
Die flächendeckende Einführung des E-Rezeptes wurde aufgrund verschiedener technischer und datenschutzrechtlicher Hürden bereits mehrfach verschoben. Zuletzt zogen sich die Kassenärztlichen Vereinigungen der beiden Testregionen Schleswig-Holstein (KVSH) und Westfalen-Lippe (KVWL) aus dem stufenweisen Rollout zurück, das am 1. September 2022 startete. Grundsätzlich kann jedoch bundesweit jede Arztpraxis die Nutzung des E-Rezeptes auch eigenständig umsetzen. Die beiden Allgemeinmediziner Dr.med. Nicolas Kahl aus Nürnberg und Moritz Eckert aus Herzberg erklären in der »Zeitschrift für Allgemeinmedizin« wie das gelingen kann.
Technische Voraussetzungen
Für die Umsetzung elektronischer Verordnungen ist zunächst ein Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) durch einen sicheren Router (Konnektor) notwendig. Zudem werden Kartenterminals, ein Praxisausweis (Institutionskarte SMC-B) sowie ein elektronischer Heilberufsausweis (eHBA) benötigt.
eHBA & qualifizierte elektronische Signatur
Der eHBA muss über einen von der jeweiligen Ärztekammer zertifizierten Anbieter beantragt sowie nach Erhalt freigeschaltet und an die Praxissoftware angelernt werden. Anschließend kann er für die Erstellung der qualifizierten elektronischen Signatur (QES) genutzt werden, die rechtlich einer händischen Unterschrift entspricht. Dazu wird der eHBA in ein Kartenterminal gesteckt und die Unterschrift mittels PIN freigeschaltet. Da die QES auch für die verpflichtend eingeführte elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) benötigt wird, sollten die technischen Voraussetzungen in den meisten Praxen bereits vorhanden sein.
eHBA für angestellte Ärzte
Zwar benötigen angestellte Ärzte einen eigenen eHBA, diese werden allerdings nicht refinanziert. Kahl und Eckert raten daher, Anbieter mit kurzen Vertragslaufzeiten auszuwählen und den Angestellten die Kosten zu erstatten.
Komfort- und Stapelsignatur
Die QES muss nicht für jedes E-Rezept einzeln mit PIN freigeschaltet werden. Für einen vereinfachten Prozess sind Komfort- und Stapelsignaturen möglich. Die Funktionen müssen jedoch vom PVS unterstützt werden. Mit der Komfortsignatur können nach einmaliger PIN-Eingabe 250 QES über 24 Stunden freigeschaltet werden, die an den Benutzeraccount oder ein Passwort im Praxisverwaltungssystem (PVS) gebunden sind. So ist nicht in jedem Sprechzimmer ein Kartenterminal nötig. Mit der Stapelsignatur werden mehrere E-Rezepte einer Liste gleichzeitig signiert.
Verordnungsprozess
Die Verordnung wird wie üblich über das PVS erstellt und dann per QES signiert, um das E-Rezept freizugeben. Das E-Rezept wird auf einem zentralen Server des E-Rezept-Fachdienstes gesichert und dieser stellt einen Token zur Verfügung, der als QR-Code auf Papier ausgedruckt oder direkt in die E-Rezept-App heruntergeladen werden kann. Der Token dient als "Gutschein" für das eigentliche E-Rezept, das auf dem Server verbleibt. Der Patient kann den Token direkt vor Ort in einer Apotheke scannen lassen oder per App an eine Apotheke senden. Die Apotheke ruft das eigentliche E-Rezept vom Fachdienst-Server ab und beliefert den Patienten wie gewohnt. Es besteht auch die Möglichkeit der Bestellung und des Botendienstes.
Schritt für Schritt zum Ziel
Kahl und Eckert empfehlen, das E-Rezept schrittweise in der Praxis zu etablieren.
Lesbarkeit des Ausdrucks
Zunächst sollte über das PVS ein Testpatient angelegt werden, um den DIN A4- oder DIN A5-Ausdruck des Token auf Lesbarkeit zu überprüfen. Die gematik empfiehlt einen Laser- oder Tintenstrahldrucker mit einer Auflösung von mindestens 300 dpi. Die Autoren weisen darauf hin, dass jeder Arzt mit eHBA seinen Ausdruck überprüfen und mehrere Test-E-Rezepte erstellen und signieren sollte.
Schrittweise echte E-Rezepte ausstellen
Wurden die Tests erfolgreich abgeschlossen, kann schrittweise mit einzelnen echten E-Rezepten gestartet werden. Laut Kahl und Eckert bieten sich hierfür Angehörige oder Heime mit Belieferungsvertrag an. Das verhindere, dass einzelne Patienten bei Problemen mit der Einlösung zwischen Praxis und Apotheke hin- und hergeschickt werden müssten.
Die Anzahl der E-Rezepte sollte von Woche zu Woche erhöht werden, am besten aus der Sprechstunde heraus. So könnten sich sowohl Ärzte, medizinische Fachangestellte (MFA) als auch Patienten an die neuen Abläufe gewöhnen und Erfahrungen sammeln.
Anschließend kann die Stapelsignatur eingeführt werden. In ruhigeren Praxiszeiten, wie der Quartalsmitte, sollte der vollständige Umstieg auf elektronische Verordnungen simuliert werden. Damit könnten frühzeitig größere Hürden im Praxisablauf oder dem PVS identifiziert und gelöst werden.
