
Hintergrund
US-Forscher haben mit Hilfe einer Modellberechnung analysiert, wie sich unser zukünftiges Zusammenleben mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 gestalten könnte. Die im Wissenschaftsmagazin Science publizierten Ergebnisse von Dr. Jennie Lavine, Emory University, Atlanta (USA) und ihrem Team lesen sich durchaus positiv.[1] Aufgrund immunologischer und epidemiologischer Erfahrungen mit anderen humanen Coronaviren (HCoVs) vermuten die Wissenschaftler, dass SARS-Cov-2 in den nächsten Jahren endemisch auftreten und lediglich zu leichten Primärinfektionen im Kindesalter führen könnte. Diese vermitteln im späteren Leben einen gewissen Infektionsschutz, der schwere Krankheitsverläufe verhindert. Damit würde auch der Bedarf an breit angelegten Impfungen abnehmen, so die Fachleute.
Erfahrungen mit Coronaviren
Humane Coronaviren sind schon lange bekannt und wissenschaftlich gut untersucht. Neben dem aktuell zirkulierenden SARS-CoV-2 kennen wir vier endemisch vorkommende Viren: NL63, 229E, OC43 und HKU1. Diese Coronaviren treten dauerhaft mit der Bevölkerung in Kontakt. In den meisten Fällen verursachen sie harmlose Infektionen im Kindergarten- und Vorschulalter und vermitteln eine teilweise Immunität gegen das jeweilige Virus.
Zwei weitere in den letzten Jahren aufgetauchte HCoVs-Stämme sind MERS und SARS-CoV-1. Diese konnten aber erfolgreich eingedämmt werden.
Immunität
Infektionen mit den bekannten HCoV hinterlassen nur eine kurzzeitige vollständige bzw. sterilisierende Immunität. Eine experimentelle Studie mit dem Coronavirus 229E ergab, dass eine erneute Infektion bereits innerhalb eines Jahres möglich ist – jedoch mit verkürzter Virusausscheidung und milderer Symptomatik. Gleichzeitig war ein Abfall der Antikörpertiter zu erkennen. Dies spricht für eine lebenslange Teilimmunität gegen Coronaviren. Damit ist, den bisherigen Erkenntnissen zufolge, auch nach einer Infektion mit SARC-CoV-2 zu rechnen. [2]
Ältere Menschen als Virus-Überträger
Seroprävalenzstudien zeigen, dass die meisten älteren Menschen IgG-Antikörper gegen die vier Coronaviren besitzen. Die nur zu Beginn einer Infektion gebildeten IgM-Antikörper sind hingegen nicht vorhanden. Demnach scheinen nur wenige ältere Menschen tatsächlich nach einem Kontakt mit NL63, 229E, OC43 und HKU1 zu erkranken. Eine Infektion und die unbemerkte Übertragung der Viren an jüngere Personen, insbesondere Kinder, gelten indes als sehr wahrscheinlich. Nur so lassen sich die hohe Ansteckungsrate und der frühe Erkrankungsbeginn bei Säuglingen und Kleinkindern erklären, so Lavine.
Sterblichkeitsrate wird sinken
Bestätigt sich die vorhergesagte Entwicklung eines milden Sars-CoV-2-Verlaufs bei Kindern und einer Teilimmunität im Alter, könnte die Sterblichkeitsrate bei COVID-19-Infektionen langfristig unter 0,1 Prozent sinken – und somit unter der saisonalen Grippe liegen. Bis aus der Pandemie aber eine Epidemie wird, sind soziale Distanzierung, umfangreiche Tests und wirksame Impfstoffe entscheidende Faktoren. Dem Berechnungsmodell zufolge erweisen sich breit angelegte Impfkampagnen speziell in den ersten ein bis zwei Jahren als besonders bedeutsam. In der endemischen Phase wären Impfungen dann sehr wahrscheinlich nur noch für Risikogruppen erforderlich.
Fazit
Lavine und Team prognostizieren, dass sich SARS-CoV-2 in den nächsten Jahren zu einem endemischen Erreger wandelt. Primärinfektionen bei Kindern würden zu einer Teilimmunität der älteren Bevölkerungsgruppen führen, wodurch schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle abnehmen. Damit wären Massenimpfungen überflüssig. Sollte die Modellberechnung allerdings nicht zutreffen, seien auch langfristig Impfungen gegen das Virus unerlässlich, so die Forscher.