DGPPN 2022: Amyloid-Antikörper wirft Versorgungsfragen auf

Im September 2022 gab Biogen bekannt, dass die Studie CLARITY AD mit Lecanemab ihren primären Endpunkt erreicht habe. Deshalb widmete sich eine Podiumsdiskussion anlässlich des DGPPN-Kongresses 2022 den Versorgungsfragen für den Fall der Zulassung des Antikörpers.

Amyloid-Demenz

Eine Woche vor der Vollpublikation der Studienergebnisse trafen dabei große Hoffnungen und große Sorgen aufeinander. Von einem Durchbruch sprach Professor Dr. Oliver Peters von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Universitätsmedizin Berlin, der als Prüfarzt selbst an der Studie beteiligt war. Im Vergleich zu Placebo führte Lecanemab in der CLARITY AD-Studie zu einer signifikanten 27%igen Verminderung der Symptomverschlechterung nach dem Instrument CDR-SB, der alltagrelevante Symptome der Alzheimer-Erkrankung in sechs Domänen abfragt [2]. Nun hofft Peters, dass dies ein erster Schritt hin zu einer krankheitsmodifizierenden Therapie bei früher Alzheimer-Erkrankung sein könnte.

Patientenselektion ist wichtig

In die Studie waren 1.795 Patienten mit einer milden kognitiven Einschränkung (MCI) oder einer frühen Alzheimer-Erkrankung eingeschlossen worden, bei denen eine Amyloid-Pathologie nachgewiesen worden war – entweder in der Positronenemissionstomographie-Computertomographie (PET-CT) oder im Liquor. Sie wiesen einzelne kognitive Symptome auf, aber noch keine Demenz.

In der klinischen Routine seien das relativ wenige Patienten, glaubt Professor Dr. Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln sowie Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Alzheimerforschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Er wies darauf hin, dass es wichtig sei, diese Patienten von denen zu unterscheiden, die ein prodromales, präklinisches Stadium haben. Für diese werde es sicher noch viele Jahre keine Therapie geben, sagte er.

Große Nachfrage nach Antikörper-Therapie zu vermuten

Dr. Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater (BVDP) aus Andernach, sieht einen ganzen Strom von Menschen auf psychiatrische und Hausarztpraxen zukommen, wenn Lecanemab zugelassen würde. Die Angst vor Demenz sei verbreitet und viele Menschen hätten den Eindruck, frühe Symptome zu haben. Sie würden bei dem großen Medienecho, das die CLARITY AD-Studie jetzt schon hat, nach einer Zulassung von Lecanemab in Massen eine Abklärung und Therapie wünschen. „Wir haben nicht die Sorge, die Menschen, die für den Antikörper infrage kommen, zu behandeln“, sagte sie. „Aber die Inanspruchnahme wird stark zunehmen.“

Neue Strukturen nötig

Die Identifizierung der Patienten, die von einer Lecanemab-Behandlung profitieren könnten und die für die Therapie infrage kommen, möchte Jessen am liebsten bei den Gedächtnissprechstunden wissen. Etwa 100 gebe es davon derzeit in Deutschland, meinte er. Die weiteren Versorgungsstrukturen würden sich rasch nach Zulassung aufbauen lassen, sind sich Roth-Sackenheim und Jessen einig. Die Fachgesellschaft Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (DGPPN) sei vorbereitet und könne Fachärzte mit dem dazu notwendigen Wissen versorgen, ergänzte DGPPN-Präsident Professor Dr. Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I in Ingolstadt.

Thema finanzielle Toxizität

Ein immer wieder aufgeworfenes Thema bei der Podiumsdiskussion waren die zu erwartenden hohen Kosten für die Therapie mit Lecanemab, wenn dieser Antikörper in Europa zugelassen würde. Der Antikörper Adecanumab – in Europa nicht zugelassen – war in den USA nach Zulassung mit Jahrestherapiekosten von etwa 60.000 Dollar in den Markt gebracht worden. Nach Protesten ging der Preis auf etwa 30.000 Dollar pro Jahr herunter. Das gebe eine Vorstellung von der Größenordnung, die auch für Lecanemab denkbar sei, meinte Jessen.

Noch viele Hürden

In Deutschland muss Lecanemab im Falle der Zulassung zusätzlich die Hürde der frühen Nutzenbewertung nehmen, nach der sich die Preisverhandlungen mit Krankenkassen richten. Inwieweit die CLARITY AD-Studie ausreicht, um einen beträchtlichen Zusatznutzen festzustellen, ist unklar. Um gesellschaftlich Diskussionen zu den Kosten der Therapie zu vermeiden, plädiert Jessen dafür, der Öffentlichkeit und Politik immer wieder die positiven Folgen der Therapie bei einer der schwersten Erkrankungen, die es gibt, vor Augen zu führen: eine längere unabhängige Lebensführung, mehr Lebensqualität und eine geringere Belastung der Angehörigen.

Quelle:
  1. Diskussionsforum „Lecanemab am Horizont – wie kann die Anti-Amyloid-Antikörperbehandlung der frühen Alzheimer-Krankheit zukünftig in die Versorgung integriert werden?“, DGPPN Kongress 2022, Berlin, 24. November 2022.
  2. van Dyck CH, Swanson CJ, Aisen P et al. (2022): Lecanemab in Early Alzheimer's Disease. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2212948
  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige