
Neben akuten Infektionen und Erkrankungen durch SARS-CoV-2 wurde bereits in den ersten Monaten der COVID-19-Pandemie beobachtet, dass Menschen, die als genesen gelten, weiterhin unter Symptomen leiden können. Häufig klagen die Betroffenen über Erschöpfungszustände (Fatigue), Atembeschwerden und mitunter Brustschmerzen und neurologischen Symptomen, wie Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen oder Anosmie und Ageusie. Die Langzeitfolgen der SARS-CoV-2 Infektion werden als Long COVID bezeichnet und werfen immer noch viele Fragen auf [1,2].
Rätselhafte Langzeitfolgen
Beschwerden treten zum Teil völlig unabhängig vom Verlauf der vorangegangenen akuten SARS-CoV-2-Infektion und Erkrankung auf. Selbst Menschen, deren akute Infektion asymptomatisch war, können in den Wochen und Monaten danach unter Beschwerden leiden. Die Symptome sind dabei individuell sehr unterschiedlich. Häufig kann auch kein physisches Korrelat für die Beschwerden gefunden werden. Um Long COVID Patienten eine optimale Unterstützung zu bieten und gleichzeitig mehr über das Phänomen Long COVID zu lernen, richtete das Universitätsklinikum Ulm eine 2021 Spezialambulanz für Patienten ein, die nach der Genesung von COVID-19 an persistierenden Symptomen leiden.
Diagnostisches Stufenprogramm im Test
In einer Studie wurde nun die Effizienz einer schrittweisen diagnostischen Herangehensweise an die Long-COVID Patienten überprüft. Das angewandte diagnostische Stufenprogramm ist angesichts hoher Patientenzahlen als erster Vorschlag zur systematischen und ressourcenschonenden Aufarbeitung von Long COVID Fällen zu verstehen.
Zielsetzung
Die Studie sollte zeigen, wie effizient eine schrittweise Diagnostik bei COVID-19-Patienten mit Herz-Lungen-Symptomatik in der Rekonvaleszenz ist.
Methoden
Die Untersuchung wurde als prospektive Beobachtungstudie in der Spezialambulanz des Universitätsklinikums Ulm durchgeführt. Alle Patienten wurden von einem Allgemeinmediziner aufgrund persistierender Symptome nach einer SARS-CoV-2-Infektion in die Ambulanz überwiesen. Die akute Infektion mit SARS-CoV-2 war bei allen Patienten per PCR-Test nachgewiesen worden. Der Verlauf der Erkrankung war mild bis schwer. Vor der Aufnahme in die Studie standen die Patienten seit ≥ 1 Monat nicht mehr unter Quarantäne.
Diagnostik
Die Diagnostik erfolgte nach einem streng dreistufigen Protokoll:
- Stufe 1: Blutlabor inkl. kardialer Biomarker wie Troponin und NT-proBNP, Ruhe-EKG, transthorakale Echokardiografie (TTE), Bodyplethysmografie inkl. Diffusionskapazität, kapilläre Blutgasanalyse und Sechs-Minuten-Gehtest.
- Stufe 2: Bei Patienten, die in Stufe 1 Auffälligkeiten aufwiesen oder mit schwerwiegenden Beschwerden hatten, wurde ein Herz-Lungen-Belastungstest (cardiopulmonary excercise test [CPET]) und ein Kardio-MRT (cardiovascular magnetic resonance imaging [CMR]) durchgeführt.
- Stufe 3: Abhängig von Symptomen und Befunden wurden die Patienten für weiterführende Untersuchungen an andere Fachdisziplinen überwiesen, wie z. B. in die Pneumologie für eine Bronchoskopie, in die Kardiologie für eine Rechts-Herz-Katheterisierung, in die Neurologie oder Psychiatrie.
Ergebnisse
Vom 22.02.2021 bis zum 14.05.2021 stellten sich 231 Patienten mit der Diagnose möglicher post-inflammatorischer Organschaden in der Long-COVID-Spezialambulanz vor. Die meisten Patienten waren Frauen (n=132 / 57,1%) und hatten keine relevanten Vorerkrankungen. Nur 18 Patienten (7,8 %) waren an COVID-19 akut so schwer erkrankt gewesen, dass sie stationär behandelt werden mussten; 6 Patienten (2,6%) waren invasiv beatmet worden. Bei der Vorstellung in der Ambulanz beschrieben die Patienten folgende Symptome:
- Erschöpfung, Fatigue (n=122/52,8%)
- Atemnot, Kurzatmigkeit (n=114/49,4%)
- Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen (n=64/27,7%)
- Brustschmerzen, Druckgefühl (n=56/24,2%)
- Anosmie, Ageusie (n=29/12,6%)
- Schlafstörungen (n=26/11,3%)
- Kopfschmerzen (n=19/8,2%)
- Fieber (n=5/2,2%)
Befunde der 1. und 2. Stufe
Bei den Untersuchungen der 1. Stufe wurden bei 151 (65,4%) der Patienten schwerwiegende Langzeitfolgen von COVID-19 ausgeschlossen. Bei den verbleibenden 80 Patienten 8 (34,6%) wurden weiterführende Untersuchungen arrangiert. Zu den Befunden aus Stufe1, die abgeklärt werden sollten, gehörten z. B. eine Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid < 80% in der Bodyplethysmographie oder ein gesteigertes Residualvolumen.
Eine Entsättigung im Sechs-Minuten-Gehtest wurde auch häufig beobachtet. Auffällige Befunde in der TTE waren hingegen seltener. Nur wenige Patienten wiesen erhöhte Troponin- oder NT-proBNP-Werte auf. Gerade einmal 36 der 80 Patienten, die aufgrund verdächtiger Befunde in die Stufe 2 überwiesen wurden, schlossen alle Untersuchungen dieses Schritts ab. Nur bei 16 der Patienten zeigten sich Veränderungen im CPET oder CMR, die beispielsweise auf eine Myokarditis hindeuten könnten.
Fazit
Die Autoren sehen eine Diskrepanz zwischen den funktionalen Beschwerden der Long COVID Patienten und tatsächlich bestehenden Organschäden. Für allgemeine Rückschlüsse ist die Patientenzahl jedoch zu gering und ein Bias kann nicht ausgeschlossen werden, weil wahrscheinlich nur Patienten mit starken Beschwerden in die Spezialambulanz überwiesen wurden.
Noch ist das Wissen über Long COVID begrenzt. Es ist von großer Bedeutung zu verstehen, ob dieses Syndrom eine eigenständige Entität darstellt oder doch eine Form bereits bekannter Syndrome, wie beispielsweise des Post-intensivpflege-Syndroms (Post Intensive Care Syndrome [PICS]) oder des Post-Infektions-Syndroms ist.