
Hintergrund
Eine Infektion mit Masernviren (MeV) löst eine starke Antwort des Immunsystems aus und generiert eine lebenslange Immunität. Paradoxerweise sind die Masern aber auch mit einer tiefgreifenden und lange andauernden Immunsuppression verbunden. In einer Studie aus dem Vereinigten Königreich zeigten 10-15% der Kinder noch fünf Jahre nach einer Maserninfektion Zeichen einer Immunsuppression in Form einer erhöhten Infektanfälligkeit [1].
Angriff auf das Immunsystem
MeV infiziert unter anderem Lymphozyten und führt zu einer Lymphopenie. Die Lymphozytenzahlen im Blut normalisieren sich vier Wochen nach der Maserninfektion wieder. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass es infolge der Masern zu einer Depletion bestimmter Subpopulationen von B-Gedächtniszellen kommt, wohingegen die Anzahl der unreifen B-Zellen im Übergangsstadium ansteigt. Diese Beobachtung begründete den Verdacht eines Reset des immunologischen Gedächtnisses, d.h. einer weitgehenden Löschung der erworbenen Immunität durch die Maserninfektion und einer Zurücksetzung des Immunsystems auf einen weitgehend naiven Zustand.
Funktion der B-Gedächtniszellen
Das immunologische Gedächtnis der B-Zellen beruht auf Zellklonen, die sich bilden, nachdem sich das spezifische Erregerantigen an die variable Region des B-Zell-Rezeptors (B cell receptor [BCR]) eines passenden B-Lymphozyten gebunden hat. Mutationen während der Expansion des „Gedächtnisklons“ modifizieren die variable Region und können die Affinität zu den Erregerantigenen erhöhen. Der Grad der Diversität der BCR-Gene reflektiert damit das Repertoire des B-Zell-Gedächtnisses. Eine Studie zeigte nun, dass nach einer Maserninfektion die genetische Diversität der BCR Gene und damit auch die Leistungsbreite der erworbenen Immunität stark reduziert sind [2].
Zielsetzung der Studie
Das Ziel der Studie war es, herauszufinden, ob die genetische BCR-Diversität und damit das B-Gedächtniszellen-Repertoire vor und nach einer Maserninfektion die langandauernde Immunsuppression nach einer Maserninfektion erklären können.
Methoden
Untersucht wurden Blutproben von Kindern einer religiösen Gemeinschaft orthodoxer Protestanten in den Niederlanden, die Impfungen aus religiösen Gründen ablehnt. Die Blutproben von 26 Kindern wurden vor und nach einer Maserninfektion entnommen. Als Kontrollgruppe dienten die Blutproben von drei Kindern, die seronegativ für Masern blieben. Darüber hinaus wurden auch die Blutproben sieben geimpfter Erwachsener untersucht. Über die Sequenzierung der Gene für die Isotypen der variablen Regionen der BCR wurden Isotypen- bzw. Variationsprofile und die Mutationsfrequenz der verschiedenen Kohorten analysiert.
Frettchenmodell
Parallel erforschten Wissenschaftler des Paul-Ehrlich-Instituts an Frettchen, wie sich das mit dem Masernvirus engverwandte Staupevirus (canine distemper virus [CDV]) auf das Immungedächtnis auswirkt. Die Tiere wurden zunächst gegen Influenza geimpft und ihr Antikörperstatus bestimmt. Danach wurden sie mit CDV infiziert und die Antikörpertiter gegen Influenza erneut bestimmt. In einem letzten Schritt wurden Tiere nach der überstandenen CDV-Infektion und nicht infizierte Tiere mit Influenza infiziert.
Ergebnisse
Nach Maserninfektion fand sich eine Verschiebung hin zu immunologisch unreifen B-Zellen. Darüber hinaus konnte eine signifikante Zunahme der Mutationsfrequenz beobachtet werden. Die Zellen wiesen nach der Maserninfektion ein deutlich verändertes Isotypen(Variations)-Profil auf. Bei den mit Masern infizierten Personen hatte die genetische Vielfalt der Immunzellen abgenommen. Bei Personen ohne Maserninfektion bzw. geimpften Personen war die genetische Zusammensetzung und Vielfalt der B-Gedächtniszellen hingegen stabil.
Reduktion des Antikörperrepertoires
Die verringerte genetische Diversität führte auch zu einer deutlichen Reduktion des Antikörperrepertoires: Je nach Fall gingen 11-73% der Antikörper verloren, die vor der Maserninfektion vorhanden waren. Bestätigt wurde dieses Ergebnis durch das Frettchenmodell. Die mit dem Staupevirus infizierten Tiere verloren die meisten Antikörper gegen Influenza. Sie hatten einen schwereren Krankheitsverlauf als die zuvor nicht mit CDV-infizierten Tiere.
Fazit
Prof. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts zieht folgendes Fazit aus den Studienergebnissen: „Die Masernimpfung ist nicht nur für den Schutz vor Masernviren wichtig, sondern schützt auch vor dem Auftreten oder schweren Verläufen anderer Infektionskrankheiten. Die Impfung schützt das Immungedächtnis, das bei Maserninfektionen schwer beeinträchtigt werden kann." [3]