverhalten müssen für die Diagnosestellung beachtet werden.
Die Leitlinie warnt vor einem Übersehen der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung bei misstrauischen, feindseligen und emotional-instabilen Verhaltensmustern. Auch bei medizinischen Eingriffen und Diagnosen wie beispielsweise Malignomen oder Patientinnen nach Problemgeburten, muss ein erhöhtes Risiko eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln bedacht werden.
Differentialdiagnosen
Die Reaktionen auf ein stattgehabtes Trauma sind individuell und sehr heterogen. Sie umfassen insbesondere Traumafolgestörungen (posttraumatische Belastungsstörung, andauernde Persönlichkeitsstörung etc.), Angststörungen, Depressionen und Suchterkrankungen. Manche Trauma-Betroffene entwickeln auch gar keine Störung.
Für weiterführende Informationen wird auf die Leitlinie verwiesen.
Therapie
Erste Maßnahmen
Erstmaßnahmen bei akuter psychischer Traumatisierung sind das Herstellen einer sicheren Umgebung als Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung, die Organisation eines psycho-sozialen Helfersystems und das frühe Hinzuziehen eines mit PTBS-Behandlung erfahrenen Psychotherapeuten. Es sollte zudem eine Psychoeduktion und Informationsvermittlung bzgl. traumatypischer Symptome und Verläufe erfolgen.
Im Erstkontakt des Patienten nach dem Trauma, welcher häufig mit dem Hausarzt stattfindet, sind menschliche Anteilnahme, Vermittlung von Sicherheit und Trost unverzichtbar. Zudem sind aktives Zuhören des Patienten und Nachfragen erforderlich.
Evaluation des individuellen Stabilisierungsbedarfs
Die Leitlinie empfiehlt als nächsten Schritt die Abklärung des individuellen Stabilisierungsbedarfs. Hierfür ist eine tragfähige therapeutische Beziehung notwendig. Der Patient sollte in eine engmaschige diagnostische und therapeutische Betreuung eingebunden werden. Die Möglichkeiten des Betroffenen zur Affektregulation, Selbst- und Beziehungsmanagements und die sozialen Kompetenzen sollten evaluiert werden, um diese in der Behandlungsplanung berücksichtigen zu können. Zudem wird eine Einschätzung zu Selbst- und Fremdgefährdungstendenzen des Betroffenen empfohlen. Es sollten zudem intra- und interpersonelle Ressourcen aufgebaut werden. Eventuell ist eine adjuvante Pharmakotherapie zur Unterstützung der Symptomkontrolle notwendig. Hier ist die besondere Suchtgefährdung der Betroffenen einer posttraumatischen Belastungsstörung zu beachten. Die Leitlinie empfiehlt zudem die Evaluation, ob adjuvante Verfahren wie Ergotherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie, Körper- und Bewegungstherapie oder Physiotherapie indiziert sind.
Zeigen sich bereits initial schwerwiegende Symptome sowie eine hohe Belastung sollte zeitnah eine Behandlung initiiert werden.
Therapeutische Strategien bei posttraumatischer Belastungsstörung
Die Leitlinie empfiehlt eine Konfrontation mit der Erinnerung an das auslösende Trauma. Insbesondere sollen traumatisch fixierte Erinnerungen und sensorische Fragmente bearbeitet werden. Hierdurch soll eine Integration erreicht werden. Bei der Therapie müssen auch klinische Komorbiditäten mitberücksichtigt werden. Die Leitlinie empfiehlt, dass eine traumaadaptierte Psychotherapie jedem Betroffenen angeboten werden soll.
Als Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung stehen traumafokussierte Therapien wie z.B. die Eye Movement Desensitization and Reprocessing Therapie (EMDR) zur Verfügung. Auch eine kognitive Verhaltenstherapie und die Verhaltenstherapie nach dem Expositionsparadigma von Foa kommen bei einer posttraumatischen Belastungsstörung zur Anwendung.
Kontraindikationen für traumabearbeitende Verfahren
Die Leitlinie gibt folgende Kontraindikationen für traumabearbeitende Verfahren an:
Relative Kontraindikationen:
mangelnde Affekttoleranz
anhaltende schwere Dissoziationsneigung
unkontrolliert autoaggressives Verhalten
mangelnde Distanzierungsfähigkeit zum traumatischen Ereignis
hohe akute psychosoziale und körperliche Belastung
Absolute Kontraindikationen:
akutes psychotisches Erleben
akute Suizidalität
schwerwiegende Selbstverletzung/Probleme mit Fremdaggressivität in den letzten vier Monaten
Täterkontakt mit Traumatisierungsrisiko
Liegen Kontraindikationen für eine konfrontative Traumabearbeitung vor, kann diese erst erfolgen, wenn äußere Sicherheit und eine hinreichend gute Emotionsregulierung/ausreichende Stabilisierung gewährleistet ist.
Pharmakologische Therapie
In Deutschland sind die Antidepressiva Paroxetin und Sertralin für die Indikation „posttraumatische Belastungsstörung“ zugelassen. Diese können begleitend neben der Psychotherapie bei ausgeprägten depressiven Beschwerden, Angst und Reizbarkeit eingesetzt werden. Bei unzureichender Wirksamkeit kann ein off-label Therapieversuch mit dem selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Venlafaxin erfolgen. Auch MAO-Hemmer und andere Antidepressiva werden bei der posttraumatischen Belastungsstörung zur Therapie eingesetzt.
Vor der Initiierung einer Pharmakotherapie muss eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen.
Für weiterführende Informationen wird auf die Fachliteratur/Leitlinie verwiesen.
Prognose
Der Verlauf der posttraumatischen Belastungsstörung ist individuell. Die Mehrzahl der Patienten kann geheilt werden. Etwa die Hälfte der Betroffenen zeigt eine Spontanremission der Erkrankung. In ca. 30% der Fälle kann die Erkrankung chronisch werden und über viele Jahre verlaufen und/oder sogar in eine andauernde Persönlichkeitsänderung übergehen.
Zudem konnte gezeigt werden, dass eine erhöhte Zahl an Traumata in Kindheit und Jugend zu einer erhöhten Morbidität an psychischen und körperlichen Erkrankungen einhergeht. Auch die Lebenserwartung ist dann reduziert.
Prophylaxe
Es ist schwierig einer posttraumatischen Belastungsstörung vorzubeugen. Es gibt derzeit keine gesicherte Methode, die das Auftreten einer posttraumatischen Belastungsstörung verhindern kann.
Allgemein lässt sich festhalten, dass es hilfreich sein kann, wenn Betroffene möglichst zeitnah nach Erleben eines Traumas psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Je früher eine Behandlung erfolgt, desto besser ist in der Regel die Prognose.
Hinweise
Betroffene einer posttraumatischen Belastungsstörung weisen eine besondere Suchtgefährdung auf.
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