
Neue Erkenntnisse könnten den bisher angenommenen Hauptübertragungsweg von SARS-CoV-2 – nämlich den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch – relativieren. Klar ist, dass das Virus über virushaltige Flüssigkeitspartikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen und Niesen entstehen, auf andere Personen übertragen werden kann.
Partikelgröße
Hierbei spielt vor allem die Partikelgröße, die durch die Luftfeuchtigkeit beeinflusst wird, eine wichtige Rolle: Während insbesondere größere respiratorische Tröpfchen schnell zu Boden sinken, können Aerosole auch über längere Zeit in der Luft schweben und sich in geschlossenen Räumen verteilen. Ob und wie schnell die Tröpfchen und Aerosole absinken oder in der Luft schweben, ist laut RKI neben der Partikelgröße von einer Vielzahl weiterer Faktoren wie der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit, abhängig. So ist die Empfehlung eines Mindestabstands von 1,5 bis 2 Metern nicht in allen Fällen ausreichend. Dieser reicht beispielsweise nicht aus, wenn sich Infizierte und Gesunde über längere Zeit gemeinsam in einem Raum aufhalten. Niederländische Forscher konnten inzwischen nachweisen, dass Aerosole, wie sie auch beim Sprechen entstehen, bis zu 9 Minuten in der Luft schweben können.
Luftfeuchtigkeit
Ein Forscherteam des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig und des CSIR-National Physical Laboratory in Neu Delhi hat sich nun dieser Tatsache gewidmet und hierzu 10 internationale Studien ausgewertet, die zwischen 2007 und 2020 den Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf das Überleben, die Ausbreitung und die Infektion mit Influenzaviren und den Coronaviren SARS-CoV-1, MER-CoV und SARS-CoV-2 untersucht haben:
Die Luftfeuchtigkeit in Innenräumen beeinflusst laut Publikation sowohl die Verdunstungsknetik als auch das Partikelwachstum. In trockenen Innenräumen, also bei geringerer Luftfeuchtigkeit (<40% rF), ist die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von SARS-CoV-2 durch die Luft höher als an feuchten Orten (> 90% rF). Basierend auf früheren Studien scheint eine relative Luftfeuchtigkeit von 40–60% für die menschliche Gesundheit in Innenräumen optimal zu sein. Daher sei es nach Angaben der Forscher äußerst wichtig, einen Mindeststandard für die relative Luftfeuchtigkeit in Innenräumen wie Krankenhäusern, Büros und öffentlichen Verkehrsmitteln festzulegen, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in der Luft zu minimieren.
Auch eine im Journal »Clinical Infectious Diseases« (CID) erschienene Publikation von Lidia Morawska und Donald K. Milton appelliert an die Beachtung der Rolle von schwebenden Mikrotröpchen und Aerosolen in der Verbreitung von COVID-19. 239 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 32 Ländern haben die Publikation mit dem Titel „It is time to Adress Airborne Transmission of COVID-19“ bereits als Unterstützer unterzeichnet. In der Erklärung wird betont, dass die bisher empfohlenen Schutzmaßnahmen vor der Ansteckung und Verbreitung von SARS-CoV-2 überall durch Maßnahmen der Belüftung und des Luftaustausches ergänzt werden sollten, da diese sonst nicht ausreichend vor der Übertragung durch schwebende Mikrotröpfchen oder Tröpchenkerne schützen.
Empfehlungen
Für die Eindämmung der COVID-19-Pandemie scheint nun also ein neuer Aspekt sehr wichtig zu sein: Standards für die Luftfeuchte in Innenräumen mit vielen Menschen wie bspw. Krankenhäusern, Großraumbüros oder dem Öffentlichen Nahverkehr. Eine höhere Luftfeuchtigkeit führt dazu, dass der Wassergehalt der Aerosole zunimmt und diese so schneller zu Boden fallen. „Eine Luftfeuchtigkeit von mindestens 40 Prozent in öffentlichen Gebäuden und im Nahverkehr würde daher nicht nur die Auswirkungen von COVID-19 reduzieren, sondern auch die von anderen Viruserkrankungen wie beispielsweise der saisonalen Grippe. Die Behörden sollten den Faktor Luftfeuchtigkeit in künftigen Richtlinien für Innenräume einarbeiten“, fordert Dr. Sumit Kumar Mishra vom CSIR – National Physical Laboratory in New Delhi. Für Länder in kühlen Klimazonen empfehlen die Forscher eine Mindest-Luftfeuchtigkeit in Innenräumen. Länder in tropischen und heißen Klimazonen sollten dagegen darauf achten, dass Innenräume nicht durch Klimaanlagen extrem unterkühlt werden. Denn das Abkühlen der Luft führt zu einer Reduktion der Feuchtigkeit, wodurch die trockenen Partikel länger in der Luft bestehen bleiben können.