Zusammenarbeit mit Apotheken
Zwar müssen Apotheken seit dem 1. September 2022 E-Rezepte bearbeiten können, die Erfahrung der beiden Allgemeinmediziner habe jedoch gezeigt, dass die Apotheken oft noch wenig praktische Erfahrung mit den elektronischen Verordnungen haben. Auch seien die Apothekensoftwares bei der Verarbeitung der E-Rezepte noch nicht fehlerfrei. „Gestehen Sie allen eine Lernkurve zu! (…) Eine gegenseitig offen gelebte Fehlerpolitik ist diesbezüglich hilfreich“, erklären die Autoren. So ließe sich auf dem kurzen Dienstweg schnell Abhilfe schaffen, wenn ein korrigiertes E-Rezept oder Muster 16-Formular nachgeliefert werden muss, ohne den Patienten zu involvieren.
Fehlerkorrektur
Kahl und Eckert erläutern außerdem, dass es zwar so wirke, als wären die technischen Anforderungen beim E-Rezept viel strenger, je nach PVS seien aber lediglich Fehler des analogen Rezepts bisher nicht erkannt oder von Apotheken toleriert worden. Das E-Rezept zwinge alle Beteiligten dazu, diese zu korrigieren. Bestimmte Korrekturen, wie den Zuzahlungsstatus, können Apotheken selbst vornehmen. In anderen Fällen ist eine neue Verordnung durch den Arzt notwendig. Das fehlerhafte Rezept oder Rezepte, die wegen technischer Probleme nicht eingelöst werden können, sollten von der Praxis oder der Apotheke storniert werden.
Mögliche Hürden und Lösungsansätze
Im Vergleich zu Muster 16-Rezepten, werden elektronische Verordnungen in Deutschland bislang kaum genutzt. Es können zudem noch nicht alle Rezepttypen digital umgesetzt werden. Die Funktionen sollen nach und nach erweitert werden. Kahl und Eckert verweisen auf einige Alltagsprobleme, die zum Teil noch nicht gelöst sind.
Signaturdatum
Das Signaturdatum muss mit dem Datum des E-Rezeptes übereinstimmen. Das kann z. B. zu Problemen führen, wenn Rezepte von MFA nach der Sprechstunde erstellt, aber erst am nächsten Tag signiert werden. Manche PVS gleichen die Daten automatisch an. Ist dies nicht der Fall, sollte mit dem Support des PVS eine Lösung gefunden werden.
QES in Praxen mit mehreren Ärzten
Vertretungsunterschriften sind beim E-Rezept derzeit nicht möglich. In Praxen mit mehreren Ärzten muss daher darauf geachtet werden, dass die von den MFA für einen bestimmten Arzt vorbereiteten Verordnungen nicht von einem anderen Arzt unterschrieben wird. Die PVS-Hersteller könnten hierfür zwar Lösungen entwickeln, seien dafür aktuell aber nicht ausreichend vorbereitet.
Ausdruck oder App?
Viele PVS ermöglichen laut der Allgemeinmediziner noch keinen Vermerk, welche Patienten die E-Rezept-App nutzen. Das könnte jedoch unnötige Ausdrucke vermeiden, daher müsse in Zukunft noch eine Lösung hierfür gefunden werden.
eGK-Stecklösung
Bislang nutzen nur wenige Patienten die E-Rezept-App der gematik. Ein Grund dafür ist, dass die Krankenkassen nur wenige PINs versendet haben, die für das Identifikationsverfahren und damit die vollständige Nutzung der App notwendig sind. Die Autoren vermuten, dass die Krankenkassen es favorisieren würden, die E-Rezept-Funktion in ihre kasseneigenen Patienten-Apps zu integrieren und der PIN-Versand daher stockt.
Die gematik arbeitet derzeit daher mit der E-Rezept-Funktion der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) an einer alternativen Lösung. Durch Stecken der eGK in ein Kartenterminal der Apotheke, soll diese dazu berechtigt werden, ein zugehöriges E-Rezept vom Fachdienst-Server abrufen zu können. Die eGK dient dabei lediglich als Identifikations- und Berechtigungsnachweis. Das E-Rezept wird nicht physisch auf der Karte gespeichert. Damit ist es auch nicht notwendig, die Karte bei jedem Besuch in der Praxis einzustecken. Diese Lösung sei bereits in anderen Ländern gut etabliert. Aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken wurde die Einführung der eGK-Stecklösung auf Sommer 2023 verschoben.
Warum das E-Rezept nutzen?
Kahl und Eckert finden: das Papierrezept ist nicht mehr zeitgemäß. Da die digitale Kompetenz der Patienten stetig zunehme, solle das E-Rezept auf jeden Fall umgesetzt werden. Die beiden Autoren empfehlen, dass Praxen spätestens bis zur Einführung der eGK-Stecklösung in der Lage sein sollten, E-Rezepte sicher ausstellen zu können.
Die elektronischen Verordnungen würden zunächst kompliziert wirken, in der Realität sei der Ablauf nach einer kurzen Kennenlernphase aber sehr elegant. Mit der nötigen Motivation sei die Etablierung des E-Rezeptes in der Hausarztpraxis eigenständig machbar. Am Ende ließen sich dadurch bessere Praxisabläufe mit effizienterem Personal- und Ressourcengebrauch erzielen. Beide Praxen hätten im Jahr 2022 über 20.000 E-Rezepte erstellt und beliefert – nach anfänglichen „Kinderkrankheiten“ ohne nennenswerte Komplikationen.
Weitere Informationen zum E-Rezept, den bisherigen Nutzungsmöglichkeiten sowie aktuellen Nachrichten zur Digitalisierung im Gesundheitswesen finden Sie hier.