
Ein Triple-Agonist zur Blutzuckersenkung konnte in einem Mausmodell-Versuch Alzheimer-Symptome umkehren und die Lerneffizienz der Tiere verbessern. Prof. Dr. Christian Hölscher, Gruppenleiter im Bereich Neurodegeneration und Alzheimer Forschung an der Lancaster Universität in Großbritannien untersuchte mit einem chinesischen Team die neuroprotektiven Effekte einer noch nicht zugelassenen blutzuckersenkenden Substanz bei Alzheimer. Die experimentellen Ergebnisse ihrer präklinischen Studie publizierten sie im Brain Research (2018; DOI: 10.1016/j.brainres.2017.10.012).
Möglicherweise ist den Wissenschaftlern mit diesem Peptid ein wirksamer und neuartiger Therapieansatz gelungen, um zukünftig die Gedächtnisleistung von Alzheimer-Patienten zu verbessern. Dr. Doug Brown, Direktor für Forschung und Entwicklung bei der Alzheimer Gesellschaft, erklärt: „Wir haben seit fast 15 Jahren keine neuen Behandlungsoptionen mehr, sondern müssen neue Wege finden, um Alzheimer zu bekämpfen. Es ist unerlässlich, dass wir untersuchen, ob Medikamente, die zur Behandlung anderer Erkrankungen entwickelt wurden, Menschen mit Alzheimer und anderen Formen von Demenz zugute kommen können.“
Blutzuckersenkung und Alzheimer-Demenz
Erhöhte Blutzuckerkonzentrationen zählen zu den bekannten Risikofaktoren für Demenzerkrankungen. Diskutiert wird eine gestörte Insulinwirkung, die Gedächtnis, Orientierung und Merkfähigkeit beeinträchtigt. Hölscher und sein Team entwickelten auf dieser Grundlage einen kombinierten Dreifach-Blutzuckersenker. Der neue Triple-Agonist stimuliert gleichzeitig die Rezeptoren der Wachstumsfaktoren Glucagon-like Peptid-1 (GLP-1), Glucose-abhängiges insulinotropes Polypeptid (GIP) und Glukagon.
Die Rezeptoren forcieren als G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR) die cAMP-Synthese. Die Aktivierung der Second-Messenger-Kaskade cAMP-PKA-CREB initiiert zellprotektive Effekte, inklusive einer normalisierten Energieeffizienz und Zellreparatur sowie die Genexpression von Wachstumsfaktoren. Zudem werden GLP-1 und GIP antiinflammatorische Eigenschaften zugesprochen. Dazu die Studienautoren: „Eine chronische Entzündung ist einer der Hauptverursacher von neurodegenerativen Erkrankungen und die Verringerung einer Entzündung im Gehirn wirkt protektiv“.
Demenzumkehr im Mausmodell-Versuch
Die Wissenschaftler untersuchten transgene Mäuse mit den demenzfördernden Mutationen APP (auf Chromosom 21q21.2) und PS1 (Chromosom 14q24.3), die Amyloid-Ablagerungen im Gehirn fördern und die Gedächtnisleistung reduzieren. Diese Gene wurden bei Patienten mit einer vererbaren Alzheimer-Demenz gefunden. Die Mäuse erhielten täglich eine intraperitoneale Injektion des Triple-Agonisten mit einer Dosierung von 10 nmol pro Kilogramm Körpergewicht. Gedächtnis, Orientierung und Merkfähigkeit wurden in einem räumlichen Wasserlabyrinth getestet.
Nach einer zweimonatigen Therapie verbesserte sich die geistige Leistungsfähigkeit der Versuchstiere signifikant. Eine Erklärung für diesen Effekt fanden die Wissenschaftler im Gehirn der Mäuse. Neben einer verringerten Amyloidlast konnten sie eine verminderte Aktivität von inflammatorischen Astrozyten und Mikroglia sowie eine gesteigerte Neubildung von Neuronen in der Gedächtnisregion der Mausgehirne feststellen.
Studien-Ergebnisse im Detail
Der Triple-Agonist reduzierte nach zweimonatiger Gabe die Konzentration des mitochondrialen pro-apoptotischen Signalmoleküls BAX und erhöhte das anti-apoptotische Signalmolekül Bcl-2 sowie die BDNF-Konzentration (Brain-derived Neurotrophic Factor). Infolge erhöhter Spiegel von Synaptophysin reduzierte sich der synaptische Funktionsverlust, der häufig bei Alzheimer-Demenz beobachtet wird. Darüber hinaus nahm die Anzahl der Doppelcortin-positiven Zellen zu. Daraus kann man auf eine erhöhte Neurogenese im Gyrus dentatus (Hippocampus) schließen. Zudem reduzierten sich die Gesamtmenge an β-Amyloid, die Neuroinflammation und der oxidative Stress in Cortex und Hippocampus.
Therapieansatz der Zukunft
Ob und wann der Wirkstoff bei Patienten mit Alzheimer-Demenz eingesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. Erst müssen weitere Untersuchungen zur geeigneten Dosierung beim Menschen sowie ein direkter Vergleich der Wirksamkeit mit anderen Medikamenten folgen. Die Hürden liegen dabei jedoch niedriger als bei anderen neuartigen Therapiemethoden. Da die Wirkstoffe des Triple-Agonisten bereits sicherheitsrelevante Untersuchungen gegen Diabetes Typ II durchlaufen haben, könnte sich die Zeit bis zu ersten klinischen patientenzentrierten Studien verkürzen. Hölscher zeigt sich optimistisch: „Der neue Triple-Rezeptor-Wirkstoff ist eine vielversprechende Grundlage für die Entwicklung zukünftiger Behandlungsstrategien bei Alzheimer-Demenz“.