
Etwa eine Milliarde Menschen weltweit nimmt regelmäßig Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin) ein, um Schlaganfällen, Herzinfarkten und anderen vaskulären Ereignissen vorzubeugen. Die Standarddosis liegt bei 75 bis 100 mg. Eine aktuelle Studie [1], die nun im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht wurde, zeigt einen ausreichenden Schutz nur für einen kleinen Teil der Patienten. Die Mehrheit der Risikopatienten ist mit der Standarddosis nicht ausreichend geschützt.
Über 70 kg ist der Schutz unzureichend
Ein Team internationaler Wissenschaftler um Professor Peter M. Rothwell (Oxford) hat in der aktuellen Studie insgesamt zehn randomisierte Analysen untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Standarddosis von Acetylsalicylsäure bei Menschen ab einem Körpergewicht von 70 kg wenig wirksam ist.
Methodik
Insgesamt gingen die Daten von 117.279 Menschen in die Studie mit ein. Die Studienteilnehmer wurden nach Gewicht in Schritten von je 10 kg und nach Körpergröße in Schritten von je 10 cm in verschiedene Gruppen eingeteilt. Untersucht wurde der Effekt von niedrigen Dosen (≤ 100 mg) und höheren Dosen (300 – 325 mg oder ≥ 500 mg) Aspirin.
Ergebnisse
Es zeigte sich, dass der Wirkstoff Acetylsalicylsäure in der niedrigen Dosierung (75 – 100 mg Tagesdosis) bei Menschen mit einem Körpergewicht von 50 bis 69 kg das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis um ein Viertel reduziert. Ab einem Körpergewicht von 70 kg zeigte sich kein eindeutiger Nutzen mehr. Die Sterblichkeit bei einem ersten Ereignis war bei Personen über 70 kg um ein Drittel erhöht.
Acetylsalicylsäure in einer hohen Dosierung (≥ 325 mg Tagesdosis) war bei Personen ab 70 kg geeignet, um Herzinfarkte und Schlaganfälle zu verhindern. Bei Personen unterhalb der Schwelle von 70 kg Körpergewicht zeigte sich kein präventiver Effekt. Leichtere Menschen scheinen demnach nicht von höheren Dosen zu profitieren.
Mangelhafter Schutz vor allem für Männer
„Zu einem alten Medikament wie Aspirin solche neuen Aspekte zu finden ist überraschend“, so Professor Armin Grau, 1. Vorsitzender der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), [2].
„Jahrzehntelang haben wir ASS in einheitlichen Dosierungen verschrieben. Jetzt belegen die Analysen von Rothwell und Mitarbeitern überzeugend, dass das Körpergewicht einen erheblichen Einfluss auf die optimale Dosis in der Primär- und Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls besitzt“, so der Direktor der Neurologischen Klinik am Klinikum der Stadt Ludwigshafen und ergänzt: „Etwa 80 Prozent aller Männer und die Hälfte aller Frauen wiegen mehr als 70 Kilogramm. Wir müssen davon ausgehen, dass sehr viele Menschen in der Primär- und Sekundärprophylaxe unterversorgt sind.“
Ansporn zu neuen Studien über altbewährten Wirkstoff
Die Studienergebnisse zeigen die Notwendigkeit vertiefender Forschungen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die DSG appellieren für neue Studien mit dem alten Medikament.
„Die derzeit praktizierte ‚One Dose Fits All‘-Strategie muss neu bewertet werden“, sagt Professor Hans-Christoph Diener, Seniorprofessor für Klinische Neurowissenschaften an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. „Wünschenswert wäre eine randomisierte Studie in der Sekundärprävention nach transienter ischämischer Attacke und ischämischem Insult bei Personen mit einem Körpergewicht von über 70 Kilogramm“, so Diener weiter.